Erstellt am: 21. 11. 2012 - 16:31 Uhr
Sozialkritisches Gemetzel
Unabhängigkeitskriege haben immer einen besseren Ruf als herkömmliche Kriege. Ein Volk erhebt sich gegen einen augenscheinlich übermächtigen Staatsapparat. Wenn sie gewinnen, werden sie zu Legenden. Wenn sie verlieren, dann sowieso. Wir halten meistens zu den Rebellen, weil die immer irgendwie cooler sind. Historische Zusammenhänge oder bedenkliche Ideologien sind da egal.
Assassins Creed 3 ist auf allen Konsolen erschienen und selbst die PC-Version soll gut sein. Hut ab.
Weil die USA unbestritten einen nicht unerheblichen Teil dieser Welt ausmachen, ist ihr eigener Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten historisches Allgemeingut. Die Boston Tea Party muss als Namenspatron für seltsame Parteiabspaltungen dienen, die in den Anfangsjahren praktizierten Miliz-Angriffe sind das, was man heute Guerilla nennt. Die daraus resultierende Verfassung des Landes ist für das 18. Jahrhundert ziemlich frisch. Aber auch ein Problem. Denn dieser Krieg und diese Unabhängigkeit sind so stark im US-amerikanischen Gewissen verankert, dass zeitgenössische Adaptionen, so sinnvoll sie auch sein mögen, niemals passieren werden.
Dass bei Präsidentschaftswahlen nicht einfach alle Stimmen der Bevölkerung aufgeteilt sondern an Wahlmänner delegiert werden, liegt an der Infrastruktur damals. Jedes Dorf schickt einen Reiter in eine Stadt, die Stadt schickt ein paar Reiter nach Washington. Gewählt wird Dienstags, weil Sonntag ist Kirche und Mittwoch Markttag. Gleichzeitig ist der damals geschürte Hass auf die englische Krone irgendwo da drüben in Europa Grund für eine generelle Ablehnung staatlicher Kontrolle. Wir haben die Engländer vertrieben, deshalb lassen wir uns auch keine staatliche Pflicht-Krankenversicherung aufschwatzen. Oder so.
Ubisoft
Bring it home
Jetzt nicht sagen: "Hey, der schreibt ja gar nix über die Rahmenhandlung!" Na gut: so wie eh immer ist das eigentliche Spiel nur eine Erinnerung von Desmond Miles, der gemeinsam mit den Jetztzeit-Assassinen das Wissen seiner Vorfahren bekommen will. Deshalb schließt er sich an so eine Matrix-Maschine namens Animus an und erlebt deren Erlebnisse. Und am Ende wissen wir dann, was jetzt eigentlich am 21.12.2012 passiert. Klingt unnotwendig? Sag ich doch.
Weil Märkte auch damit bedient werden wollen, was sie eh schon kennen, haben die Macher von Ubisoft einen weiteren Sprung gemacht. Haben wir uns im ersten Teil noch durch orientalische Städte im Kreuzzug-Flair geschlitzt und in Teil zwei die italienische Renaissance unsicher gemacht, landen wir im dritten Teil in den USA. Wobei nicht wirklich. Weil zu Spielbeginn ist das noch eine ausgepresste Kolonie mit Währungs- und Industrieverbot. Und beginnen tut alles in einem Theater in London.
Erste Szene, erster Mord. Der Hauptcharakter klettert über eine Theateraufführung. Shakespeare vielleicht. In der Loge angekommen rammen wir einem Unbekannten das Messer in den Rücken und stehlen ein Amulett. Das wiederum ein Schlüssel ist. Für eine verborgene Tür irgendwo da drüben in den Kolonien. Per Schiff reisen wir nach Boston, prügeln uns dazwischen mit Seeleuten und segeln durch einen Sturm. Stunden später beginnt dann mal der Vorspann des Spieles.
Ubisoft
Gehudelt wird in diesem Spiel wirklich nicht. Nach der perfekten Promo inklusive Kino-Werbespots wissen wir, dass der Hauptcharakter in Teil 3 einen Tomahawk besitzt. Indianer also. Aber dieser Typ, mit dem wir da spielen, ist so gar nicht native. Engländer, Mittelstands-Adel, gehobenes Alter. Und dann der Schock. Nach fünf Stunden die bittere Wahrheit: Dieser Typ ist ein Templer! Also ein Böser! Na servas.
Der hat dann wiederum ein Kind mit einer Indianerin. Mit diesem Kind spielen wir Verstecken (echt jetzt), dann brennt das heimatliche Indianerdorf ab. Jahre später dann Ausbildung und dann geht's endlich mal los.
Ubisoft
Ubisoft
Mitten drin
Wie immer hat sich das Spiel kaum geändert, nur zum Guten. Wir dürfen endlich auch auf Bäumen laufen, die Open World ist ziemlich offen und wie gewohnt sind viele Charaktere der echten Geschichte entnommen. Benjamin Franklin zum Beispiel, natürlich auch George Washington. Bei der Boston Tea Party dürfen wir Teekisten ins Wasser werfen, bei der Schlacht von Lexington und Concord vielleicht sogar den berühmten ersten Schuss abgeben. Jetzt ist aber Schluss mit Spoilern.
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Eine wahre Geschichte, quasi
Die Assassins Creed Reihe hebt sich von anderen vergleichbaren Gemetzel-Games dadurch ab, dass sie immer schon viel gewagt hat. Die Assassinen (das sind die Guten) sind ganz schön atheistisch. So endet Teil 2 etwa mit einem Attentat auf den Papst. Im Petersdom. Der war zwar ein fieser Borgia und offensichtlich ein Arschloch, von Blockbustern ist man so etwas aber nicht gewohnt. Zu Beginn des Spiels steht gleich einmal, dass das EntwicklerInnen-Team aus Menschen aus allen möglichen Religionen und Kulturen besteht. Ein kluger Freibrief für anti-religiösen Subtext und nie ins mahnende abdriftende Sozialkritik, die sich durch das Spiel zieht. Natürlich sind die Indianer die Guten, die Engländer die Bösen und Herrschaft immer nur eine verschwörerische Konstruktion von Boshaftigkeit. Aber dass viele Indianerstämme damals eher pro-britisch waren, weil die ihnen wenigstens ihr Land gelassen haben und die Amerikaner - wieder im Gegensatz zu den Briten - keine großen Fans der Sklavenbefreiung waren, wird in Assassins Creed 3 nicht ausgespart.
Ubisoft
Handlungsrelevant sind diese politischen Kommentare nicht. Aber alleine, dass es sie gibt, hebt Assassins Creed ziemlich nach oben.
Weil um ehrlich zu sein: In erster Linie laufen wir die meiste Zeit über Dächer, töten Antagonisten und laufen dann wieder zurück. In Teil 3 gibt es zwar auch Seeschlachten zu führen und ein paar Rätselchen zu lösen, aber in erster Linie fließt das Blut. Aber hey! So ist das halt, wenn eine Nation entsteht.