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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

23. 11. 2012 - 18:39

Was ist Musik

Das kanadische Label Constellation feiert beim Blue Bird Festival im Wiener Porgy and Bess 15 Jahre Bestehen. Nostalgie und Weiterkommen.

Oft ist den vergangenen zwei Tagen davon die Rede gewesen, auf der Bühne des Porgy and Bess und davor, wie es den nun stünde um die Diskrepanz zwischen dem, was Constellation Records da so seit fünfzehn Jahren tatsächlich macht oder wie es mitunter von der Öffentlichkeit nur etwas kurzsichtig wahrgenommen wird einerseits, und dieser merkwürdigen Klammer "Singer/Songwritertum" andererseits.

Das kanadische Label Constellation ist im Moment mit einem Tross an Musikerinnen, Acts und Bands durch die Welt unterwegs, um das eigene Labeljubiläum zu feiern und hat so die ersten zwei des vier Tage - noch bis Samstag - dauernden Blue Bird Festivals bespielt - das immerhin von der Vienna Song Writing Association ausgerichtet wird, die sich in den letzten Jahren nicht zuletzt darum verdient gemacht hat, aufzustöbern, was denn aus dieser alten Mottenkiste "Songwriting" noch so Wunderbares zutage zu fördern ist.

Sandro Perri

Hanna Pribitzer

Sandro Perri

Grabenkämpfe wurden keine ausgefochten vergangenen Mittwoch und Donnerstag: Jovial, gut gelaunt, da und dort auch ein wenig weihevoll und von Freudentränen benetzt würdigte man eines der spannendsten Labels der jüngeren Vergangenheit - und ein bisschen auch sich selbst, weil man sich kurz als Teil einer kleinen Weltverschwörung fühlen durfte, die irgendwie an einem Masterplan zur Rettung von diesmal aber wirklich dem ganzen Universum schraubt.

Labelgründer Ian Illavsky, einige der auftretenden Musikerinnen und auch die Veranstalterseite konnten sich in kurzen Ansprachen und Zwischenansagen ohne große Mühe darauf einigen, dass wohl sowieso alles "Song" sei oder immerhin sein könnte und man die Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Darreichungsformen nicht gar so streng mit der Schublehre ausmessen müsste. Kleiner, in keiner Weise aber unangenehmer Erklärungsbedarf schien aber dennoch im Raum zu schweben: Vor allem wenn man bedenkt, dass Constellation vor Jahren - insbesondere mit der Ankunft des epochalen Schlachtschiffs Godspeed You! Black Emperor - hauptsächlich dafür berühmt geworden ist, dass hier an einem Versuch gedoktert wurde, die engen Grenzen des "traditionellen Songs" zu überwinden. Und das schnöde Korsett einer von einer einst revolutionären Kraft längst zum Klischee erstarrten Rock and Roll Musik über Bord zu werfen. Im Zusammenspiel aus Punk-Haltung, deutlich vorgelebtem politischen Gestus und bebender orchestraler Breitseite mit allen Pauken und Trompeten entstand hier ein Lebensentwurf, in dem man es sich schön weltbedeutsam und kunstsinnig einrichten konnte.

Hangedup

Hanna Pribitzer

Hangedup
Do Make Say Think

Hanna Pribitzer

Do Make Say Think

Was denn das gewesen sein könnte, ein "Song", oder auch nicht, das scheint Sandro Perri lange schon vergessen zu haben. Der Auftritt des Multiinstrumentalisten und Musikers aus Toronto mitsamt Band war dann auch gleich ein früher Höhepunkt der Constellation-Festspiele im Porgy & Bess.

Sollte man sich in den letzten Jahren ein wenig im im Laufe der Zeit eben selbst schon zum Ritual erstarrten Sound von Constellation allzu sehr in Sicherheit gewogen haben, könnten die Platten von Perri, der mitunter auch unter den Namen Polmo Polpo und Glissandro 70 unterwegs ist, zu diesen kleinen, übersehenen Großtaten im Labelkatalog gehören.

Sandro Perri baut feingliedrige Stücke Musik, die eben doch "Songs" im Sinne von vielleicht Roberty Wyatt oder in kurzen Momenten auch gar Nick Drake sein können, die dann jedoch ohne jegliche Kraftanstrengung auseinanderlaufen und ausfransen, in weitläufige Instrumentalspassagen münden oder gar einen versponnenen, leisen Funk und ungrelle Disco-Momente entwickeln, wie sie der große Arthur Russell vor gut dreißig Jahren kultiviert hat. Diese Musik kommt ohne jedes Gimmick aus, stellt aber eben dieses Vermeiden auch nicht als geil-avantgardistischen Move aus. Musik, die von einer luftigen Cocktail-Jazzigkeit, die nicht ranschmeißerisch geschmäcklerisch ist, und einer Querflötenleichtigkeit getragen wird. Es ist die leichteste Musik der Welt, jeder soll sie hören.

Matana Roberts

Hanna Pribitzer

Matana Roberts
Elfin Saddle

Hanna Pribitzer

Elfin Saddle

Nun ist Constellation Records auch wesentlich dafür mitverantwortlich, dass seit Anfang der Nuller-Jahre jede zweite langweilige Band, die zehn Minuten lang instrumental Laut/Leise rocken konnte und dann vielleicht noch eine Violine oder ein paar elektronische Schlieren unter die ganze Chose zu packen im Stande war, sich als Brecherin der Konventionen vorkommen durfte. So ist auch bei Weitem nicht alles im Katalog des Labels gut gealtert, anderswo ist wiederum die einst freigeistige Formelsprengung mittlerweile selbst zum überstrapazierten Dogma geworden.

Die großartige, immer ein bisschen im Schatten stehende Band Do Make Say Think beispielsweise ergibt sich ganz dem guten Geist der Retromania, bei so einer Jubel-Tournee ist das durchaus angemessen, und führt auf der aktuellen Konzertreise ihr Album "Goodbye Enemy Spaceship the Landlord Is Dead" (lange, lange Titel - auch so eine Sache) zur Gänze auf. Es ist immer noch ein sehr gutes Album, das den "klassischen" Constellation-Sound ziemlich gut umreißt, es ist aber auch sehr deutlich ein Kind seiner Zeit. Instrumentalrock, ausstaffiert mit Trompete und Saxophon und zwei Drum-Sets, mal überschwänglich aufbrausend, mal aufs Ärgste betrübt. Das funktioniert vor allem live nach wie vor relativ umwerfend, jetzt aber kann das Kapitel abgeschlossen werden.

The Silver mt zion orchestra memorial orchestra

Hanna Pribitzer

Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra

Ähnliches wie für Do Make Say Think gilt für Thee Silver Mt. Zion Memorial Orchestra, die kleine Schwester von Godspeed You! Black Emperor, und auch das prinzipiell sehr gute Duo Hangedup: Deren Verquickung von hart rockenden und jazzenden Drums und Ideen von Balkan-Folklore und Klezmer an der Violine wirkt - wenngleich Constellation derlei Hybride freilich verdienstreich mitbefördert hat - heute doch schon, nicht zuletzt nach hundert Jahren Beirut oder Bands wie A Hawk and a Hacksaw, ein wenig angestaubt.

Wunderbar hingegen: Der rumpelnde Krach-Folk an Xylophon, Akkordeon und schief polternden Drums von den leider viel zu wenig bekannten Elfin Saddle, die große Carla Bouzlich mit neuem Material und die ebenso große Matana Roberts am Saxophon. Bisweilen auch gemeinsam.

Es sind zwei nachgerade großartige Abende gewesen, die freilich nicht selten von Nostalgie und den Erinnerungen an Zeiten gelebt haben, in denen sich Schallplatten in wunderhübsch aus Karton geschnitzten Hüllen noch einigermaßen gut verkauft haben.

Zur Nostalgie gehören Abnützungserscheinungen und, dass man irgendwann müde wird. Ein Label wie Constellation darf aber auch einmal kurz verschnaufen und ein klein wenig, ganz kurz, die eigene Musealisierung betreiben. Ein Label, das auf genügend fast schon kanonisierte Veröffentlichungen im Katalog zurückblicken kann und so mancherorts schon auch ein bisschen miefig wirkt, dann aber immer wieder doch noch eine frohgemut in eine wilde Zukunft blickende Platte aus dem Köcher zaubert. Nennen wir es Punk Musik.