Erstellt am: 19. 11. 2012 - 16:13 Uhr
Kinder, Kippas und Konflikte
Reprodukt Verlag
Guy Delisle hat bereits einige Zeit seines Lebens an politisch und sozial schwierigen Orten verbracht. Dazu zählen China, Burma und Nordkorea. Seine Erlebnisse an diesen Orten hat er in Comics festgehalten. In Guy Delisles neuestem Comic Aufzeichnungen aus Jerusalem schildert er ein Jahr, das er mit seiner Familie in Jerusalem gelebt hat, da seine Frau dort für die Organisation Ärzte ohne Grenzen tätig war. In vielen kleinen Episoden erzählt er, wie er als Hausmann versucht, den Haushalt zu schupfen, sich dabei um zwei kleine Kinder zu sorgen, nebenher seiner Arbeit als Comiczeichner nachzugehen und möglichst viel über das Land zu lernen.
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Delisle nähert sich den Themen Israel/Palästina/Siedlungspolitik/Glaubenskonflikte dabei stets auf eine vorurteilsfreie und beinahe naive Art und Weise. Er betont auch immer wieder, dass er Comiczeichner ist, und kein Journalist. Er hat die Fähigkeit, absurde Alltagssituationen in einfachen Bildern wiederzugeben, und in Jerusalem ergeben sich reichlich wie es scheint.
Seine Schilderungen sind unpathetisch und er ohne erhobenem Zeigefinger. Er gibt keine Antworten oder Lösungsvorschläge, sondern zeigt Zustände auf. Er ist Atheist in einem Land, wo dein Glaube bestimmt wo du dich aufhalten kannst, wer deine Feinde sind und wie du von wem behandelt wirst. Jerusalem ist ein Ort, wo du der Religion nicht aus dem Weg gehen kannst. Sein es die unterschiedlichen religiösen Feiertage und Öffnungszeiten, die streng geteilten Stadtviertel oder die Muezzins, deren Gesang durch dein Fenster dringt.
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Durch ihre Einfachheit sagen Delisles Zeichnungen oft mehr über das Leben in Jerusalem und der umliegenden Gegend aus, als jeder journalistische Artikel. Als Hausmann hat er das ganze Jahr über den Alltag in einem Land erlebt, wo immer wieder Attentate und Bombenangriffe die Straßen erschüttern. Alltagstrott und Lebensbedrohung existieren nebeneinander: die Kinder von der Schule abholen und mit der Frau telefonieren, die heute Abend nicht aus Gaza heimkommen kann, weil die Grenzposten geschlossen wurden. Die Aufzeichnungen aus Jerusalem bestehen aus mehreren Erzählebenen. Da sind die privaten Erlebnisse von Guy Delisle, die schwierigen Verhältnisse, die in Jerusalem und den angrenzenden Gebieten vorherrschen und nebenher erzählt das Comic auch davon, wie es ist für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten und ständig den Wohnort zu wechseln.
Doch selbst bei Delisles unbefangenem Tonfall und trotz seiner unpathetischen Bilder schwingt stets die Bitterkeit der Umstände mit. Man liest von seiner Haushaltshilfe , deren Haus aus reiner Willkür abgerissen werden soll, oder von einem Ziegenbauern, der aufgrund des Mauerbaus kein Grundstück mehr hat und somit auch keine Ziegen mehr. Das Comic endet damit, dass der Zeichner und seine Familie nach einem Jahr Jerusalem wieder verlassen. Er muss fortan nicht mehr ständig eine Kippa dabei haben, um gewisse Gebäude betreten zu dürfen. Er muss sich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, wo er einkauft und ob er damit vielleicht unwillentlich eine bestimmte Politik unterstützt.
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Guy Delisle liest am 20.11. im Wiener WUK und am 23. 11 auf der FM4 Bühne auf der Buch Wien
Aber die Konflikte vor Ort und die Probleme der Menschen die in dieser Gegend leben sind immer noch Realität. Bei allem Humor spielt Delisle diese Tatsache nicht herunter. Wie auch andere Comics bzw. Graphic Novels die in letzter Zeit zum Thema Nahostkonflikt veröffentlicht wurden, versucht auch Aufzeichnungen aus Jerusalem etwas Licht in die komplizierten Verhältnisse dort zu bringen. Das funktioniert am besten, in dem man die Kompliziertheit selbst thematisiert. Der Gefahr, durch bestimmte Begrifflichkeiten eine Position zu beziehen, entgeht Delisle indem er über die unterschiedlichen Begrifflichkeiten schreibt. Zum Beispiel darüber dass Jerusalem für Israel die Hauptstadt ist, für die internationale Gemeinschaft ist das allerdings Tel Aviv. Der Autor ist verwirrt und wir sind es mit ihm und durch die Verwirrung lernen wir mehr über Jerusalem.