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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

19. 11. 2012 - 10:56

Über den Wolken

Mit "Cloud Atlas" versuchen die Geschwister Wachowski und Tom Tykwer das Unterhaltungskino zu revolutionieren. Das Experiment gelingt nur bedingt.

Die Frau mit den feuerroten Dreadlocks steigert sich in einen Furor. "Alles was derzeit an großen Filmen anläuft, schaut exakt gleich aus", sagt Lana Wachowski und grinst dabei sarkastisch. "Jeder neue James Bond, jeder weitere 'Twilight' Teil, lauter strikt geplante Produkte, bei denen schon die minimalste Abweichung von der Norm als Innovation gefeiert wird".

Es geht mir bei der flammenden Rede, die Lana Wachowski in einem noblen Berliner Hotel hält, wie den anwesenden Journalistenkollegen. Wir sind allesamt fasziniert von der übersprühenden Energie, mit der hier der Hollywood-Mainstream attackiert wird. Die Wachowski Geschwister Lana und Andy und ihr deutscher Co-Regisseur Tom Tykwer benutzen die Promotion ihres gemeinsamen Monsterprojekts "Cloud Atlas" zu einer Tirade gegen das Korsett der filmischen Konventionen.

"Warum muss eigentlich alles linear erzählt werden?" fragt die aufgewühlte Lana zurecht in den Raum. "Weil jeder Bruch mit den gängigen Entertainmentregeln gleich für Verstörung sorgt", gibt sie sich selber die Antwort. "Aber warum kann ein Film nicht einfach aussehen wie ein kubistisches Gemälde oder ein Bild von Jackson Pollock?"

Man muss die Wachowskis und ihren sanfteren Regiekumpel Tom Tykwer einfach lieben nach diesem Gruppeninterview, in dem es neben Hass auf das System auch viel um ihre gemeinsame Zuneigung geht. Das einzige Problem bei all der verbalen Rebellion: Der Film, der hinter den glühenden Thesen steht, wird den ganzen schönen Sätzen nicht gerecht.

Cloud Atlas

Warner Bros

Vorfreude und Skepsis zugleich

Dabei bin ich mit einer fast schon euphorischen Erwartungshaltung in die Pressevorführung gegangen. Sechs gänzlich untypisch verzahnte Geschichten, sechs verschiedene Filmgenres, drei Regisseure, so etwas gibt es nicht alle Tage zu sehen. Auf den Spuren des Bestsellerromans "Cloud Atlas" des Briten David Mitchell kündigte sich hier der Versuch an, endlich einmal die Grenzen des festgefahrenen Erzählkinos etwas zu erschüttern. Und das, lautet der entscheidende Einschub, den auch die Macher betonen, nicht im Rahmen eines Experimentalfilms. Sondern bei Produktionskosten von über 100 Millionen Dollar.

Ein paar Anflüge von Skepis gab es meinerseits dennoch im Vorfeld. Zum einen ist mir partout kein Film mit Tom Hanks in der Hauptrolle eingefallen, der mich weggeblasen hat. Der Superstar, der sich im Pressegespräch als echter Sympathieträger entpuppt, steht gerade für jenes schnarchnasige Biedermann-Kino, als dessen Antithese "Cloud Atlas" konzipiert wurde.

Zum anderen ist da eben das Trio im Regiestuhl. Von Tom Tykwer schätze ich seine in Deutschland gedrehten, eine Spur reduzierter angelegten Arbeiten wie "Lola rennt", "Der Krieger und die Kaiserin" oder "Drei", einschlägige Ausflüge ins Big-Budget-Kino wie "Das Parfüm" oder "The International“ ließen mich jedoch völlig kalt.

Die Wachowskis sind ohnehin ein Kapitel für sich. Mit "The Matrix" standen sie für ein popinfiziertes Genrekino, dass perfekt zu einer gewissen Aufbruchsstimmung Ende der Neunziger passte. Der Megaerfolg des Sci-Fi-Thrillers schien die nerdigen Geschwister aber damals aus der Bahn geworfen zu haben. Den effektüberladenen Sequels, mit ihrem pseudophilosophischen Quatsch und dubiosen Erlösermythen, folgten sie mit dem knallbunten Fiebertraum eines Fünfjährigen. Die Anime-Hommage "Speed Racer" versuchte den konstanten Geschwindigkeitsrausch zu beschwören. Der Film mit seinen hochgepimpten Visuals, lächerlichen Dialogen und peinlichen Gags mündet aber in der rasenden Stagnation.

Cloud Atlas

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Sein oder Nichtsein

Aber egal, Vorurteile sollten keinen Platz in der Bewertung von Filmen haben. Also hinein mit offenen Augen und Ohren in den Marathon-Versuch, dem zeitgenössischen Entertainmentkino etwas wirklich Visionäres hinzuzufügen.

Tagebucheintragungen einer Ozeanreise, Briefe eines jungen Komponisten an seinen Geliebten, Ermittlungen einer engagierten Journalistin im Zusammenhang mit einem Atomkraftwerk, sarkastische Anekdoten rund um einen alten Verleger, Ausbruchsversuche aus einer dystopischen Diktatur und die Überlebenskämpfe eines post-apokalyptischen Stamms, all diese Geschichten aus unterschiedlichen Zeitepochen prallen in "Cloud Atlas" aufeinander. Und sie verschmelzen zu einem einzigen Erzählstrom.

Der erwähnte Tom Hanks, Halle Berry, Susan Sarandon, Ben Wishaw oder Hugh Grant agieren in unzähligen Rollen und Maskeraden, um den Leitsatz der Macher zu verdeutlichen, dass nämlich alles miteinander verbunden ist. Ideen, Vorstellungen, aber auch auch extreme Emotionen überdauern die Jahrhunderte, meinen die Wachowskis und Tykwer.

Es geht um die ganz großen Themen in diesem Storypuzzle, dass im Jahr 1849 beginnt und irgendwann in der fernen Zukunft endet, um Seelenwanderung und unsterbliche Liebe, um Freiheit und Toleranz, Sein oder Nichtsein. Nach drei langen Stunden hat man allerdings das Gefühl, bringt es eine Kollegin auf den Punkt, dass der philosophische Gehalt auf ein Glückskekszetterl passt.

Cloud Atlas

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Rastalocken Reloaded

Auch die formale Verpackung wirkt weit weniger innovativ als erwartet. Im Grunde ist es konventionell inszeniertes Erzählkino, dass von den drei Regisseuren zerstückelt und neu zusammengesetzt wird. Die eindringlichsten Momente finden sich noch in der von Tom Tykwer inszenierten Episode rund um den Nachwuchskomponisten Frobisher (der herrliche Ben Wishaw) und in dem Sci-Fi-Szenario der Wachowskis, in dem eine geklonte Koreanerin (fantastisch: Donna Bae) aus ihrem Sklavenalltag ausbricht.

Manchen bildgewaltigen Höhepunkten stehen aber etliche Szenen gegenüber, in denen Tom Hanks, Halle Berry oder Jim Broadbent in peinlichen Verkleidungen durch kitschtriefende Handlungsstränge taumeln. Huldigen die Wachowskis ihrer diskutierenswerten Vorliebe für Tribal-Outfits und Rastalocken, kommen besonders traumatische Erinnerungen hoch, ich sage jetzt nur "Matrix Reloaded" und der berüchtigte Untergrund-Rave.

Fazit: So erfrischend die Interviews zu diesem Film im Kopf bleiben - inklusive dem köstlichen "Wetten Dass"-Bashing von Hanks und Berry, der Gentleman-Attitüde des Dauerbösewichts Hugo Weaving oder der verträumten Exzentrizität von Wishaw und Bae - sie machen "Cloud Atlas" auch nicht besser.

Und selbst wenn es mitreißend klingt, was Lana Wachowski sagt (und jeder rebellische Satz durch ihr transsexuelles Outing noch ein besonderes Gewicht bekommt), kann ich ihr nicht ganz recht geben. Es gibt sie sehr wohl, die Unterwanderer des aufgeblasenen Kommerzkinos, von James Cameron über Christopher Nolan bis zu David Fincher. Und es gibt Werke wie "The Tree Of Life", die tatsächlich eine neue Sprache für alte spirituelle Inhalte suchen. "Cloud Atlas" bleibt dagegen leider nur ein esoterisch angehauchter Leerlauf.

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