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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

26. 11. 2012 - 11:23

Zimmer, Kommunisten, Kabinett

Graz wählte gestern den Gemeinderat - und die KPÖ landete mit zwanzig Prozent der Stimmen auf Platz 2. Was wollen die Grazer Kommunisten?

Wahlbeteiligung: 52,8 Prozent. Oder anders gesagt: Fast die Hälfte der Stimmberechtigten ging überhaupt nicht wählen.

Noch vor wenigen Tagen wurde eine Wahlprognose, dass die KPÖ die zweitstärkste Partei bei der Grazer Gemeinderatswahl werden würde, von manchen als Spin der ÖVP abgetan. Zwanzig Prozent der Stimmen an die KPÖ? So viele WählerInnen konnte der Kommunist Ernest Kaltenegger am Höhepunkt seiner Bekanntheit 2003 für seine Partei gewinnen. Zwei Jahre später zogen die Kommunisten auch in den steirischen Landtag ein. Und gestern freute sich die aktuelle Spitzenkandidatin der Grazer KPÖ, Elke Kahr, über rund zwanzig Prozent. Tatsächlich.

Die Grazer Kommunisten sind ein politisches Phänomen in Österreich. Reiht sich Graz nun zu China, Kuba, Nordkorea ein? Hat das österreichische Schulsystem versagt und was werden die AmerikanerInnen nun von Arnies Graz denken?
Außenstehende und vielleicht auch GrazerInnen tun sich schwer, den Erfolg der KommunistInnen zu verstehen.

Der Blick auf eine Dachlucke des Grazer Kunsthauses auf den Schloßberg ähnelt dem Mond am Himmel

Maria Motter | Radio FM4

Kommunaler Aktivismus

Man zoome sich nach Graz und ins Rathaus. Die Treppe bis in den zweiten Stock hinauf - wie es ein Schild am Lift als gut für die Gesundheit empfiehlt - und den Gang entlang zum Büro der Wohnungsstadträtin Elke Kahr. Dort bekommt man Antwort auf die Frage, was die Grazer KommunistInnen unter "Kommunismus" verstehen.

Doch die meisten, die in dieses Büro ins Rathaus kommen, haben andere Sorgen. Gern erzählt Elke Kahr mit explizierter Namensnennung, wer weswegen bei ihrer Tür hereinkommt. Eine Frau zum Beispiel, die nach einer Scheidung, in einer für sie zu großen, weil nicht mehr leistbaren Wohnung zurückbleibt, nachdem die fünfköpfige Familie in Auflösung begriffen ist, und der exakt Null Euro zum Leben bleiben nach Abzug von Miete und Strom. Oder eine andere, die sich trotz Arbeit die Reparatur des Boilers im Bad nicht leisten kann. Die eine wird um eine Gemeindewohnung ansuchen. Die andere eine Zuzahlung für den Boiler bekommen. Die Politikerin Kahr verwendet einen beträchtlichen Teil ihres Gehalts für konkrete Hilfe an andere. Wie alle KPÖ-Mandatare behält sie laut Angaben der Partei maximal 2.000 Euro ihres Einkommens, der Rest geht an soziale Zwecke.

Die Spitzenkandidatin der KPÖ Elke Kahr und ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl

APA / Georg Hochmuth

Die Spitzenkandidatin der KPÖ Elke Kahr und Siegfried Nagl von der ÖVP.

"Helfen statt reden" war der Slogan der Kommunisten zur Wahl. Auf Wahlgeschenke hat man verzichtet, um nach eigenen Angaben mit dem dafür gedachen Geld Sitzbänke im öffentlichen Raum zu stiften.

Klarerweise werden die Spenden der zukünftigen zehn Mandatare der Grazer KPÖ nicht alle Boiler der Stadt bezahlen können. Abgesehen von der Not privater Haushalte: Die Schulden der Stadt Graz selbst belaufen sich auf 1,1 Milliarden Euro. Aber die KommunistInnen haben sich einen Ruf als konkrete Anlaufstelle geschaffen, vor allem in ihrem Spezialgebiet Wohnen.

Eine Lobby für arme Leute

So schaut der zukünftige Grazer Gemeinderat aus (im Vergleich zur letzten Zusammensetzung): ÖVP mit 17 Sitzen (minus sechs), die KPÖ mit zehn Sitzen (plus vier Sitze) die SPÖ mit sieben Sitzen (minus vier), die FPÖ ebenfalls mit sieben (plus eins) und die Grünen mit sechs Sitzen (minus eins). Draußen ist das BZÖ. Einziehen wird ein Pirat - für eine Partei, die sich erst vor wenigen Monaten neu formiert hat, ein beachtlicher Erfolg.

"Ein Bad für jede Gemeindewohnung" war Ernest Kalteneggers Wahlslogan vor sieben Jahren. Nicht nur BewohnerInnen der Triestersiedlung im Bezirk Gries, die direkt von Kalteneggers inzwischen abgeschlossener Sanierungsoffensive der städtischen Wohnhäuser profitierten, haben sich das gemerkt. Und weil es in Gemeindebauten auch nicht immer reibungslos zwischen den Parteien zugeht, will man das Nachbarschaftsservice, das bei Konflikten vermittelt, ausweiten.

Die KPÖ in Graz ist bekannt für ihr Engagement für arme Menschen, für sozial und finanziell Schwache. Im Bezirk Gries, der als Scherbenviertel verschrien war und dessen Anteil an migrantischen und ausländischen BewohnerInnen stets hervorgehoben wird, gingen die meisten Stimmen an die KPÖ. Die Wahlmotivforschung ortet viele Selbständige unter den Wählern der KPÖ.

Mir sind die Kommunisten aber auch als akzeptable Proteststimme Gut-Bürgerlicher bekannt - eine subjektive Wahlforschung. Zumal man die Kommunisten nicht fürchten müsse, wie die gebürtige Grazerin Elke Kahr immer wieder betont. Arbeit und Reichtum gerecht verteilen, lautet ihre politische Botschaft. "Das tägliche Leben muss leistbar sein", hieß es beim Aufmarsch am ersten Mai, an dem fünfhundert Menschen teilnahmen. Soviel zur Basis.

In Elke Kahrs Büro hängt auch kein Bild von Che Guevara, sondern ein imposantes, weil riesiges Porträt Bertha von Suttners. In sich schlüssig, doch für Österreich im Jahre 2012 eigen mag die Haltung der Kommunistin zur Europäischen Union anmuten: Wenn die Entwicklung so weiterginge, könnte sich die KPÖ einen Austritt aus der Europäischen Union vorstellen, so Elke Kahr vor der Wahl. Statt Argumenten beruft sich die 51-jährige Kahr dabei auf ihren Eindruck, dass die EU zu einer Entsolidarisierung unter den Menschen geführt habe.

Was wollen die KommunistInnen in Graz?

Zur Geschichte der KPÖ:
Im November 1918 wird die Partei gegründet, Anfang 1919 waren die Kommunisten auch in der Steiermark aktiv. 1933 wurde die KPÖ verboten. Im April 1945 war sie eine der drei anerkannten Parteien und Mitglied der provisorischen Regierung. In der Steiermark schaffte es Ernest Kaltenegger 1983 in den Gemeinderat, etabliert hat sich die Partei erst 1998 mit vier KP-Mandaten in Graz.

Die Grazer KPÖ will seit Jahren eine Nahverkehrsabgabe, ähnlich der U-Bahn-Steuer in Wien. Der seit 1993 geforderte Sozialpass, der sozial Bedürftigen mit einem Einkommen unter 912 Euro Ermäßigungen in öffentlichen Einrichtungen zugesteht - etwa den Bezug einer Jahreskarte für die Öffis der Stadt um fünfzig Euro -, wurde vor einigen Monaten als "Sozialcard" eingeführt.
Was direkte Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungen angeht: Für Befragungen von BürgerInnen verweisen die Kommunisten auf das Volksrechtegesetz. Sie unterstützen die überparteiliche Protestplattform "Rettet die Mur", die sich gegen die Errichtung eines geplanten Kraftwerks Graz-Puntigam einsetzt, und schlossen sich der Plattform 25 an, um auf Landesebene gegen drastische Einsparungen im Sozialbereich zu demonstrieren.

Grundsätzlich sind die Grazer KommunistInnen gegen den Verkauf oder die Schließung öffentlicher Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Schulen. Von der neuen Stadtregierung forderte Kahr bereits vor der Wahl die Garantie, keine Gemeindewohnungen zu verkaufen. Die KommunistInnnen in Graz haben eine Kernkompetenz und dafür wurden sie gewählt. Wie sie Forderungen tatsächlich umsetzen und vor allem finanzieren wollen, müssten sie erst zeigen.

Detail einer Grafik im GrazMuseum

Maria Motter | Radio FM4

Haben sich wohl viele WählerInnen gedacht. Detail einer Grafik im GrazMuseum

Doch von Regieren war bislang nie die Rede. Abkommen über Teilbereiche - wie zuletzt mit der schwarz-grünen Koalition - kann sich Elke Kahr vorstellen. Mit dem Wohnressort wäre die KPÖ auch weiterhin gut beschäftigt: Nicht nur die Luft in der Stadt wird dicker, vergangenen Oktober hat die 300.000ste Person ihren Wohnsitz in Graz gemeldet. Als Maßnahme gegen die hohen Feinstaub-Werte in der Stadt nennt die KPÖ Gratis-Öffis für alle an "Feinstaubtagen" und einen Stopp der Tariferhöhungen für die öffentlichen Verkehrsbetriebe.

Was in Graz geht, wird man in den nächsten Wochen sehen - Stichwort schwierige Koalitionsbildung. Fest steht: Das Wahlergebnis ist auch eine Absage an die ÖVP mit Bürgermeister Siegfried Nagl, die mit ihrer Verbots- und Regulierungspolitik, mit BürgerInnenbefragung und vorzeitigem Beenden der Koalition mit den Grünen nun nicht so punkten konnte, wie in Prognosen erwartet.