Erstellt am: 28. 11. 2012 - 15:45 Uhr
Stalker
Ich bin mit den Büchern der Strugatzki-Brüdern aufgewachsen (der andere Bruder, Arkadij, starb 1991). Ihr erstes Buch - es war groß und gelb - fand ich in unserer Familienbibliothek. Die Gewerkschaft hat es meinem Opa aufgrund irgendeiner Feier geschenkt. Die kommunistische Propaganda hat versucht, Strugatzki-Bücher zu verwenden, ohne zu verstehen, dass sie jeden ideologische Rahmen brechen.
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Obwohl die Handlung in den Büchern von Strugatzki sich auf anderen Planeten und in parallelen Welten abspielt, kann man ihre Protagonisten überall um uns herum finden. Außerdem ist die Handlung so spannend, dass sie den Leser ab der ersten Seite an der Kehle packt und ihn bis zum Ende nicht loslässt.
In diesem dicken gelben Buch war die Novelle "Picknick am Wegesrand". Für viele Menschen überall auf der Welt ist das ein Kulttext. Der geniale Regisseur Andrej Tarkowski drehte darüber seinen Film "Stalker". In diesem Buch begeben sich Männer unter Lebensgefahr in ein Territorium außerirdischer Besucher, genannt die "Zone". Sie bringen aus der "Zone" außerirdische Artefakte heraus, die sie danach auf dem Schwarzmarkt verkaufen, um zu überleben. "Die Zone" unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von irgendeiner anderen Gegend auf der Welt, das einzige was fehlt, sind die Menschen.
Es fällt mir nicht schwer, mir die "Zone" vorzustellen. Meine Familie hat ein Haus in einem Balkandorf. Am Eingang des Dorfs hieß uns das Gebäude einer ehemaligen Fabrik für feuerfeste Materialien willkommen. Welcher Idiot entschieden hat, so eine Fabrik in einem Dorf zu bauen, wo es weder die Bodenschätze, noch qualifiziertes Personal gab, bleibt mir ein Geheimnis. Mit dem Einstürzen des kommunistischen Systems wurde die Fabrik geschlossen. Langsam wurden ihre Wände von Efeu und Wildminze erobert. Aber sie sah immer noch so aus, als ob die Kamine jeden Moment wieder zu rauchen beginnen könnten. Fast so, als ob eine außerirdische Kraft plötzlich die Menschen aufgesaugt hätte.
Mit Akzent
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Das war unsere "Zone". Mein Bruder und ich schlichen uns hinein, wie die Stalker. Wir fanden Gegenstände aus einer anderen Epoche, die wir wie wertvolle Schätze hüteten. Das alles verlief nicht ohne komische Ereignisse. Einmal fanden wir in der Zone ein Lenin-Porträt und gingen mit ihm durch das Dorf spazieren. Einige der Dorfbewohner sahen uns und klatschten in die Hände. Andere drohten uns Prügel an. Wie ich euch gesagt habe, war die Zone ein Abenteuer.
Heute ist meine Heimat voll mit solchen "Zonen". Verlassene Fabriken, Denkmäler und kooperative Agrarbünde gibt es überall. Die Menschen sind daran gewöhnt und bemerken sie gar nicht mehr. Unsere "außerirdische" Vergangenheit existiert ruhig in unserer Gegenwart. "Die Zonen" sind Denkmäler der Ungewissheit geworden: Wie gehen wir unsere Zukunft mit unserer Vergangenheit auf dem Rücken an?
Es herrscht ein Paradoxon. Der Stalker kann nicht leben, ohne die Zone zu betreten. Sie ist seine Liebe und sein Fluch. Ich kehre auch immer wieder in meine Zone zurück. Und bringe meine "außerirdischen" Geschichten mit, um sie auf dem Markt zu verkaufen.
Die Strugatzki-Brüder sind im Himmel. Sie sitzen auf dem schon 1977 nach ihnen benannten Planeten. Und sie zwinkern mir zu. Oder vielleicht sind das nur Wolken, die gerade vorbeiziehen.