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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

17. 11. 2012 - 13:25

Jazz statt Techno

Endlich mal wieder ein guter deutscher Film. In "Oh Boy" ist Berlin weder Moloch noch Hipstermetropole.

Immer wenn ein neuer Berlin Film angekündigt wird zuckt man innerlich zusammen - zu viel Elend hat man schon gesehen und generell ist ja vom jungen oder neuen oder überhaupt deutschen Film wenig zu halten.
Die erträglicheren Berlin-Filme der letzten Jahre waren auch entweder Techno- oder Ausgehfilme wie „Berlin Calling“, oder der „Bar 25“ –Film, da konnte man sich immerhin noch an den schönen Originalschauplätzen freuen, bis man den Bildern von der feiersüchtigen Partygemeinde zwischen Ficken, Kotzen und Koksen überdrüssig war.

Nun lief "Oh Boy" letzte Woche in den Berliner Kinos an - und man glaubt es kaum, es ist ein ganz großartiger Film, mit tollen Schauspielern, ernsthaft, traurig und sehr lustig zu gleich.

Tom Schilling in "Oh Boy"

x verleih

Berlin ist schwarz-weiß und sieht überhaupt nicht mehr nach der Partystadt, an der man sich satt gesehen hat aus, sondern eher nach dem alten „Himmel über Berlin „ von Wim Wenders, oder gleich nach Nouvelle Vague, nach Paris, nach dem Berlin der Achtziger, manchmal sogar wie alte Aufnahmen aus den Sechzigern, dazu läuft ein Jazz-Soundtrack statt der obligatorischen Technobeats.

Es ist alles da, was ein Berlin Film braucht: Die Stadt, die U-Bahn, die hier als Hochbahn vor dem Fenster vorbeifährt, die Interieurs, in denen man als Berlinerin selbst lebt, die Dielen, die Treppenaufgänge, die Balkontüren, die Graffitis, all das typisch Berlinische, das man sofort erkennt und doch gar nicht mehr sieht, wenn man hier wohnt. Und so kann man die eigene Stadt im Film plötzlich auch wieder mit anderen Augen sehen.

Und einen Protagonisten braucht es natürlich: Niko (Tom Schilling), ein verloren wirkender junger Mann, Mitte/Ende 20, dem noch die schwere und müde Teilnahmslosigkeit des Adoleszenten anhaftet: Ein Tagedieb oder Taugenichts, ein Loser, Flaneur, Slacker. Einer, der wenig redet, eher zuhört, und die Ausstrahlung hat eher in Ruhe gelassen zu werden wollen.

Tom Schilling und marc hosemann

x verleih

Die Nebenrollen sind alle brillant besetzt: Ein Freund, der eigentlich Schauspieler ist, aber noch auf die richtigen Rollen wartet, ein verzweifelter Nachbar, eine Schulfreundin, die früher dick war und immer gehänselt wurde, ein golfender Vater, der den Geldhahn zu dreht, als er erfährt, dass sein Sohn das Jurastudium vor zwei Jahren schon abgebrochen und seitdem nur „nachgedacht hat.
Man kann darüber nachdenken, ob das Slackertum, das in “Oh Boy” vorgeführt wird gerade ausstirbt, weil man sich in Berlin inzwischen auch mehr anstrengen muss um sich durchzuschlagen. Oder ist der Slacker gerade wieder im Kommen nach der Finanz-und Eurokrise?

x verleih

Das „szenige“ Berlin kommt in "Oh Boy" eher am Rande vor, im graffiti-übersäten Treppenhaus eines Off-Theaters, wo es um die Schwierigkeiten geht bei Ausdruckstanz nicht lachen zu müssen, im „White Trash“, wo man beim Bestellen grundsätzlich Englisch sprechen muss.
"Oh Boy" ist endlich mal wieder ein toller deutscher Film, mit einem tollen Tom Schilling als Hauptdarsteller - ein Film der zeigt, warum die vielen anderen neuen oder mittelalten deutschen Filme alle so schlecht sind.

"Oh Boy" startet am 28.12. in den österreichischen Kinos

Regisseur Jan Ole Gerster hat in seinem Debut einige Spitzen gegen den deutschen Film eingebaut. In einer Szene besucht Niko das Set eines Nazi-Dramas und da kann man besichtigen, was beim deutschen Film mit seiner Hitler-Huberei so schrecklich schief läuft. Und trotz dieser urkomischen Szene ist der Film dann wieder ganz fein und präzise, die Staßenfotografie in klassischer Ästhetik gehalten. Auch das macht den Film so schön:
Es kommen keine Touristen, kein Party – und Ausgehvolk drin vor, niemand ist hysterisch Und obwohl Berlin in diesem Film die Hauptrolle spielt, wird es weder gehasst, noch gehypt, ist kein Moloch, keine Hipstermetropole, sondern ist einfach nur da.