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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 11. 2012 - 21:41

Fußball-Journal '12-45.

Taktik ist tatsächlich egal. Für den, der sinnfrei aufstellt jedenfalls. Zu Rapids fünfter europäischer Niederlage am Stück.

Auch in der aktuellen Saison begleitet das Fußball-Journal '12 (wie schon in den Vorjahren) die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das mediale Umfeld.

Heute mit einem genauen Blick auf die fünfte Nullnummer Rapids in Europa.

Siehe dazu auch das Fußball-Journal '12-34 vom 20. 9.: Um gleich gegen fatal-falsche Legenden-Bildung zu wirken: Wieso Rapid seinen Euro-Auftakt völlig verdient verloren hat.

Taktik ist wurscht. Sagen österreichische Trainer gerne; und es stimmt: da sie mehrheitlich recht sinnfrei aufstellen, ist es tatsächlich egal innerhalb welchen Systems, mit welcher Strategie oder welcher Taktik die Mannschaft aufs Feld geschickt wird. Was Peter Schöttel heute abend zu beweisen wusste.

Die Klassenletzten als Speerspitze des Revisionismus

Österreich is lei ans. Für die hiesige Trainergilde gilt nämlich: Taktik, System, Strategie - neumodischer Schas, den keiner braucht.

Das war in den letzten beiden Jahren, als Dietmar Constantini als Symbolfigur des überheblichen Anti-Modernisten von einer kleinen Revolte der Koalition aus neuen Medien und neu hinterfragenden Fans/Freunden des Sports der Lächerlichkeit preisgegeben und hinweggespült wurde, nicht opportun. Auch die ältesten Reaktionäre und die denk- und handlungsfaulsten Lobbyisten trugen den neuen Umständen (zumindest nach außen) Rechnung und versuchten sich in Basics, die in Rest-Europa schon seit Jahren üblich waren, hierzulande dann als neue Sensation abgefeiert werden konnten. Ein paar wenige nahmen die neuen Zeiten ernst und holten sich innerhalb kurzer Zeit einen deutlichen Vorsprung; und können so mit den neuen deutschen Trainer-Importen und den heimlichen Stars der zweiten Liga mithalten.

In den letzten Monaten bekamen die Revisionisten wieder Oberwasser: was zuerst der Klassenletzte vor sich hin plapperte, wurde jüngst vom Heilbeter bekräftigt.

Die alten Quacksalber und ihr Glauben an den Aderlass

Und natürlich haben Pfeifenberger, Kirchler und die anderen Ex-Teamspieler und zu früh mit zu wichtigen Aufgaben betrauten Neo-Trainer recht: sie beschreiben eine österreichische Realität, mit der sie aufgewachsen sind und weiterleben wollen. Erinnert an den Widerstand den die alte Quacksalber-Schule der Erkenntnis, dass das alte Allheilmittel des Aderlasses ein Schmarrn sei, entgegensetzte.

Roland Kirchler, der bereits als TV-Experte seiner eindimensionalen Denke freien Lauf ließ, sagt "Systeme sind wirklich überbewertet". Wichtig sei die Eigenverantwortung der Spieler, meinte der Fan der Kirche des antisemitischen Anderl von Rinn-Kults, den mittlerweile selbst die Tiroler Amtskirche verurteilt.

Das spielt Trainer von jeder Zuständigkeit frei und erlaubt Rückzüge auf eine "I hobs dena Trottln eh gsogt!"-Position.
Die ist auch dringend nötig, solange innerhalb wurschter Systeme sinnfrei aufgestellt wird.

Und dann stellt Schöttel zwei reine Putzer ins Mittelfeld...

Wie das geht, hat heute abend Peter Schöttel, im Vergleich zu den Pfeifenbergers und Kirchlers eh ein taktischer Mitdenker (der allerdings intern auch nicht allzu hohes Augenmerk auf das legt, was ihm so zur Verfügung stünde) vorgezeigt.

In sein nominelles 4-2-3-1 stellt er mit Heikkinen und Pichler zwei Akteure in die Zentrale, die echte Sechser der alten Schule sind; der in den Spätabend seiner Karriere reitende Heikkinen sowieso, Harald Pichler auch, vor allem weil er seit Jahren Innenverteidiger spielt.
Ein modernes 4-2-3-1 braucht dort jedoch zwei versatile Achter, zumindest einen. Rapid hätte da Ildiz oder Hofmann (die sind verletzt), dann noch Prager oder Prokopic (die sind von Schöttel geopfert worden, weil sich über ihnen die Fan-Kritik entlied) oder den Junior Wydra (der auf die Bank kam).

Dieser kapitale Denkfehler im System führte dazu, dass Rapid die erste Halbzeit mit einem ganz blöden 6-0-4 bestritt. Zwischen den mit den beiden Zentralen auf einer Linie befindlichen Außenverteidigern und den offensive Four gab es einen meterweiten Abstand; so etwas wie ein Zusammenspiel zwischen Defensive und Offensive, sowas wie schnelles Umschaltspiel kam nicht zustande. Das Rapid-Spiel lebte wieder vom Aderlass der alten Quacksalber: vom Zufall.

... und muss gegen Rosenborgs versatile Achter verlieren

Auf der Gegenseite befanden sich mit Jonas Svensson und Mikkel Diskerud zwei junge Achter in der Zentrale, die genau die Tugenden an den Tag legten, die bei Rapid heute keiner haben konnte: beide sind sie nicht nutr Balleroberer, Presser und Wegputzer, sondern Aufbauer und Spielgestalter. Svensson zeigte nach der Umstellung, die Coach Jönsson in der 75. Minute vornahm, auf der linken Flanke, was er auch offensiv kann und Mix Diskerud war überhaupt der beste Mann am Platz.

Der Rosenborg BK bohrte die Schwäche von Rapid (das mangelnde Zusammenspiel, die Lücken zwischen defense und offense mehr als effektvoll an. Vor allem als man in der Schlussphase (mit einer Umstellung vom einem 4-4-1-1 auf ein 4-2-4) Rapid förmlich überrollte.

Dabei hatte Schöttel durchaus Glück: hätten zwei Spieler nicht gute Form und Eigeninitiative gezeigt, wäre alles wohl schon viel früher verlorengegangen. Harry Pichler etwa erkannte die Gefahren des Lochs vor ihm, versuchte es mit Vorstößen und Offensiv-Passes zu stopfen, was ihm - auch mit Hilfe des aufopferungsvollen Thomas Schrammel auf der linken Seite - durchaus gelang.

System und Taktik sind wurscht, wenn man sinnfrei aufstellt

Als in der 50. Minute Drazan hereinkam und auf seiner Seite Gegenspieler Gamboa aushebelte (warum, fragte man sich, wurde diese Schwachstelle nicht schon von Beginn an angebohrt?), brachte zwei gute, jeweils fünf Minuten dauernde Phasen das Spiel fast zum Kippen - was Trainer Jönsson mit der schon erwähnten (leichten) Maßnahme konterte. Dem hatte das wie fast immer planlose Rapid nichts entgegenzusetzen.
Im Gegenteil: Burgstaller als zweite Spitze neben Boyd (der in einigen Situationen erschreckend romanwallnermäßig auftrat) machte den Bruch zwischen Defensive/Offensive noch klarer.

Wer wie Peter Schöttel mit zwei im Aufbauspiel klar limitierten Sechsern antritt, kann nur auf einen lucky punch und darauf folgendes Konterspiel spekulieren: um mit einem Gegner wie Rosenborg mitzuspielen ist so eine Aufstellung zu schwach.
Egal innerhalb welches Systems, egal mit welcher Strategie, egal mit welcher Taktik.
Was wiederum die eingangs erwähnten Junior-Kollegen Schöttels in ihrer alten Aderlass-Philosophie bestätigt. Und Österreichs Club-Fußball in Europa zurecht punktelos dastehen lässt.