Erstellt am: 21. 11. 2012 - 20:30 Uhr
Zwölf rüstige Rentner auf Maturareise
Folio Verlag GmbH
Von einem Moment auf den anderen wird Tihomir klar, dass er alt ist. Ein Kellner hat ihn gerade zweimal für den Kaffe zahlen lassen, den er getrunken hat, weil er ihn für senil hält. Tihomir macht das weniger wütend als viel mehr sentimental. Jetzt, mit 68 wünscht er sich eine zweite Jugend, die mit der Wiederholung seiner Maturareise beginnen soll, einer Schiffsreise entlang der östlichen Adria.
Einige Wochen später versammeln sich schließlich zwölf Rentner, die alle vor 50 Jahren ihren Abschluss an einem Zagreber Gymnasium gemacht haben, am Hafen in Opatja, selbst ihre greise ehemalige Lehrerin ist gekommen. Und kaum sind sie auf dem Schiff sind die sozialen Regeln und Rangordnungen aus der Schule wieder hergestellt, der Klassenadel separiert sich von den Unpopulären und Tihomir wird bald klar, dass er mit seiner Idee etwas Ernsthaftes und Gefährliches in Gang gesetzt hat.
Dabei ist es Tihomir in Wirklichkeit gar nicht darum gegangen, all seine KlassenkameradInnen wiederzusehen, sondern nur eine Person, seine große Liebe Senka, die er vor dreißig Jahren verlassen hat. In Rückblenden lässt Zoran Ferić seinen Protagonisten seine Jugend und diese Beziehung noch einmal durchleben. Mit Senka hätte sein Leben anders, aufregender sein können, und Tiho würde von diesem anderen Leben noch gerne einmal kosten.
Großes Konfliktpotential
Die potentiellen Konflikte auf dem kleinen Schiff werden schon ganz am Anfang des Romans angerissen: die gemeinsame Vergangenheit Tihomirs und Senkas, Eifersucht, jahrzehntelange Rivalitäten und schlummernde Feindschaften zwischen den ehemaligen Mitschülern, Senioren-Eltern, die ihre Kinder nicht loslassen wollen und umgekehrt Kinder, die ihre Eltern in Geiselhaft der Gefühle genommen haben, und ein großer Abwesender, der irgendwie doch unter ihnen ist. Und dann kommt noch der Kapitän des Bootes ins Spiel, der dauernd Angst vor einem Sturm hat.
Die Reise, die nicht die Schönheiten Kroatiens, sondern die Schattenseiten ansteuert, die ehemalige Gefängnisinsel Goli otok oder die Bausünden des Massentourismus, dient als Katalysator für diese Konflikte, die sich auf einen Höhepunkt zubewegen, allerdings im Schneckentempo.
Vielversprechendes Setting, unbefriedigende Umsetzung
Zoran Ferić liest in den nächsten Tagen auf der Buch Wien, am 22.11. um 19:00 in der Alten Schmiede und am 23.11. um 15:30 im Literaturcafe in der Messe Wien.
"Das Alter kam am 23. Mai gegen 11 Uhr" verspricht mit seinem Setting, seiner Figurenkonstellation und auch seinem Cover viel, kann allerdings nicht alles einlösen. Die Geschichte des sozialistischen Jugoslawiens, in dem die Rentner fast ihr ganzes Leben verbracht haben, bleibt nur schmückendes Beiwerk und selbst der Kroatien-Krieg, den alle ProtagonistInnen erlebt haben, wird nur in wenigen Nebensätzen angerissen.
Ansonsten wartet man auf die Auflösung der Geheimnisse, die man fast nach einer Checkliste abhaken kann. Es ist nie gut, wenn man das Konstrukt eines Romans so deutlich ablesen kann wie hier und noch weniger, wenn die Lücken dazwischen so groß sind, dass das Boot über hunderte Seiten gemächlich im ruhigen Wasser der Adria dahinplätschern kann. Verschwörungstheorien um den jugoslawischen Geheimdienst und kroatische Nationallisten führen ins Nichts, und bis die scheinbar romantische Liebesbeziehung von Tihomir und Senka zur interessanten und zerstörerischen Dreieicksgeschichte wird, sind vier Fünftel des 538-Seiten starken Romans um.
Boris Stajduhar
Bis dahin werden nicht alle LeserInnen des Romans kommen, was schade ist, denn im letzten Kapitel zeigt er seine Stärken. Zoran Ferić führt die beiden Handlungsstränge des Romans, die Wiederholung der Maturareise und die Rückblenden in das Jugoslawien der 1970er Jahre in einem Klimax, der - erwartbar - als Sturm in Erscheinung tritt, zusammen. Hier hagelt es Be- und Erkenntnisse, über Liebe, Verrat Vergänglichkeit und die Frage nach dem richtigen Lebensentwurf. Zu einem solchen Ende hätte Ferić allerdings auch ohne die langen Abschweifungen und Irrwege kommen können.