Erstellt am: 18. 11. 2012 - 15:30 Uhr
Geröll, Lärm, Leerstellen
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "Heart Beat" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Das neue, demnächst erscheinende Album von Scott Walker ist das bislang abseitigste, jenes, das am weitesten draußen steht vor irgendwelchen Erwartungen oder auf Geschmeidigkeit hoffenden Hörgewohnheiten, vielleicht auch das „fordernste“ in einem an Kehrtwendungen und Soundturbulenz nicht armen Lebenslauf. „Mutig“ oder „gewagt“ muss man die Platte mit dem schönen Namen „Bish Bosch“, die Anfang Dezember erscheinen wird, aber nicht nennen: Der Musiker, Songwriter und Alleskönner Walker will mit großer Wahrscheinlichkeit ja niemanden verstören oder mit Gewalt das Nervenkostüm ramponieren, als „Avantgardist“ sieht er sich auch nicht, nein, er zimmert schlicht die Musik oder auch die Klangkonstruktionen, die gerade noch innerhalb dieser Kategorie zusammenzuhalten sind, die sein muss und müssen, die, wenn schon nicht die Welt, Walker selbst braucht. Doch die Welt braucht. „Bish Bosch“ ist ein Album, das einem störrisch und schmerzhaft ins Leben fährt. Elend, Lärm, Schutt und stechende Momente der Stille.
In seiner schon gut fünfzig Jahre andauernden Karriere war der in den USA geborene Walker, der ja tendenziell immer gerne als englischer Musiker wahrgenommen wird, mit den Walker Brothers, die weder Geschwister waren, noch Walker hießen, waschechter Popstar und mit seinen ersten fünf Solo-Alben, wenn schon nicht finanziell immer überwältigend, so aber künstlerisch erfolgreicher Solo-Künstler, der mit spröden Eigenkompositionen, Jacques-Brel-Umdeutungen und Soundtrack-Arbeiten auslotete, wie weit die Klammern „Pop“ und „Singer/Songerwriter“ dehnbar sind.
Die aktuelle Inkarnation von Scott Walker ist wohl mit dem Album „Tilt“ aus dem Jahr 1995 das erste Mal dokumentiert, wurde nach elf Jahren mit der großartigen Platte „The Drift“ 2006 weitergeführt und findet jetzt mit „Bish Bosch“ einen bitteren, einen wunderbaren Höhepunkt. Auch „Tilt“ und „The Drift“ waren schon ausfransende und mitunter eher an Textur denn an tatsächlichen Songs interessierte Platten, auf „Bish Bosch“ jedoch klaffen die Wunden jetzt meterweit, es wird mit elektrischer Gitarre gewütet und anderswo werden die leersten Leerstellen der Welt offen gelassen. Walker hat aus Widderhorn geformte Blasinstrumente und überdimensionale Tuba-Saxophon-Hybride ins Studio geholt, er hat das Rasseln von Macheten aufgenommen und singt unter anderem über Nicolae Ceausecu. Das zentrale Stück des Albums dauert zwanzig Minuten, gar putzig tönt das alles aber nicht.
Eines der beiden Stücke, die von „Bish Bosch“ bereits durchs Netz, nun, tösen, ist der Song „See You Don’t Bump His Head“ – eine Text-Zeile aus Zinnemanns „From Here To Eternity“, die aus dem finalen Film wieder herausgeschnitten wurde. Ein brutaler, ein monotoner Drumbeat trägt das Lied, nach zwei Minuten grätscht eine Gitarre hinein ins Geschehen, es zischt und quietscht. Darüber thront Walkers zerbrechliche Stimme: „While Plucking Feathers From A Swan Song“ wiederholt er immer wieder. Er pflückt sich die Federn von einem Schwanengesang, vom also endgültigen, dem allerletzten Song, dem Abschiedssong, und schmückt sich damit ein wunderhübsch hässliches Stück Musik zu recht. Im Ende findet Walker die Ewigkeit, aua, es tut weh. Der „Swan Song“ - auf "Bish Bosch" ist das erst der Anfang.