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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

25. 11. 2012 - 16:34

Blut und Schneegestöber

Ein Interview mit dem österreichischen Regisseur Stefan Ruzowitzky über seinen neuen Thriller "Cold Blood", den Oscar und die Folgen und wie Hollywood derzeit tickt.

Eine ganz spezielle Vorliebe der deutschen Verleiher ist es wohl angloamerikanischen Filmen einen neuen englischen Titel zu verpassen. Vor allem im Actionbereich türmen sich in den Videotheken etliche Beispiele für diese seltsame Praxis.

Vom Kino-Blockbuster zum B-Movie

Aus "Deadfall", dem Hollywood-Debüt des österreichischen Regisseurs Stefan Ruzowitzky, wurde auf diese Weise ein Film namens "Cold Blood". Als ich den sympathischen Oscarpreisträger ("Die Fälscher") darauf anspreche, winkt er grinsend ab. "Der Film hat zuerst schlicht 'Kin' geheißen, dann wurde er auf 'Blackbird' umgetitelt, im deutschen Sprachraum heißt er jetzt 'Cold Blood', ich habe da selber ja wenig Mitspracherecht bei diesen Entscheidungen."

Sehr wohl eingemischt hat sich Ruzowitzky in das Casting des Hinterwäldler-Thrillers, das mehr als beachtlich wirkt. Der auf undurchschaubare und komplexe Figuren abonnierte Eric Bana und die charismatische Olivia Wilde treffen auf legendäre Charaktermimen wie Kris Kristofferson und Sissy Spacek.

Vor allem der Anfang des Films löst Assoziationen an manche Werke der Coen Brüder oder des unterschätzten Noir-Spezialisten John Dahl aus. Ein Wagen kämpft sich da durch schneeverwehte Straßen in der amerikanischen Provinz. Vorne sitzt ein rücksichtsloser Ganove namens Addison (Bana), am Rücksitz zählt seine bildhübsche Schwester Liza (Wilde) jede Menge Geld von einem Casinoüberfall.

Cold Blood

constantin film

Nach einer Kollision mit einem Tier überschlägt sich das Auto. Die kriminellen Geschwister überleben den Unfall und flüchten in die umliegenden Wälder. Zuvor erschießt Addison noch einen Polizisten, der helfend eingreifen will, mit den Worten "I hope you can forgive me".

Was wie ein im wahrsten Sinn des Wortes eisiges Zweipersonen-Drama beginnt, wird schnell zu einem Ensemble-Stück. "Cold Blood" handelt nur zum Teil von den zwielichtigen Geschwistern Addison und Liza. Da sind auch weitere gestrauchelte Charaktere und Antihelden im Spiel - bis am Ende des frostigen Thrillers alle Hauptfiguren bei einem Thanksgiving Dinner aufeinander treffen.

Stefan Ruzowitzky hat sichtlich seine US-Genrelektionen gelehrt. "Cold Blood", diese Mischung aus Neo-Noir, Westernanklängen und bodenständigem Familiendrama, wirkt wie ein uramerikanischer Film. Allerdings wie einer aus den Siebzigern oder Achtzigern muss man dazusagen. Auf die omnipräsente Ironie, die seit Joel und Ethan Coen durch ähnliche Streifen geistert, verzichtet der Oscar-Preisträger nämlich ebenso wie auf gängigen Zynismus oder angesagtes Handkamera-Gewackel.

Ganz geradlinig dirigiert Ruzowitzky seine Stars durch das grimmige Szenario. Dieser Verzicht auf postmoderne Referenzspiele verleiht dem Film einen fast schon altmodischen Touch, der ihn sicher nicht so leicht vermarktbar macht. Straight ist das Schlüsselwort hier, "Cold Blood" alias "Deadfall" ist ein solider, unterkühlter Thriller, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Cold Blood

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Stefan Ruzowitzky im Interview

Die eine Frage, die sich gleich am Anfang aufdrängt: Wenn man mit dem Oscar in Hollywood reüssiert, trudeln dann viele Angebote ein? Und wenn ja in welche Richtung?

Stefan Ruzowitzky: Es trudelt vieles ein, ja. Wobei man aber wissen muss oder schnell lernt, dass ein Hollywood-Angebot noch weit davon entfernt ist, einen Film zu machen. Oft bekommen zehn Kollegen für einen Film dasselbe Angebot. Wenn man dann den Zuschlag bekommt, geht es auch noch darum, dass der Film finanziert wird. Was meistens nicht der Fall ist. Die Angebote sind also nicht das Problem.

Das Wort "Development Hell" hat also seine Berechtigung?

Allerdings (lacht). Wobei es grundsätzlich schon großartig ist. Und mit dem Oscar in der Hand darf man mitspielen bei den großen Jungs, wie du gesagt hast, aber da gibt es halt viele, die den Oscar in der Hand halten oder eine goldene Palme oder einen Kassenknüller gedreht haben. Und dann muss man sich halt wieder weiter hinten anstellen.

Beim österreichischen Film fragt man sich immer, fast schon klischeehaft, warum hier niemand Thriller dreht? Muss man, wenn man richtiges Genrekino drehen will, wirklich nach Hollywood gehen?

Eigentlich ja, ganz ehrlich. Das mit Österreich ist eine verflixte Sache, es ist halt ein kleines Land. Man konnte das ja bei Andreas Prochaska beobachten. Der hat einen großartigen Genrefilm gemacht, wo die Leute waschechtes Oberösterreichisch sprechen und sich dann gegenseitig massakrieren ("In drei Tagen bist du tot" 1 & 2, Anm.). Mit sowas hat man halt dann schon am deutschen Markt Probleme. Es ist schwierig mit Genrekino aus Österreich, ich persönlich glaub nicht wirklich dran.

Cold Blood

constantin film

Darf ich nach dem persönlichen Genrekino-Bezug fragen, vor allem in Zusammenhang mit "Cold Blood"?

Ich war ja nie auf einer Filmschule. Wo ich ganz viel gelernt habe, ist dieses Buch von Truffaut "Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht?" Wie Hitchcock da diverse Themen durchdekliniert, das hat mich sehr geprägt. Genrekino ist großartig, "Cold Blood" ist eine Art B-Movie, da habe ich kein Problem damit. Um jetzt ganz Große zu zitieren: "Taxi Driver" ist ja auch eine Art B-Movie oder die frühen Tarantino Filme oder manches von den Coen Brothers. Das ist so ungefähr die Richtung, die ich anstrebe.

Tarantino und die Coen Brüder sind gute Stichworte, die ich aufgreife. Deren Filme haben so eine bestimmte postmoderne Ironie und eine Metaebene, die sich manchmal durchzieht. "Cold Blood" scheint darauf bewusst zu verzichten, der Film ist ein ganz straighter Thriller. War das die Absicht von Anfang an?

Eigentlich schon. Diese Frage taucht öfter auf und ich komme langsam drauf, dass das vielleicht eine Charakterschwäche von mir ist. Bei "Anatomie" war es dasselbe, der kam ja im Gefolge von "Scream" damals und "I Know What You Did Last Summer", also Filmen, die ironisch gebrochen waren und was selbstreferentielles hatten. Ich hab das allerdings alles sehr ernstgenommen, auch beim neuen Film, das liegt mir offensichtlich mehr. Im Fall von "Anatomie" ist es auch dem Publikum in Deutschland mehr gelegen, dort war der Film ja erfolgreicher als "Scream", um das gleich angeberischerweise anzufügen (lacht). Hoffen wir, dass mit "Cold Blood" ähnliches passiert.

Man könnte diese Charakterschwäche ja auch umgekehrt sehen. Denn bei vielen Filmen von B-Movie-Nerds türmen sich geradezu die filmischen Referenzen, aber wenig Einflüsse aus dem echten Leben. "Cold Blood" legt schon sichtbar Wert auf einen gewissen Realismus, finde ich…

Auf jeden Fall. Aber du hast natürlich Recht, das ist echt ein Problem, man hat so viele Filme gesehen und weiß oft gar nicht, was kenne ich jetzt aus der Realität und was aus Kino oder Fernsehen? Es gibt ja auch Untersuchungen dazu. Wenn man hierzulande Leute fragt, wie es in einem Gericht aussieht, dann beschreiben die einen amerikanischen Gerichtssaal. Weil das kennt man halt. Diese Verwechslungen mit der Realität passieren dir natürlich auch als Filmemacher. Zum Beispiel bei Liebesfilmen und Beziehungsgeschichten, da fragt man sich: Sind das Dinge die Menschen wirklich zueinander sagen oder nur in Filmen?

Cold Blood

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"Cold Blood" ist ja ein uramerikanischer Film, was die Thematiken betrifft. Wie fühlt man sich als Österreicher, wenn man sich vor Ort auf so ein Terrain begibt?

Ich habe ja gerade aus diesem Grund ein komplett amerikanisches Team um mich geschart. Weil ich dachte, wenn ich da mit lauter Deutschen und Österreichern einreite, das wird kein authentisch-amerikanischer Film. Es gab Begebenheiten, wo sich alle so anschauten und zusammenzuckten. Aber auf diese Fehler wurde ich schon aufmerksam gemacht, vom US-Team habe ich diese Kleinigkeiten erfahren.

Ich kann mich dunkel an die ersten US-Filme von Roland Emmerich erinnern, wo die US-Settings wie in einer Werbung wirkten, alles sehr fakemäßig. In diesem Film nun wirkt alles ziemlich echt, dass muss ich sagen. Auf der anderen Seite, was kann man als Europäer in so eine Geschichte einbringen?

Gerade bei so einem Film, der wie du sagst so uramerikanische Themen hat - Gewalt, Familie, Thanksgiving, der Mensch in der Natur - kann es interessant sein, wenn du es durch die Außenperspektive eines Nichtamerikaners siehst. Aber das reicht dann auch, diese Verschiebung der Perspektive. Andererseits, was habe ich davon? Man soll den Film ja nicht sehen und sich denken: Oh, das ist jetzt der österreichische Blick auf diese Welt. Letztlich geht es um Kleinigkeiten, die ich nicht so benennen könnte.

Cold Blood

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Die Besetzung ist sehr außergewöhnlich, wie ist die zustande gekommen?

Der erste, der dabei war, ist der Eric Bana gewesen, der eigentlich für den jugendlichen Helden angefragt war, aber schnell kapierte, dass der Bösewicht die viel interessantere Figur ist. Durch ihn gaben uns die Finanziers das Okay für den Film. Dann habe ich sehr viele schöne Frauen getroffen, die sich für diese Rolle der Liza beworben haben, diese Figur tut ja mehr als bloß den jungen Helden anzuhimmeln, wie das in so vielen Filmen der Fall ist. Irgendwann fügt sich alles zueinander, das Drehbuch hat ebenso geholfen wie eine DVD von "Die Fälscher", weil das eben gutes Schauspielerkino ist. Besonders stolz bin ich natürlich auf Sissy Spacek und Kris Kristofferson, weil das wirklich die ikonischsten amerikanischen Eltern sind, die man sich vorstellen kann.

Sind Schauspieler in der Gegenwart überhaupt der Schlüssel, um Filme einer mittleren Kategorie im Downloadzeitsalter noch zu finanzieren?

Du brauchst irgendeine Brand für deinen Film. "Branded" ist das Zauberwort. Du musst irgendwas in deinem Film haben, was die Leute kennen. Das kann eine Marvel-Actionfigur sein, das Schlüsselwort "Harry Potter" oder ein Spiel wie Schifferl versenken, aus dem dann "Battleship" wird. Hab ich das nicht, dann geht es nur um Schauspieler. Das geht so weit, dass man sagt: Mit dem und dem Schauspieler kriegt man eine Finanzierung bis 12 oder 15 Millionen Dollar. Will ich mehr Geld, brauche in einen zweiten großen Namen. Die haben alle einen Preiszettel drauf picken. Das kann sich auch blitzschnell ändern, wenn ein Film sehr erfolgreich ist, dann steigen auch die Hauptdarsteller im Wert.

Cold Blood

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Gäbe es die Vorliebe oder Ambition so einen echten Blockbuster zu drehen?

Ja, aber ich bin froh, dass ich das nicht als erstes gemacht habe. Abschreckendes Beispiel: "The Tourist" von Florian Henckel von Donnersmarck. Natürlich sagt man ja, wenn dich jemand fragt: Willst du Angelina und Johnny und 80 Millionen Dollar und dazu in Venedig drehen? Und dann rennt man offenen Auges ins Verderben. Denn bei so einem Blockbuster ist so viel Druck und Geld im Spiel, da hast du die ganze Entourage der Stars an der Backe und die wollen alle irgendwas. Damit umzugehen und dabei eine eigene künstlerische Konzeption zu bewahren, das ist fürchterlich schwierig. Während bei so etwas kleinerem wie "Cold Blood" jedem klar ist, dass der Film nur über die Handschrift funktioniert, über Ecken und Kanten und weil darin Leute politisch inkorrekte Sachen sagen. Ich glaube, das ist die bessere Entscheidung um einzusteigen. Aber irgendwann mal so ein einen riesigen Wummi auszuprobieren, das ist sicherlich auch lustig.

Danke für das Gespräch!

FM4 Interview Podcast

Das Gespräch mit dem österreichischen Regisseur Stefan Ruzowitzky gibt es zum Nachhören im FM4 Interview Podcast.

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