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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

28. 11. 2012 - 12:32

"Ein Künstler ist wie ein Hofnarr"

Die in Russland geborene Anna Jermolaewa ist eine der spannendsten Künstlerinnen hierzulande. Das beweist sie auch im Interview. Die Kunsthalle Krems widmet ihr eine Austellung.

Ein Laster kämpft sich durch die Pampa Sibiriens: Überall dichter Schnee, keine Straße führt irgendwo hin, überall nur Matsch und eine große Leere. Eine Reise, die schließlich in der russischen Straflager-Region Perm endet. Stacheldraht, Baracken, Gefängnisse. Würde nicht Schnee liegen, würde man im Schlamm versinken - nur im Winter kann man hierher reisen. Aber wer macht das schon freiwillig? In einem dieser Straflager sitzt Maria Aljochina, Mitglied der Punkband Pussy Riot ihre Haftstrafe ab. Auch die anderen Lager in der Region sind gut gefüllt. Die Wiener Künstlerin Anna Jermolaewa, die in Russland aufgewachsen ist, hat sich mit einer Kamera auf den Weg gemacht, um verschollene Familienmitglieder zu finden. 1930 ist der Großteil ihrer Familie enteignet und hierher deportiert worden.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Krems zeigt nun 27 Videoarbeiten, fotografische Serien und Installationen von Anna Jermolaewa. Sie läuft bis zum 17. Februar 2013.

Die Künstlerin hat sich auf den Weg in die berühmt-berüchtige Region rund um Perm gemacht um ihre aktuelle Video-Doku "Gulag" zu drehen. Die Reise in die Vergangeheit auf Spuren ihrer eigenen Familiengeschichte hat sich zur Reise in die Gegenwart entwickelt. Was wir sonst nur aus Kriegserzählungen von Oma und Opa kennen ist anderswo Realität: Es ist 2012 und es gibt sie immer noch, Straf- und Arbeitslager.

Anna Jermolaewa

Anna Jermolaewa

Anna Jermolaewa: "Selbstporträt mit Putin"

Mit 18 hat Anna Jermolaewa aus der der Sowjetunion fliehen müssen, heute ist sie eine bekannte Künstlerin. Damals wollte sie eigentlich nach Paris, doch der Weg endete schon in Traiskirchen. Anna Jermolaewa, die in ihrer Heimat St. Petersburg im Widerstand aktiv war, blieb zäh, blieb in Wien, landete schließlich auf der Akademie der Bildenden Künste und beschäftigt sich seit damals in ihren Videos, Fotografien und Installationen mit politischen Machtstrukturen, Gesellschaftskritik und natürlich auch mit den Zuständen in ihrer Heimat Russland.

Es ist keine artsy-fartsy Kunst, die Anna Jermolaewa produziert, sondern Arbeiten nahe am Leben und der Schnittstelle Politik-Privat und trotz der Schwere der Themen offenbart sich auch immer eine Portion Witz: Zum Beispiel, wenn sie Spielzeugfiguren mit Transparenten ausstattet und auf der Straße zum protestieren schickt. Das mag lieblich anmuten, hat aber einen schwer absurden Hintergrund.

Anna Jermolaewa

ivan krupchik

Anna Jermolaewa: "Methods of social resistance on russian Examples"

Nachdem Putin einige Demonstrationen brutal beenden ließ und die Versammlungsgesetze verschärfte, organisierten russische Aktivisten eine Demonstration mit Plastikspielzeugfiguren. Und auch über diese verhängte die Regierung ein Verbot, da die "in China hergestellten Objekte keine russischen Staatsbürger seien". Absurd. Über weitere Absurditäten des Lebens und was die Künstlerin zur Kunst gebracht hat, haben wir im Interview gesprochen.

Anna, wann hast du dich dazu entschlossen, Kunst zu machen? Kannst du dich noch erinnern was der Grund war, dass du Künstlerin werden wolltest?

Anna Jermolaewa: Ja, da war ich vier Jahre alt. Das war mein großer Wunsch, schon als Kind. Meine Eltern haben mich in den "Pionier-Palast" geschickt, eine Schule für junge Talente. Dort hat man mir dann aber ordentlich meine ganze Fantasie ausgetrieben (lacht). Als ich hinkam, hatte ich so fantasievolle Sachen gemalt. Doch das hat mir die Schule verboten. Die Kunsterziehung dort war irrsinnig konservativ. Später als Teenager war ich dann nochmal in einer Kunstschule und ich habe wirklich lange gebraucht, mich davon zu erholen.

Das war eine elitäre Kunstschule in St. Petersburg. Man hat dort von früh bis spät Akte gezeichnet und Gipsköpfe und Zeichnungen zu Themen wie "Leben in der Kolchose" gemacht. Man durfte nicht einmal ein bisschen Impressionistisch malen, sonst wurde man sofort rausgeschmissen! Nach dieser Schule hatte ich ein ziemliches Tief. Und ich habe danach meine gesamten Malereien zerschnitten.

Wann hast du sie zerschnitten? Bevor du nach Österreich geflohen bist?

In Österreich. In Österreich habe ich sogar noch weiter gemalt. Große Ölbilder. Und irgendwie kam ich nicht raus aus diesem Gefängnis. Dann habe ich die Bilder zerschnitten. Und dann wurde ich auf der Akademie der Bildenden Künste in Wien aufgenommen (lacht). Denn dann hatte ich wieder Platz im Kopf für neue Arbeiten.

Du warst in sehr jungen Jahren auch schon politisch aktiv. Du bist auch Mitbegründerin der Demokratischen Partei gewesen, Mitherausgeberin der regierungskritischen Parteizeitung - wie war das damals?

Ich war früher ein sehr, sehr braves Mädchen. Mein Vater war in der kommunistischen Partei. Bei mir zu Hause war die politische Linie sehr wichtig. Und mit meinem damaligen Freund bin ich dann in die Dissidentenszene in St. Petersburg hineingerutscht. Ich war damals noch sehr jung, das war 1988. Wir haben Demonstrationen organisiert - das war aber sehr gefährlich. Eines Tages klopfte es an der Türe und dann sind sieben Polizisten hereingestürzt und haben zehn Stunden das Haus durchsucht. Oder besser gesagt unsere 30 Quadratmeter Wohnung.

Dann haben sie eine ganze Wagenladung Sachen mitgenommen - auch meine Kunstwerke, die ich bis heute nicht zurück bekommen habe. Auf die bin ich eh nicht stolz (lacht), aber trotzdem! Das Verfahren war richtig groß, man hat damals an die 300 Leute vernommen.

Du hast dann damals Russland verlassen. 1989 bist du geflüchtet.

Wir haben versucht, denen zu entkommen, aber sie haben uns abgefangen und zu den Vernehmungen gebracht. Es klingt so wahnsinnig, es war ja 1988 - aber ich schwöre, dass es so war. Und meine Eltern wurden auch vom KGB verhört. Ich war damals noch minderjährig, ich war 17 Jahre alt. Und sie haben versucht, meine Eltern dazu zu bringen zu unterschreiben, dass ich psychisch krank bin und dass sie mich in die Psychatrie einliefern müssen. Und das wäre natürlich noch schlimmer als Gefängnis gewesen. Und da wusste ich, jetzt ist es soweit. Damals war ich ja wirklich noch politisch aktiv - jetzt ist ja eher so… Kunstaktivismus.

In deinen Arbeiten ist das Hauptthema ein sehr politisches, kannst du vielleicht zusammenfassen, was dein Antrieb ist für deine Kunst? Der innere Motor?

Es klingt fast pathetisch, aber ich suche schon nach einer Möglichkeit gesellschaftlich etwas zu verändern. Es ist ein bisschen schwierig, weil ich immer an Menschen in musealen Räumen appelliere, die sowieso meistens meiner Meinung sind. Früher, als ich richtig Politik gemacht habe, hatte ich natürlich eine breitere Öffentlichkeit. Aber ich habe darüber mit jemanden gesprochen - ich werde jetzt nicht den Namen nennen - aber jemand, der Kunst gemacht hat und jetzt richtig in die Politik gegangen ist und ich habe dieser Person gesagt: "Ich bewundere dich, das ist ein richtig logischer Schritt". Und diese Person hat gemeint, dass das gar nicht leicht war. Denn als Künstler ist man immer der Hofnarr, man hat diesen Sonderstatus. Du kannst dir viel mehr erlauben, als ein Politiker das darf. Als Künstler hast du diese Narrenfreiheit.

Aber ich bin ich aber immer noch viel auf der Straße. In letzter Zeit war ich viel in Russland. Zur ersten großen Demo in St. Petersburg bin ich hingeflogen. Da wollte ich dabei sein. Ich war so gerührt, dass jetzt auch endlich die Jugend auf die Straße geht. Früher dachte mir immer: "Mein Gott, was ist das für ein Land? Interessieren sich die Menschen nur für Konsum?" Das hat sich nun geändert. Es gibt nun auch eine irrsinnig politische Kunstszene. Davon kann man hier nur träumen.

Lass uns über deine aktuellste Arbeit reden, "Gulag": Du hast dich dafür mit dem Laster nach Russland begeben, auf den Weg deiner Spuren und der Gegenwart.

Es tut mir Leid, dass ich diese Arbeit erst so spät gemacht habe. Meine Oma ist letztes Jahr gestorben. Und ich habe die ganze Zeit versucht, von ihr etwas über die Zeit im Lager zu erfahren. Aber die ältere Generation in Russland, die wollte nicht über den Krieg und über nichts reden. Ich bin ich nach Perm geflogen. Von Perm fährt man dann weiter nach Solikampsk. Und die Geschichte meiner Familie ist sehr charakteristisch für die Zeit.

1930 hat Stalin Millionen Bauern enteignet. Die, die ein bisschen besser dran waren. Meine Familie besaß Kühe und ein Pferd und sie haben Äpfel verkauft auf dem Markt. Und deswegen galten sie schon als wohlhabend. Ihnen wurde alles weggenommen und innerhalb von 24 Stunden wurden sie mit Güterwaggons nach Sibirien geschickt und in Baracken ausgesiedelt. Wir sind mit diesem Lastwagen dann in diese Region gefahren und waren drei Tage unterwegs.

Du hast auf deiner Reise auch Maria Aljochina von Pussy Riot getroffen. Wie war das?

Diese Region ist dicht mit Straflagerkolonien bebaut. Das habe ich schon vorher gewusst, aber es war mir nicht so klar. Ich war erstaunt, wie viel Stacheldraht und wie viele Überwachungstürme man sieht. Ich wusste, dass Maria Aljochina irgendwo in einem Straflager ist, aber keiner hat gewusst, wo genau sie ist. In einem Gefängnis habe ich sie dann gefunden. Sie hat aber nur Anspruch auf ein einziges Treffen in zwei Monaten. Aber ich konnte ihr ein Paket zusammen stellen. Das habe ich dann auch getan, habe Hygieneartikel, Obst, Gemüse und Zigaretten in einen Sack gegeben.

Bei dir vermischt sich Politik, persönliches und Kunst. Ist es da manchmal schwer eine Grenze zu ziehen? Gibt es überhaupt eine Grenze in der ganzen Arbeit?

Nein, die gibt es eigentlich nicht. Ich habe nicht einmal ein Atelier. Und meine politischen Überzeugungen fließen sowieso voll und ganz in meine Arbeit ein. Denn in Russland wird es immer schlimmer. Die noch schärferen Gesetze bis hin zu Homosexualität, die verboten ist. Fürchterlich. Meine Heimatstadt St. Petersburg ist mittlerweile die absurdeste Stadt der Welt. Jetzt gibt es ein neues lustiges Gesetz: Man darf nach 23 Uhr nicht laut Sex haben, sonst wird man bestraft. Absurd!