Erstellt am: 26. 11. 2012 - 18:35 Uhr
MetaMaus
Zugegeben, die Vorstellung ist nicht ganz einfach: Da zeichnet jemand einen Comic über den Holocaust. Die Juden werden als Mäuse dargestellt, die Nazis als Katzen, die Polen als Schweine. Der Autor erzählt die Geschichte seiner Eltern, polnischen Juden, die Auschwitz überlebt haben. Dieser Comic hat den einfachen Titel "Maus".
1987, nach dem Erscheinen des ersten Teils von "Maus" wird Art Spiegelman auf der Frankfurter Buchmesse von einem deutschen Journalisten gefragt, ob er einen Comic über den Holocaust nicht geschmacklos fände. Seine Antwort: "Nein, ich finde der Holocaust war geschmacklos."
Art Spiegelman
Art Spiegelman
Art Spiegelman: MetaMaus.
Aus dem amerikanischen Englisch von Andreas Heckmann. S. Fischer 2012
Dem Comiczeichner Art Spiegelman stellen Journalisten und Studierende immer wieder die gleichen Fragen: Warum Comics? Warum Mäuse? Warum der Holocaust?
Weil er diese Fragen nicht mehr hören will, gibt er jetzt äußerst ausführliche Antworten in MetaMaus.
Ein gut 300 Seiten starkes Buch mit einer beigelegten DVD – ein Informationspaket, das in seinem Umfang und seiner Detailliertheit neue Maßstäbe setzt. Hier werden Ideen, Überlegungen, Skizzen und fertige Seiten ebenso gezeigt wie Familienfotos, Dokumente, Korrespondenzen und private Videoaufnahmen. Vor allem aber stundenlange Mitschnitte der Gespräche zwischen Vater und Sohn.
Ursprünglich wollte Spiegelman zwei Jahre an dem Comic arbeiten. 13 Jahre sind daraus geworden. Dass das in dieser Zeit gesammelte Material gesichtet und geordnet wurde, ist hauptsächlich der Literaturwissenschaftlerin Hillary Chute zu verdanken. Sie bekam 2006 erstmals Zugang in das Archiv von Spiegelman. Er selbst habe sich lange gegen eine Aufarbeitung gesträubt, erklärt er, zu schwer lasteten die Geister der Familie, der Totengestank der Geschichte und seine eigene Vergangenheit auf ihm.
Der Großteil des Buches besteht aus einem Interview, das Hillary Chute mit Art Spiegelman führt.
Darin erzählt Spiegelman offen von seinem schwierigen Vater-Sohn-Verhältnis und erklärt wie die schwere Vergangenheit seiner Eltern auf das Familienleben gedrückt hat: Die Eltern, Wladek und Anja Spiegelman, haben Auschwitz und andere Konzentrationslager überlebt, während ihr ältester Sohn, Richieu, und der Großteil der Familie ermordet wurden. Diese Gräueltaten werden in der Familie totgeschwiegen. Als etwa seine Mutter von seinen Freunden gefragt wird, was es mit der tätowierten Nummer auf ihrem Arm auf sich hat, erklärt die Mutter, das sei eine Telefonnummer, die sie nicht vergessen wolle.
Die Familie versucht ein amerikanisches Leben zu führen. Der Sohn Art sozialisiert sich mit Comics und wird später Comiczeichner.
1968 begeht die Mutter Suizid. Vater und Sohn stürzen in eine Krise. Erst einige Jahre später kann Art Spiegelman das schwierige Verhältnis zu seinem Vater verbessern. Im Gespräch über die Vergangenheit der Eltern finden sie eine Art Vertrautheit.
In zahllosen Besuchen nimmt Art diese Erinnerungen seines Vaters auf. Üblicherweise sitzt der Vater auf seinem Hometrainer und erzählt, während er in die Pedale tritt.
Die Situation auf dem Hometrainer ist auch auf den ersten Seiten von Maus festgehalten.
All diese Gespräche sind im hinteren Teil des Buches transkribiert und auf der beigelegten DVD (die leider recht lieblos gestaltet ist) nachhörbar.
Parallel zu diesen Gesprächen recherchiert Art Spiegelman. Auch darüber erzählt er in Metamaus. Über die Anfang der 1970er Jahre nur spärlich vorhandene Literatur zum Holocaust, über Bücher, die er bei seiner Mutter gefunden hat. Die wichtigsten Bücher sind übrigens auch auf der DVD eingescannt vorhanden.
Um sich selbst ein Bild zu machen, fährt Spiegelman zweimal nach Polen. Das zweite Mal 1987 mit einem Fernsehteam vom ZDF, das eine Doku über ihn drehen will. Dem stimmt er nur zu, weil er dadurch Einblick in verschiedenste Archive erhält. Seine Frau Francoise begleitet ihn und filmt diese Reise. Dieses Video ist ebenfalls auf der beigelegten DVD zu finden.
Das Besondere der DVD ist aber die vollständige Ausgabe der Graphic Novel Maus. Seite für Seite kann man sich durch die deutschsprachige Ausgabe klicken. Links neben jeder Seite wird in einer Spalte mögliche Zusatzinformation angeboten: etwa Audiofiles, Videos, Dokumente oder Seitenentwürfe. Und auf jeder Seite sind einzelne Panels, also Bilder markiert. Klickt man diese an, sieht man vorhergehende Skizzen.
Metamaus die äußerst komplex aufgearbeitete Datensammlung eines Comics, die auch in der Literatur ihresgleichen sucht. Ein wertvolles Zeitdokument - das nur in seiner Gestaltung etwas schwächelt.
Ganz nebenbei erfährt man viel über das Wesen, den Aufbau und die Wirkung von Comics. Einmal mehr setzt Art Spiegelman einen Meilenstein in der Comicwelt.