Erstellt am: 20. 11. 2012 - 15:04 Uhr
Bieder mit Bieber
Demnächst kommt Barbara Alberts "Die Lebenden" in die heimischen Kinos. Und da wird wieder getanzt, schon im Trailer.
Fast wünscht man sich die Disco-Tanz-Szene zurück, die in heimischen Spielfilmen ab Ende der Neunziger Jahre obligatorisch schien. Auf einem Bankerl an eine Hausmauer gelehnt in der Sonne sitzen, das kann doch nicht tatsächlich das neue Tanzen sein? Jana und Hans tanzen nicht. Und Jana tanzt auch nicht mit dem Ronnie, jenem Rekruten, der morgens in der Tür ihres Wirtshauses steht, nach einem Verlängerten verlangt und später nicht nur die Jukebox entdeckt. Sturm und Drang, long gone. Zitiert wird in "Grenzgänger" dennoch Goethe. Dabei hatte sich Florian Flicker mit dem Film doch Karl Schönherrs "Der Weibsteufel" vorgenommen. Und neunzig Prozent seines Spielfilms vor zehn Jahren angesetzt.
Das 1915 am Burgtheater in Wien uraufgeführte Stück des österreichischen Schriftstellers Schönherr ist aufgrund seiner Beliebtheit ein einziger großer Spoiler. Zu bekannt sind Handlung und Ausgang. Zwei Männer geraten ob der Frau des einen in heftige Auseinandersetzung, die vom Objekt der Begierde bewusst noch angestachelt wird.
Das Dreiecksdrama rund um einen Schmuggler, dessen Frau und einen Grenzjäger muss also mit anderen Reizen aufwarten, mit Schauspiel, das innere Konflikte in Augenblicken spiegelt. Mit Birgit Minichmayr in der Hauptrolle inszenierte Martin Kusej vor vier Jahren "Der Weibsteufel" am Wiener Akademietheater. Da arbeitete Florian Flicker bereits an seiner "Cover-Version" des Theaterstoffs für das Kino.
Thimfilm
Das Manko der Perfektion
Es ist eine perfekte Coverversion geworden, die wie alles Perfekte ein Manko hat: Es wird schneller langweilig als es schön ist. Der Drei-Tage-Bart verleiht Andreas Lust als Hans eine äußerliche Ausgeglichenheit, die ihn Nacht für Nacht auf einem Kahn über die March gleiten und Flüchtlinge über die Grenze schiffen lässt. Auch die Energie, die sich zwischen Andrea Wenzl als Jana und ihm einstellt, verspricht eine Stabilität bis dass der Tod sie scheidet. Im besten Einverständnis verstecken sie die geschmuggelten Menschen vor den Grenzpatrouillen in der Räucherkammer hinter aufgehängten Aalen. Kein Wunder, dass der Kommandant Fuchs den Grundwehrdiener Ronnie auf die eingeheiratete Slowakin Jana ansetzt. Am Haflinger kommt er angeritten. Doch die Annäherungsversuche fallen alles andere als sexy aus.
Thimfilm
Wolken ziehen im Fluss
Bis endlich eine gewisse emotionale Dynamik einsetzt, fließt viel Wasser die March hinunter. Schilf wuchert bekanntlich. Einmal kracht es kurz in der Aulandschaft, "Ah Bieber". Gewaltausbrüche gehen zack und brack wie das Töten der Fische, bei dem man Andrea Wenzl ins Gesicht und nicht den Fischkopf sieht. Eva Jantschitsch hat die Filmmusik komponiert, und die Wolken spiegeln sich in den Totalen von Kameramann Martin Gschlacht, wie es schon den Impressionisten gefiel. Gschlacht ist einer der Besten seines Fachs hierzulande. Aber die Natur darf in "Grenzgänger" keine Rolle einnehmen. Von ihr ist kein Übergriff zu erwarten. Für überraschende Grenzüberschreitungen ist der Rekrut Ronnie (gespielt von Stefan Pohl) zuständig, das Ehepaar Hans und Jana ist in ihren illegalen Machenschaften längst routiniert.
Florian Flicker hat in dem Roadmovie "Suzie Washington" bereits 1998 eine starke Frauenfigur geschaffen. Mit der Protagonistin, die sich mit gestohlenen Dokumenten auf der Flucht durch Österreich befindet, hat er damals bereits illegale Einwanderung thematisiert. Gastfreundschaft und Fremdenfeindlichkeit saßen nebeneinander an den Wirtshaustischen, Flicker gelang mit seiner Erzählung auch ein Stimmungsbild. In "Grenzgänger" schlägt er leisere Töne an. Da fragt sich nur der Ronnie, ob die gefangenen Welse Slowaken oder Österreicher seien. Das Erzähltempo allerdings ist aus den späten Neunzigern.
Vielleicht will man auch nur endlich dem Pokerface der Andrea Wenzl auf den Grund gehen und wird zu ungeduldig.
Thimfilm
Pokerface Andrea Wenzl
"Grenzgänger" von Florian Flicker läuft seit vergangenem Freitag in den österreichischen Kinos
Denn als Spielball zwischen zwei Männern eignet sich diese Jana nicht. "I geh no' mal ins Bett. Gehst mit?" sagt Hans nach getaner Arbeit, und Jana antwortet mit einem auffordernden Lächeln. Das war's aber auch schon mit Sinnlichkeit. Ein anderes Mal wird sie sich mit dem Anziehen ihres Oberteils schließlich Zeit lassen, bis der eben erst heimgekehrte Ehemann im Schlafzimmer steht, und Rekrut in der Wirtshausstube und BH zu Ehebruch kombiniert. Die Frau, die weiß ganz genau, was sie tut. Und das ist nicht zu übersehen. Florian Flicker hat damit der Originalvorlage Schönherrs getrotzt, hat die weibliche Hauptfigur emanzipiert. "Ohne mi' bist du nix", stößt der gekränkte Partner hervor und hat nicht das letzte Wort. "Mit dir bin ich aber auch nicht viel". Der finale Showdown ist ein sorgfältig ausgelegtes Fangnetz.