Erstellt am: 23. 11. 2012 - 21:25 Uhr
Anekdoten aus Geisterstädten
Die Vorstellung des weiten Westens und das dazugehörige Filmgenre waren schon immer Utopie und Teil des amerikanischen Traums. Wer nicht gerade auf die Butterseite des Lebens gefallen ist, bekommt an oder hinter der Frontier noch eine Chance, sein Leben zu verbessern, dort wo Freiheit und Unabhängigkeit warten, Silber und Gold.
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Am Genre haben sich die FilmemacherInnen selbst abgearbeitet, von Sergio Leone bis Jim Jarmusch, so dass sich der Schweizer Autor Alex Capus bei seiner Reise durch den Wilden Westen anderen Aufgaben als der Dekonstruierung zuwenden kann, unverkrampft nach guten Geschichten graben zum Beispiel.
Geisterstädte im Cinemascope Format
Dass Alex Capus in "Skidoo" dabei hauptsächlich tragische Schicksale zu Tage fördert, wundert weniger, wenn man sich seine Reiseroute ansieht. Von Bodie in Kalifornien bis nach Hawiku in New Mexiko sucht er lauter Geisterstädte auf. Sechs Orte, die nach kurzem Gold- oder Silberboom, diversen Börsenkrachs und Naturkatastrophen von ihren BewohnerInnen aufgegeben wurden.
Rowan Dick - gemeinfrei
Vor klassischen Westernkulissen wie dem Grand Canyon oder dem Death Valley, das John Ford so großartig und großformatig in Szene gesetzt hat, entlockt Capus dem kargen Land dann Anekdoten, die sich dort vor über einem Jahrhundert zugetragen haben, oder zumindest so zugetragen haben könnten.
Trinker und Erfinder
Capus erzählt etwa vom Erfinder Jonathan Newhouse, der in der Gluthitze von Nevadas Wüsten seine neueste Errungenschaft testen will. Eine Rüstung aus Badeschwämmen und Wasserbeuteln soll ihren Träger ständig kühlen, doch sie funktioniert so gut, dass er zum Eiszapfen gefriert.
Der bayerische Bierbrauer Louis Munziger, der mit seiner fünfzehnjährigen Ehefrau nach Panamint-City kommt, um für die durstigen Minenarbeiter eine Brauerei zu eröffnen, kommt da noch glimpflicher davon. Zwar wird seine Brauerei zweimal Opfer von Naturereignissen, einmal wird sie von einem Erdbeben zerstört, das zweite Mal vom Starkregen fortgespült, aber er kommt wieder auf die Beine und erreicht ein hohes Alter.
Olten ist überall
Hanser-Verlag
Es sind kuriose und witzige Geschichten, bei denen sich Capus immer wieder von Nebensächlichkeiten zu Exkursen hinreißen lässt. Vor allem seine Heimatstadt Olten lässt ihn selbst im Wilden Westen nicht los und wird zu seinem Running-Gag. So vermutet er im Bierbrauer Munzinger etwa einen Oltner, weil die Munzingers in Capus' Heimatstadt bereits seit Jahrhunderten stark vertreten sind. Wenn sich der Munzinger, der in Panamint auftritt, nun einen bayerischen Anstrich gebe, dann nur wegen des Biermarketings. Eine lange Recherche in dessen Stammbaum bringt schließlich einen Postamtsbegründer, einen Revolutionsführer und einen Hitler-Attentäter zum Vorschein, die Oltner Abstammung kann ihm Capus aber nicht mit Sicherheit nachweisen.
Interessante Details
In den weniger spekulativen Abschweifungen glänzt Capus dann mit interessantem Detailwissen, zum Beispiel, dass das geförderte Silber nicht in Barren, sondern zu 400 Pfund schweren Würfeln gegossen wurde, um sie diebstahlsicher zu machen. Oder, dass die Zeitungen in den Kleinstädten nicht zu Informationszwecken gegründet wurden, sondern um mit Positivmeldungen die Aktionskurse der Minenunternehmen in die Höhe zu treiben.
Alex Capus liest am Samstag, 24.11., um 11.15 Uhr auf der FM4 Bühne bei der Buch Wien.
"Skidoo" lebt von solchen Details und Kuriositäten, die immer wieder neue Erkenntnisse eröffnen, oft aber nur halblustig sind. So erfahren wir zum Beispiel auch, dass die legendäre Route 66 eigentlich ein Kamelpfad ist, auf dem sich statt Harley-Rockern vor 150 Jahren osmanische Kameltreiber zwischen Canyons, Kratern und Vulkanen bewegt haben.
Zahlreiche Fotos und Abbildungen, zusammengetragen aus Museen, Archiven und Lexika, illustrieren Capus Geschichten. Ob er allerdings wirklich vor Ort gewesen ist, oder sich seine Fakten im Web zusammengesucht hat, bleibt belanglos. Das 76 Seiten dünne Büchlein "Skidoo" wird vom Autor selber angekündigt als Ausgleich zu seinem vorigen Liebesroman Léon und Luise, genauso fühlt es sich auch an und genauso sollte man es auch lesen, als kurzweilige Ablenkung zwischen zwei anderen Texten.
Aus den sechs Kurzgeschichten in "Skidoo" wird so schnell kein epischer Western. Keiner seiner Protagonisten reitet am Ende dem Sonnenuntergang entgegen, sie alle werden von der Zivilisation eingeholt.