Erstellt am: 26. 11. 2012 - 15:30 Uhr
Vorbei und daneben
Kann man einen Film machen, der sich auf Auschwitz bezieht, ohne explizit auszusprechen, wofür Auschwitz steht? Natürlich kann man. Barbara Albert macht das mit ihrem neuen Spielfilm "Die Lebenden". Und schon der Titel sagt es: Es geht nicht um die Toten. Es geht um eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte. Und die gestaltet sich egoistisch und oberflächlich.
Der 95. Geburtstag des Großvaters versetzt die vierundzwanzigjährige Sita in Bewegung. Im Zimmer im Altenheim hängt ein Foto, das Opa als jungen Mann in einer SS-Uniform zeigt. Erstmal überrascht über ihre Entdeckung, beginnt Sita Nachforschungen anzustellen.
Polyfilm-Verleih
Feige oder sprachlos?
Der Nationalsozialismus und die Shoah, die systematische Vernichtung von Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten, wirken im Leben der Nachkommen von MitläuferInnen und TäterInnen nach. Enkelkinder haben vielleicht eine diffuse Ahnung, stoßen aber bei Nachfragen auf Widerstand. So geht es auch der fiktiven Sita, die Barbara Albrecht im Interview mit Petra Erdmann als ihr Alter Ego bezeichnet.
Was der Opa im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau tatsächlich gemacht hat, das zu erfahren dient Sita vor allem dazu, die Distanz zum eigenen Vater zu überwinden. Das Verdrängen und Schweigen nationalsozialistischer TäterInnen hat bleibende Schäden hinterlassen: Manche ihrer Kinder klagten an, manche sehnten sich selbst nach einer Identifikation mit den jüdischen Opfern, andere verstummten und verdrängten, wie sie es von den Eltern erlebt hatten.
"Ich wollte keinen Dokumentarfilm machen", sagt Barbara Albert. "Ich fühle mich dem Spielfilm näher, ich fühle mich als Spielfilmregisseurin und -autorin und wollte eine Figur erfinden. Und auch deswegen, weil ich es von mir distanzieren wollte, weil es eben nicht eins zu eins mein Leben ist, sondern weil ich es spannend finde, das Thema zu nehmen und etwas dagegen zu stellen oder Figuren wie Satelliten um diese Hauptfigur kreisen zu lassen", so Albert. Leider kreist auch Alberts Film um sein Thema.
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Es gibt keinen Holocaust Light
Dass keine der fiktiven Figuren in "Die Lebenden" die Taten benennen will oder kann, das hat die Zeitgeschichte mit ihrer Oral History inzwischen anhand realer Fälle ergründet. Und es gibt äußerst gewichtige, ja extrem spannende österreichische Dokumentationen dazu: In "The End of the Neubacher Project" rechnet Marcus J. Carney mit seinem Großvater ab und in "Liebe Geschichte" von Klub.Zwei dringen Töchter und Enkelinnen mit ihrer drängenden Frage nach der Verantwortung in der eigenen Familie in den Jahren des Nationalsozialismus tief in den Komplex ein, der emotionale Aufgeladenheit und Faktenlage oftmals gegeneinander ausspielt.
Und das ist auch die Schwierigkeit, die ich mit Barbara Alberts "Die Lebenden" habe. Die Beschäftigung mit den Opfern wird hier völlig negiert. Und mit Opfern meine ich an dieser Stelle die ermordeten jüdischen Menschen. Selbst bei Sitas Besuch des Holocaust Museums in Warschau kommen vorwiegend Schwarz-Weiß-Gruppenfotos von SS-Offizieren ins Bild. Aber es gibt keinen Holocaust Light. Ohne Hintergrundwissen - und "Die Lebenden" ist ab acht Jahren freigegeben - bleiben (junge) ZuschauerInnen Ahnungslose.
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Klägliche Auseinandersetzung
Dieses Auschwitz, dass im Film als Referenzpunkt genannt wird, war das größte Vernichtungslager während der Zeit des Nationalsozialismus. Doch um diese Tatsache windet sich die Handlung - von Berlin nach Wien und nach Warschau und Auschwitz, festgehalten von einer wackeligen Handkamera, als wäre es ein reales Unterfangen.
Eine der letzten Stationen von Sitas Reisen führt sie auf das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz. Dort begegnet ihr eine Gleichaltrige (eine Mini-Nebenrolle für Emily Cox), der Sita im Dokumentationsarchiv bereits zuvor einmal über den Weg lief: Ihre Omi wäre im Rotkäppchen-Kommando gewesen, und weswegen sei Sita denn hier? Als wäre es eine bekannte TV-Serie fällt der Begriff "Rotkäppchen-Kommando". Nach über eineinhalb Stunden Laufzeit weiß man, dass keine Erklärung folgen wird, dass dieses Rotkäppchen-Kommando aus Konzentrationslager-Häftlingen bestand.
Die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen in "Die Lebenden" ist kläglich, um nicht zu sagen: lächerlich. Das tut weh. Zumal Barbara Albert das Spiel mit Emotionen und den Einsatz von Pop beherrscht und einen in fiktive Leben hineinzuziehen vermochte. Doch diesmal klappert die mittlerweile in Berlin lebende Regisseurin brav eine vorhersehbare Station nach der anderen ab. Die Geschichte gestaltet sich wie ein Entwicklungsroman. In den letzten Minuten schaut Sita Videobänder: Im pseudo-dokumentarischen Videobild erzählt der Opa in bruchhaften Sequenzen, was sich zugetragen hätte. Von Gas ist die Rede, und ob er geschossen hätte.
Das kann es nicht sein
"Die Lebenden" bestätigt die Unmöglichkeit, die nachgeborenen Generationen zu lehren, "das Unfassbare zu fassen", wie es der Individualpsychologe und Schriftsteller Manés Sperber befürchtet hat. Doch das wäre zu poetisch ausgedrückt, und damit darf man sich nicht zufrieden geben.
Geradezu mit dem moralischen Zeigefinger verweist Albert in ihrem Film auf heutige Flüchtlingsschicksale. "Nicht das Wiederkauen der Schuld war mir ein Anliegen", sagt die Regisseurin und Drehbuchautorin über ihren Film, "nicht der Versuch, das Grauen 1:1 zu zeigen, sondern eine ganz neue Fragestellung hat mich beschäftigt: Wo liegt unsere Verantwortung heute?"
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Die Lebenden von Barbara Albert läuft derzeit in den österreichischen Kinos.
Am Ende fragt eine israelische One-Night-Stand-Bekanntschaft Sita, ob sie ihn nach Palästina zu einem Hilfsprojekt begleiten wolle. Man will die Antwort gar nicht mehr hören. Da ist es von Albert nur konsequent und stimmig, dass Sita keine hat.
Im Interviewpodcast
Das Interview von Petra Erdmann mit der Filmregisseurin Barbara Albert über ihren aktuellen Kinofilm "Die Lebenden" gibt es hier zum Nachhören und als Download im FM4 Interviewpodcast.
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