Erstellt am: 26. 11. 2012 - 19:26 Uhr
Im Lager Traiskirchen wird durchgezählt
Seit Samstag schlafen im Wiener Sigmund-Freud-Park in Wien rund 70 Flüchtlinge in einer kleinen Zeltstadt. Der Wind bläst durch die Zeltplanen, Nieselregen, Temperaturen um die Fünf Grad. Die Schlafsäcke liegen teilweise auf Holzpaletten und Isomatten. Jeder Zentimeter Abstand zum kalt-nassen, matschigen Boden zählt.
100 AsylwerberInnen aus der Aufnahmestelle Traiskirchen sind am 24. November, nach Wien marschiert. Nach dem 35-Kilometer-Fußmarsch haben sie ein Protest-Zeltlager in Wien errichtet.
Fremdsprachige Gemeinde
Die Zelte stehen gegenüber der geschichtsträchtigen Votivkirche. Als Ruhmeshalle für große Österreicher ist sie seinerzeit konzipiert worden. Noch heute zeigt sie das mit kleinen Gedenkschreinen diverser K.u.K.-Militäreinheiten. Heute soll es aber ein „kosmopolitisches“ Gotteshaus sein, Heimstätte der verschiedenen fremdsprachigen Gemeinden in Wien. Ein durchaus passender Ort für ein „Refugee-Camp“.
APA / Herbert Pfarrhofer
Erhitzte Gemüter
In den scheinbar unbändigen Weiten des Internet gibt man sich aber weniger kosmopolitisch. Das Protestcamp der Asylsuchenden trifft einen Nerv. Keinen Guten. Von „Asylmissbraucher-Aktionismus-Camp“ ist da zum Beispiel im Presse-Forum zu lesen, oder von „Subventionsmaden, [… ] die Forderungen zu stellen beginnen“. Bei einer anderen Qualitätszeitung, dem Standard klingt der Tenor ähnlich: „Die Wirtschaftsflüchtlinge schaden dem Asylwesen“. Findige Pointen-SchreiberInnen texten und fragen sich dazu: ob die Flüchtlinge jetzt auch noch ein „Sackerl fürs Gackerl“ und „Mobilklos“ für ihr „Partycamp“ vom Steuerzahler fordern wollen. Ähnlich zornig geht es auch in den weniger illustren Foren zu.
Hilfesuchende, die ihre Rechte einfordern, das ist selbst den Aufgeklärten ein Dorn im Auge. Da wird an den Grundfesten der österreichischen "G‘schamster-Diener-Mentalität" gerüttelt.
Dürfen Asylsuchende Forderungen stellen?
Auf einer Pressekonferenz haben die Protestierenden heute noch einmal ihre Forderungen klar gemacht: Sie wollen arbeiten dürfen und Deutsch lernen, solange die Asylverfahren laufen. Sie wollen nicht untätig herumsitzen und dem Staat auf der Tasche liegen. Sie fordern schnellere Asylverfahren und neue und bessere DolmetscherInnen in der Asyl-Erstaufnahmestelle Traiskirchen. Für viele Sprachen gäbe es dort keine oder unqualifizierte ÜbersetzerInnen, so die Kritik. Das führe zu Nachteilen in den späteren Asylverfahren und damit sinke die Chance auf eine positive Entscheidung. Eine bewusste Taktik, sei das, sagt eine der Aktivistinnen. Namen werden nicht genannt. Sie wolle als Flüchtling wahrgenommen werden, die ihre Menschenrechte einfordert. "Nicht mehr und nicht weniger".
APA / Herbert Pfarrhofer
Bei der Pressekonferenz wird zudem kritisiert, dass das Lager Traiskirchen überlastet sei. Die Flüchtlinge bekämen unzureichendes und schlechtes Essen und die Lebensbedingungen seien generell sehr schlecht. Das Innenministerium widerspricht dieser Darstellung: Die Unterbringung sei menschenwürdig und die Leistung der DolmetscherInnen in Ordnung.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wird zudem in den kommenden Tagen entscheiden, ob sie Not-Unterkünfte für Flüchtlinge zur Entlastung der Asyl-Erstaufnahmestelle Traiskirchen errichten lässt. Dann läuft nämlich die den Ländern gesetzte Frist zur Bereitstellung zusätzlicher Plätze aus. Sollten bis dahin nicht genug Quartiere vorhanden sein, werden in den säumigen Ländern Flüchtlinge wohl in Containern und Kasernen untergebracht: "Unser Plan B ist fertig", so Mikl-Leitner auf Anfrage der APA.
APA / Roland Schlager
Josef Hader und Ute Bock besuchen Protestcamp
Unterstützung haben die Flüchtlinge bei der Pressekonferenz von der Flüchtlingshelferin Ute Bock und dem Kabarettisten Josef Hader bekommen. Bock zeigte sich in einem kurzen Statement verärgert, dass es nicht möglich sein soll, ausreichend Quartiere zu finden, um den Belag in Traiskirchen zu reduzieren. Denn das Geld dafür sei da und der Platz auch. Hader fand es gut, dass sich die Flüchtlinge in die Innere Stadt begeben hätten, damit ihre Probleme in den Blickpunkt der Gesellschaft rücken.
Hungerstreik
Wie lange die Flüchtlinge trotz erheblichen Gegenwind von allen Seiten durchhalten wollen, ließen sie offen. Jedenfalls wolle man bleiben, bis die Forderungen erfüllt seien. Im äußersten Fall würde man sogar in den Hungerstreik treten, erklärte eine Aktivistin.
Bei der sogenannten Standeskontrolle, also der Anwesenheitskontrolle der Bewohner in Traiskirchen werden sie auf jeden Fall fehlen. Diese sind im Übrigen seit dem Abmarsch der 100 Flüchtlinge aus Traiskirchen zweimal durchgeführt worden.