Erstellt am: 20. 11. 2012 - 16:05 Uhr
Singende Schlangen und guter Schmäh
Markéta Pilátová wurde 1973 in Prag geboren. Nach einem Studium der Romanistik und Geschichte ist sie heute als Autorin, Übersetzerin und Journalistin tätig. Sie hat lange in Lateinamerika gelebt, hauptsächlich in Brasilien und Argentinien. Derzeit arbeitet sie in der Kulturabteilung des Prager Instituto Cervantes. "Mein Liebligsbuch" ist nach "Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein" ihr zweiter Roman.
Wer wie ich in letzter Zeit hauptsächlich Bücher gelesen hat, die Befindlichkeiten behandeln, also von Autorinnen und Autoren geschrieben sind, die am liebsten über sich selbst und das eigene soziale Umfeld reflektieren, wird dankbar sein für Markéta Pilátovás neuen Roman.
Endlich erzählt jemand mal wieder einfach nur eine Geschichte, noch dazu mit Freude an der Sprache, einem Gespür für vielschichtige Figuren, ausgeklügelten Konstellationen und ohne Scheu vor Pathos oder Phantasie.

Jirí Svoboda
Fülle an Themen
Erzähler dieser Geschichte ist ein namenloser Tätowierer, der in einem vom Drogenkartellen umkämpften Slum einer fiktiven Mega-Metropole in Lateinamerika lebt. Er berichtet von einem Institut, in dem der ehrgeizige Dr. Vidal brutale Versuche an Schlangen durchführt, weil er davon besessen ist, ein Protein zu isolieren, das den menschlichen Alterungsprozess aufhalten kann. Ausgehend von diesem Ort, ranken sich zahlreiche komplexe Handlungsstränge durch den knapp vierhundert seitigen Roman. Es geht um Drogenhandel, die Ausbeutung der Natur und darum, was die lateinamerikanische Gegenwart mit dem Holocaust zu tun hat.

Verlag Braumüller
Die tschechische Schriftstellerin springt dabei unvermittelt von indigenen Hochlanddörfern in polnische Kleinstädte oder von Träumen in slawische Märchen, sodass die Fülle der angeschnittenen Themen zunächst fast zu viel für ein einziges Buch erscheint. Doch schon nach einigen Kapiteln zeichnet sich ab, dass sich alles erstaunlich mühelos zusammenfügen wird.
Schlangen
Als sinnstiftende rote Fäden ziehen sich Schlangen durch "Mein Lieblingsbuch". Tote, lebendige, giftige und Würgeschlangen - es wimmelt nur so von den züngelnden Reptilien. Jede der skurrilen Persönlichkeiten, die mit dem Institut in Berührung kommt, hat ein ganz eigenes Erlebnis mit ihnen. Dem schwulen Psychiater, der die Geschichte seines jüdischen Vaters erforschen will, ist eine im Traum erschienen, dem Arzt mit Visionen geht ein von einer Schlange diktiertes Lied nicht mehr aus dem Kopf, das Mädchen aus der Bergwüste kann gar mit ihnen kommunizieren und kennt die Zusammensetzung sämtlicher Gegengifte. Markéta Pilátová hat auch kein Problem damit, die Schlangen selbst zu Wort kommen zu lassen, und so erklärt die im Labor gefangene Riesenboa Haré warum und wie sie dem Institutsleiter nach dem Leben trachtet.
Markéta Pilátová liest aus "Mein Lieblingsbuch":
- Am 20.11. um 19.30 Uhr im Stifter Haus in Linz
- Am 21.11. um 18.30 Uhr im Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz
- Am 22.11. um 18 Uhr im Tschechischen Zentrum in Wien
- Am 23.11. um 11.15 Uhr im Literaturcafé bei der Buch Wien
Die Schriftstellerin flicht viele phantastische Elemente in ihre Erzählung ein. Märchen, das heißt slawische Volksmärchen wie lateinamerikanische Naturlegenden spielen in ihrem Roman eine große Rolle. Phasenweise verwendet sie eine sehr blumige, fast pathetische Sprache. Diese Passagen bricht sie aber immer wieder mit nüchternen Beschreibungen der Lebensumstände in den Slums oder mit pointierten Einsichten ihrer ProtagonistInnen - direkt, politisch unkorrekt und oft mit einem wirklich guten Schmäh.
Ich habe Pilátovás Roman nach dem Lesen auf meinem Nachtkästchen liegen lassen. Dort bewahre ich die Lektüre auf, die Potential zum Lieblingsbuch hat.