Erstellt am: 30. 11. 2012 - 19:18 Uhr
American Slides
Glück kann schreien. Unseres wird am Montag vier Wochen alt, schläft gerade unter meinem Herzen (aka man boobs) in einem dieser Superergo-Nachwuchstragebehelfnisse mit Autoadaptierungsmechanismus und ist der beste Grund, warum hier zuletzt und wohl noch eine Weile etwas weniger aus meiner Feder zu lesen war bzw. sein wird. Es stimmt ja alles, was man sich so über das Frischelterndasein erzählt und natürlich ist nichts davon wahr. Ja, man schläft die ersten Wochen bloß mit einem Auge im Zwei- bis Drei-Stunden-Takt und öffnet schon mal den Herd, wenn man sich etwas aus dem Kühlschrank holen will. Aber man kommt dazwischen dann doch auch noch zu „anderen Dingen“. Bis zum Einsatz der nächsten Windelsirene bleibt z.B. durchaus Zeit für einen kurzen Blick ins Fotoarchiv. Eigentlich war ich gestern auf der Suche nach etwas „Aufblasbarem“ für die Wohnzimmerwände. Gefunden habe ich dann zwei Fotoserien, die ich gern mit euch teilen möchte.
Beide stammen von einem Trip nach Upstate New York im Sommer 2009. In beide Szenarien sind wir zufällig geraten. Für jemanden, der gerne fotografiert, ein Glücksfall. Man kann sich von der Situation überraschen lassen, blickt blank durch den Sucher, geht ganz im Moment auf.
Beide Slides bilden etwas ab, das man spätestens seit der letzten Präsidentschaftswahl wohl endgültig als American Anachronism bezeichnen könnte. Slide 1 zeigt Hippie-Veteranen in Bethel nahe von Woodstock am Vortag des 40. Jubiläums dieser Generationen bewegenden Festivalsause. Aus den Peaceniks von einst sind Pensionisten in Batik-T-Shirts geworden. Anekdoten wurden erzählt, Andenken hergezeigt. Statt Jimis Gitarren-Riffs wehte Nostalgie über Yasgurs Feld. Die Stimmung am berühmten Hügel war wehmütig und andächtig – fast wie auf einem historischen Schlachtfeld. Statt gefallenen Soldaten wurde hier wohl so manchem Lebenshöhepunkt nachgeweint.
Slide 2 zeigt eine (wohl ebenfalls langsam ins Aus) dröhnende Kultur - die der Country-Fair-Crash-Derbies. Wir befanden uns noch immer im gegenwärtigen New York State, wähnten uns jedoch in einer anderen Zeit und Gegend. Bei der organisierten Massenkarambolage, die im äußersten Zipfel von Delaware County stattfand, ging es um Hillbilly-Pride und nihilistische Vergnügen, um Red-Meat-Patriotismus (z.T. südlich der Mason-Dixon-Linie angesiedelt), um die Zerstörung von Umweltzerstörern und um eine deftige Prise rotnackiger Gaudi. Alles in allem total abstoßend und natürlich extrem faszinierend. Noch heute höre ich das Todesächzen der alten Karren und habe den Geruch von Moonshiner-Benzin in der Nase, wenn ich durch die Slide rase. Bye bye, Mister American Pie!