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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

27. 11. 2012 - 16:01

Curiosity - Was find ich nur an dem Spiel?

Ist Peter Molyneuxs neustes Spiel ein soziales Experiment, ein Riesenbluff oder hat "Curiosity" doch das Zeug für eine kleine Revolution? Ich tippte mir für eine Antwort die Finger würfelwund.

Was tue ich eigentlich hier? Zusammen mit ein paar Hunderttausend anderen Versuchspersonen versuche ich seit Wochen einen riesigen Computerwürfel Pixel für Pixel abzutragen. In dessen Innerstem, versprach uns Spieleentwickler Peter Molyneux, warte ein Geheimnis mit lebensveränderndem Potential. Ein Videolink, den nur eine MitspielerIn finden werde und über dessen Gebrauch auch nur sie entscheide. Also: Was tue ich hier? Wieder mal auf eine Falle hereinfallen, die meine Schwäche ausnutzt: ein etwas zwanghafter Umgang mit repetitiven Aufgaben unter Niveau, sobald man zu ihrer Erfüllung Tastatur und Maus bedarf?

Der Würfel, um den es hier geht, ist natürlich der Curiosity-Würfel. Das erste Spiel aus Peter Molyneux neuer Computerspielfirma 22 Cans. Auf den ersten Blick ist „Curiosity – What’s in the Cube“ ein primitives Handyspiel mit einer einzigen Regel: den riesigen Pixelwürfel Würfelchen für Würfelchen und Schicht für Schicht abzutragen, bis nichts als dessen Geheimnis übrigbleibt. Aber mit jedem Klick verändert sich diese Aufgabe und wird die kritische Einordnung schwieriger. Denn so schillernd die Pixeloberfläche des Würfels ist, so sehr verändert das Spiel seinen Charakter. Mal wirkt es wie ein Spiele-Experiment, dann eher wie eine Finte, dann als Gameplay-Pleite, die aus den falschen Gründen süchtig macht, dann wieder wie eine Satire.

Es bilden sich neue Spielmechaniken heraus, die Regeln verändern sich, das Ziel sowieso, die soziale Ebene wird mal greifbarer, mal flüchtiger. Und je tiefer man in den Würfel dringt, desto ungreifbarer wird die eigene Motivation. Ist es Neugier – wie quasi von Molyneux befohlen? Oder ist es eine Art haptischer Erfüllungswahn, eine intellektuelle Leerstelle, die sonst Luftpolsterfolien füllen? Oder ist Curiosity wirklich auf solche Fragen hin angelegt, oder entstehen sie nur aus der rasenden Langeweile (aber mit mächtig Stress-Herzschlag, glaubt mir), die beim sinnlosen Geklöppel erblüht?

68.719.476.736 Würfelhölle

Der Curiosity-Würfel ist riesig und ihm näher zu kommen, eine Qual. Stimmen die Berechnungen, besteht er aus knapp 69 Milliarden Pixelwürfeln in insgesamt 2048 Schichten mit einer Kantenlänge von jeweils 4069 Würfeln. Nach drei Wochen haben angeblich 900.000 SpielerInnen bereits 50 dieser Schichten und damit ein paar Milliarden Würfel abgetragen. Die meisten Fingerstups für Fingerstups, ein paar mit den für Spielgeld erwerbbaren, großflächig wirksamen Werkzeugen.

Da die Oberfläche des Würfels quadratisch im Verhältnis zu dessen Kantenlänge abnimmt, beschleunigt auch die Rate, mit der Schichten abgetragen werden. Je mehr vom Würfel abgetragen worden ist, desto schneller schrumpft der Würfel. Eine Besonderheit des Curiosity-Würfels ist jedoch ein Phänomen, das man von sehr, sehr großen Gebäuden kennt. Obwohl man sich seinem Kern quadratisch beschleunigt nähert, scheint er seine Größe nicht zu verändern. Alles geht so langsam, dass sich das Klicken wie Stillstand anfühlt – bis kurz vor dem Ziel alles viel zu schnell gehen wird. Hunderttausende Spieler werden im Bruchteil einer Sekunde die letzten Zehntausend Steinchen wegklicken. So schnell, dass herkömmliche Vorstellungen von Ursache und Wirkung und vor allem einem fairen Spielverlauf nicht mehr greifen und nur mehr der Zufall entscheidet, wer denn nun Pixel Nr. 1 weggeklickt und sich damit die große Überraschung verdient hat. Wenn es Pixel Nr.1 denn wirklich gebe. Der letzte Zentralwürfel, rechnerisch, bestünde aus acht Würfelchen, vier pro Seite. Diesen bearbeiten dann im Bruchteil einer Sekunde Hunderttausende Menschen mit ihren schwach übers mobile Datennetz verbundenen Handys. Großes Chaos, reines Glückspiel ganz zum Schluss. Enttäuschendes Ende.

Hinter dem Würfel

Überhaupt: Der Curiosity-Würfel ist sehr, sehr groß. So groß, dass eine simple Durchnummerierung selbst jeweils nur der Pixel(=Würfelchen) der einzelnen aktiven Würfelseiten eine für die mobile Datenübertragung viel zu große Datenmenge wäre. Beispiel Layer 1: 4069 x 4069 = 16,8 Mio x 6 = 111 Millionen Pixel. Bei einer Farbtiefe von 8 Bit wären das also gut 125 Megabyte, die da zum Beispiel im Halbsekundentakt an jede SpielerIn übertragen werden müssten. Pustekuchen. Eine Echtzeit-Übertragung des jeweils aktuellen Würfelzustands ist über mobile Datennetze kaum möglich und selbst bei einer guten Internet-Anbindung im Falle von mehreren Zehn– bis Hunderttausend Spielern eine viel zu große Herausforderung für die Spielserver.

Das heißt, der sichtbare Würfel ist immer nur eine verspätete Annährung an den „echten“ Würfel, wie er rein mathematisch auf den 22-Cans-Servern steht. Egal, was man tut: man tut es eigentlich im luftleeren Raum. Tippen gerade zwei SpielerInnen auf der selben Stelle herum, entscheidet wohl ein Zufallsgenerator, wer das Gebiet zugesprochen bekommt und die Würfel des oder der anderen – verpuffen? Werden anderweitig verstreut? Sonst wie verarbeitet?

@knoke

Ich glaube, das zentral komische an Curiosity ist ein geduldeter Widerspruch: Wer das intensiv spielt, weiß, dass es vergeblich ist. Es ist spielerisch ein etwas besser organisiertes An-der-Luftpolsterfolie herumknibbeln. Bestenfalls ist das ein Zeitvertreib – für mich schlimmstenfalls aber ein Menschenhindernis. Einfach nur eine riesige Aufgabe, an der möglichst viele Menschen möglichst lange (aber nicht so lange, dass sie die Geduld/die Neugier verlieren) herumlaborieren.

Molyneux hat meine diesbezüglich schlimmsten Ahnungen in einem Interview schon bestärkt: In einem größeren Eurogamer-Interview räumt er ein, dass das Spiel nur eine Fassade ist und dass im Hintergrund die entscheidenen Dinge passieren:

"There's a surprise. There is something we haven't told everybody about when you play the cube. When you play the cube you're also doing something else. You don't realise you're doing it. You see, this technology we've got is amazing. It's all about persistence. Curiosity tests about connecting people together. But it also is about persistence. That's a clue. You're not just doing things in the cube. You don't realise it but you're doing something in something else as well at the same time."

Das könnte natürlich bedeutet, dass die ganze Klickarbeit irgendwie veredelt und für Molyneux nächstes Spiel, eine Mischung aus „Black & White“ und „Populus“, wie er auf dem Curiosity-Würfel enthüllte, verwertet wird. Vielleicht, dass aus den eigenen Klickmustern eine jeweils eigene Welt berechnet werden kann – oder von mir aus Würfelskulpturen gedruckt werden können. Ich glaube/befürchte aber, dass die Würfelklickerei nur ein Zeitschinder ist, damit im Hintergrund irgendeine tatsächlich relevante Rechenaufgabe in Ruhe von den mit dem Würfel unterbeschäftigten Handys gelöst werden kann. Man denke an Folding@Home oder das Seti@Home-Projekt. Verteilte Rechenleistung. Irgendein medizinischer Durchbruch, weil ein paar Hunderttausend Spieler sich ein paar Monate lang die Handgelenke und die Geduld kaputtgetippt haben?

Bandbreite und Naturgesetz

Vielleicht ist ja der spannendste Aspekt von Curiosity tatsächlich, dass dieser Würfel in seiner Schlichtheit die Fantasie anregt und SpielerInnen und EntwicklerInnen gleichermaßen zu Spekulationen und Berechnungen und viel, viel, viel Kritik anregt. Allein die technischen Diskussionen um Curiosity sind spannend genug: So ein Echtzeitwürfel ist derzeit nämlich schlicht unrealistisch. Die Vorstellung, dass viele Menschen für so etwas wie einen virtuellen Pyramidenbau (für die Nachwelt und so) versammelt werden könnten, scheitert an Bandbreite und Naturgesetzen.

Die Möglichkeiten wiederum, die sich aus dem so trivialen Setup ergeben, werfen ein Licht auf andere anstrengend süchtigmachende, langweilige Spiele: Was genau tun wir da eigentlich? Geht es wirklich um „Compulsion Loops“, „Behavioral Momentum“ oder „Blissful Productivity“, wie einem Neo-Spieleentwickler glauben machen wollen, oder doch um Neugier, wie Molyneux behauptet? Warum tun sich Menschen so etwas wie Curiosity an?

Und, so ist die kniffligste Frage vielleicht, was das Spiel für Peter Molyneux und Molyneux für das Spiel zu bedeuten hat. Denn sollte es wirklich nur Molyneux Begeisterungsmagie sein, die so viele SpielerInnen zum Würfel brachte, dann ist das wahre Spiel vielleicht gar nicht der Würfel, sondern eher ein Zaubertrick, den man anschauen, anfassen, drehen, sogar zerstören darf, um sein Geheimnis zu erfahren. Doch das freilich ist ständig im Besitz Molyneuxs und lebt nicht davon, was die SpielerInnen mit dem Würfel machen, sondern was Molyneux suggeriert.

Und genau das ist ja Molyneuxs Problem: Dieser Mensch kann begeistern. Aber er kann auch hervorragend enttäuschen. Und dabei immer geheim halten, ob seine vollmundigen Ankündigungen und seine groß erzählten Visionen täuschende Werbung sind, eine nie einzuhaltende Verheißung oder tatsächlich Ausdruck der Begeisterung und Neugierde eines spannenden Kopfes.

Molyneux selbst schillert und ist gleichzeitig so transparent und opak wie sein Würfel. Man möchte in ihm gerne das Spiele-Genie sehen und er bietet einem auch ständig an, ihn so zu sehen. Aber er muss die Erwartungen gar nicht erfüllen oder er erfüllt sie ganz anders oder er weckt einfach neue. Letztlich ist sein größtes Vermögen eh, dass er einfach Dinge sagt und tut, die kaum jemand in der Spielebranche zu sagen und tun vermag. Das zeichnet ihn in dem Maße aus, wie es die anderen herabsetzt. Molyneux ist das Symbol für das, was noch schief läuft in der Spieleszene – und sein Würfel vielleicht auch nur sein Hinweis: Bei Spielen geht es letztlich um Begeisterung und nicht um Spiel-Theorien und kaltes Design. Der Würfel funktioniert, weil Molyneux als begeisterter Spieleerfinder funktioniert.

Riesenluftpolsterfolie

Ich für meinen Teil habe Frieden mit dem Spiel gemacht: Ich bin relativ neugierig, wie es aufgelöst wird – aber rechne mit einer Enttäuschung. Ich sehe die anderen Spieler (beim Würfel-Update alle Minute) beim Wegtippen und fühle mich sogar ein klein wenig mit ihnen verbunden – aber letztlich sind sie mir egal. Ich horte Spielgeld – aber nutze es nicht, weil das mit noch mehr Stress verbunden wäre. Ich warte auf neue Spiele, die die Entwickler mit dem Spiel spielen werden (etwa, in dem die Bilder der Würfelseiten irgendwie interessanter genutzt werden. Höhepunkte bisher: das Bild eines Curiosity-Würfels und die Werbung für das neue Molyneux-Spiel) – aber bin auch total zufrieden mit einer Riesenluftpolsterfolie.

Denn das schönste an Curiosity finde ich immer noch, dass das eine so dermaßen große Aufgabe ist: 80 Milliarden Würfelchen / 3 Finger / X00.000 Spieler. Das ist auch total anmaßend. Aber nicht mehr lange, dann ist das Dinge weggeklickt und alle – hoffentlich außer 22 Cans – werden sich total den Kopf darüber zerbrechen, was man von Curiosity lernen kann, um noch mehr Geld zu machen. Ich klicke derweil weiter stupide vor mich hin und höre ein wenig Radio oder Podcast oder denke einfach ein wenig sinnlos in der Gegend herum. Man verpasst ja doch nichts.