Erstellt am: 1. 12. 2012 - 16:16 Uhr
Schlumpfeis und Tristesse
Ventil Verlag
Das deutsche Musikmagazin Intro mit Standort Köln ist eine kostenlose, werbefinanzierte Musikzeitschrift und neben der/dem Spex wohl eines der wichtigsten Medien, wenn es um subkulturelle Standortbestimmungen in der deutschsprachigen Popwelt geht. Stellvertretender Chefredakteur vom Intro und einer der witzigsten deutschen Musikjournalisten ist Linus Volkmann - der heuer auch in der Wortlaut-Jury war.
Neben seiner hauptberuflichen Beschäftigung als Journalist veröffentlicht Volkmann alle Jahr einen Roman. Große Begeisterung erntete er mit seinem Debüt "Super-Lupo". Die Abenteuer seiner meist jugendlichen Protagonisten amüsieren und gehen selbst an steinerne Herzen. Nun hat Linus Volkmann ein neues Buch veröffentlicht. (Wir erinnern uns: auf FM4 hat er dafür einen neuen Titel gesucht)
Feldhockey, Tankstelle Borchers & Pizza Crossa
„Wir hätten gerne mehrere Kondome“, verlangte Malte an der Kasse. Kondome gab es nur auf Anfrage. Auch so eine Schikane. Die Hostesse hinter dem Tresen ließ sich nichts anmerken. Sicher war sie gut geschult worden für solche Momente. „Wie viel genau?“ Malte sah zu Sandra, die offenbar im Kopf zu rechnen begonnen hatte. Die Esso-Mitarbeiterin und Malte schauten sie mit unterschiedlicher emotionaler Beteiligung an. „Wir nehmen… eins“, sagte Sandra. Eins? Oh, Himmel. Malte holte seine Geldbörse aus der Jeans. Eins! Der Druck stieg.
Die Zwillinge Malte und Frederik stolpern durch die deutsche Provinz im Jahr 1993. Die Mauer ist gefallen und alles verändert sich, nur Malte und Frederik purzeln durch eine träge Langeweile aus Süßigkeiten wie Raider, Milchschnitten und Schlumpfeis, der Tankestelle der Eltern und nicht ganz stubenreine Schulfreunde mit Böhse Onkelz-Mixtapes. Aber plötzlich taucht Ausreißerin und Cousine Lumpinchen auf, dem Vater geht es im Spital immer schlechter und für einen der Zwillinge eröffnet sich eine Karriere als Feldhockeyspieler.
Ventil Verlag
Malte ging zur Tür, ihr hinterher. Sandra verstellte ihm den Weg. „Was denkst du, was du hier machst, Junge?“ „Ich dachte, ich wasche jetzt ein Glied. Wie du es dir so wünscht?“ „Ja, aber doch nicht, wenn ich auch im Bad bin. Du bist vielleicht pervers!“
Für mich ist „Kein Schlaf Bis Langenselbold“ das beste Buch von Linus Volkmann. Er bleibt zwar seinen Koordinaten treu, die im Spannungsfeld zwischen Niedlichkeit und Kläglichkeit angesiedelt sind, radikalisiert seine Geschichte aber diesmal in Richtung Körperlichkeiten. Und mit plötzlichen und unerwarteten Wendungen ins Fantastische versteht es Volkmann, die Aufmerksamkeit der LeserInnen konstant aufrechtzuerhalten. Ein liebevoller und extrem komischer Roman über das Heranwachsen in der Provinz. Und auch, wenn es 20 Jahre später Internet mit Youporn gibt, die köstliche Tristesse der Jugend am Land bleibt ehernes Gesetz.
Trotzdem – plötzlich schien selbst das eine Kondom zuviel. Malte hatte so erfolgreich an Unfälle und Tierkadaver gedacht, dass er überraschend an den Punkt gekommen war, an dem er den weiteren Geschehnissen völlig unerigiert entgegenblickte. Auch schon wieder nicht gut.