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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

26. 11. 2012 - 12:15

Der Griff Russlands nach der "Cloud"

Der Normierungsexperte Tony Rutkowski über den Schachzug von Russland, Iran und Co auf dem kommenden Weltgipfel der International Telecommunication Union (ITU).

Je näher das Datum des Gipfeltreffens der International Telecommunication Union (ITU) rückt, desto mehr kritische Stimmen werden laut. Am vergangenen Donnerstag hatte das EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in der die ITU in ungewöhnlich scharfen Worten aufgefordert wird, die Finger vom Internet zu lassen.

Die Resolution bezieht sich auf einen Vorstoß Russlands im Rahmen der ITU, der auf die Möglichkeit einer Quasiverstaatlichung des Internets bis hin zur Domainvergabe auf nationaler Ebene hinausläuft. Das steckt hinter Begriffen "Souveränität" und "nationale Sicherheit", mit denen der Antrag gespickt ist.

Russische Wutanfälle

Das eigentliche, nicht-deklarierte Ziel Russlands und anderer Staaten aber ist der Zugriff auf "Cloud Computing", also Facebook, Google+ usw. Das steht zwar nicht wörtlich im Antrag , kam aber bei einer Sitzung der entsprechenden Arbeitsgruppe im Sommer zur Sprache, das bestätigte der Normierungsexperte Anthony Rutkowski gegenüber ORF.at.

"Das ist einem russischer Geheimdienstmann, der eine führende Rolle in der Gruppe spielte, im Juni bei einem Wutausbruch herauѕgerutscht", schreibt Rutkowski, der über jahrzehntelange Erfahrung in Normierungsgruppen für Telefonie und Internet verfügt. Der Geheimdienstler habe auf der Sitzung im Juni die Teilnehmer angebrüllt, er werde "Google und Apple in die ITU zwingen, um sie zur Verantwortung zu ziehen."

Die Post- und Telegraphenämter

Auf dem Treffen vom 3. bis zum 14. Dezember in Dubai sollen die "International Telecommunication Regulations" (ITR) modernisiert werden. Das ist auch angebracht, denn die ITR stammen aus dem Jahr 1988, als vom World Wide Web noch keine Rede war. Die ITU regelte aber auch danach ausschließlich Agenden aus der alten Welt der Post- und Telegraphenämter. Mit der Entwicklung des Internets hatte die ITU bis dato überhaupt nie zu tun.

Tony Rutkowski ist in einer großen Zahl anderer internationaler Gremien tätig. Im Technischen Komitee ETSI TC LI ist er Berichterstatter für den standardisierten "E-Warrant", einen elektronischen Durchsuchungsbefehl für Datensätze bei den Telekoms. Aus TC LI ("Lawful Interception") kommen aktuell die Vorgaben für die "gesetzmäßige Überwachung der Cloud".

Die weltweite Kritik entzündet sich sowohl am Prozedere hinter geschlossenen Türen - bei der ITU sind staatliche Organe und Telekoms unter sich - als auch am Vorhaben, plötzlich das Internet betreffende Resolutionen zu verabschieden. Diesen Schachzug hatte Russland zusammen mit anderen Staaten, die alle gemeinsam haben, dass es keine freien Wahlen gibt, seit Jahren vorbereitet.

"Einer der besseren Schachzüge"

"Die Übernahme einer aufgelassenen ITU-T Arbeitsgruppe war einer der besseren Schachzüge von Russland und Konsorten während der letzten Jahre", schreibt Tony Rutkowski. Unter dem Titel "Interoperabilität" habe man dann versucht, der Arbeitsgruppe eine Exekutivcharakter zu verleihen, schreibt der Experte für Telekom- und Internetstandards.

"Interoperabilität" der nationalen Telekoms ist nämlich seit Anbeginn eine Kernaufgabe der ITU. Eine zweite ist die Harmonisierung der Vergabe der internationalen Funkfrequenzen um wechselseitige Störungen zu vermeiden.

Ziel der Aktion

Da sämtliche Dokumente und Unterlagen der ITU-Arbeitsgruppen unter Verschluss gehalten werden, werden die auffindbaren Dokumente als "Leaks" auf verschiedenen Websites wie Cryptome publiziert.

Dieses Vorhaben der Russen ziele darauf ab, eine "ITU Mark" zu definieren, eine Art Zertifikat für Konformität mit ITU-Normen, sagt Rutkowski. "Der Schachzug in der ITU-T Arbeitsgruppe war, die Regulierung von Cloud Computing als technischen Standard zu etablieren."

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Wo immer die nächste Internet-Treibjagd auf Oppositionelle veranstaltet wird - wie 2009 im Iran - hätten die Regimes dann eine Art Rechtstitel dafür. Wenn dann unter Berufung auf "nationale Sicherheit" und "Souveränität" das Internet zensiert, überwacht oder komplett abgeschaltet wird, wie in Ägypten, könnte man sich auf diese "ITU Mark" berufen. Und die hat durchaus offizielles Gewicht: Die ITU ist bekanntlich eine UNO-Teilorganisation.

China, Saudi Arabien, Iran

Dass die 193 ITU-Mitgliedsstaaten mehrheitlich politische Strukturen haben, die dem russischen System weiter eher ähneln als europäischen Standards, macht das Vorhaben allerdings gefährlich. China, Saudi-Arabien, Iran und andere Staaten dieses Kalibers haben ebenfalls Interesse daran, das Netz so weit wie möglich unter die Fuchtel der ITU zu bringen.

Die unbestreitbare derzeitige Dominanz der USA über das Internet ist natürlich für "antikolonialistische" Rhetorik gut geeignet. Administration, Domainvergabe, Root-Server usw. werden ebenso von den USA dominiert, wie US-Firmen den Wirtschaftsraum Internet von der Hardware-Infrastruktur bis hin zu den Services haushoch beherrschen.

Von Venezuela bis Äthiopien, von Turkmenistan bis Zimbabwe können sich Russland und Co der Unterstützung sicher sein. Werden sie damit auch durchkommen? Rutkowski: "Wahrscheinlich nicht."