Erstellt am: 22. 11. 2012 - 10:57 Uhr
Die Autobiografie der Beth Ditto
"Richtige Sängerinnen hatten süße, sanfte Stimmen und klangen wie die beiden Mädchen von The Murmurs. Oder sie hatten schrille Punkstimmen, wie eine Cheerleaderin, die durchdreht, so wie Kathleen Hanna von Bikini Kill. Ich hatte einfach eine ganz andere Stimme, die ich lange Zeit hasste, weil sie so konventionell klang. (...) Meine Stimme funktionierte bestens, wenn ich damit Jesus, unseren Herrn und Erlöser, lobpreiste. Aber im Dienste von Punkrock hörte sie sich in meinen Ohren völlig daneben an."
Ich, Mary Beth Ditto
DPA
Was wissen wir nicht schon alles über sie? Das quasi Essentielle jedenfalls lesen und sehen wir immer wieder: schwer übergewichtig, lesbisch, erfolgreich mit Musik und auch in der Modewelt gern gesehen. Sonst noch etwas? Dass sie in Wahrheit doch gern schlanker sein würde, auch wenn sie stolz die Konventionen gängiger Schönheitsideale aufbricht und so gegen die Geschlechterprägungen rebelliert? Hmm, ob die Autobiografie weiterhilft, mehr über Beth Ditto zu erfahren, außer dass sie als Kind frittierte Eichhörnchen gegessen hat, was unter Musik-Fans auch schon einmal diskutiert worden war, vor etwa acht Jahren in der englischen Musikzeitung New Musical Express: "Smaller than a chicken, bigger than a rat." Frittiertes Eichhörnes. Mary Beth Ditto hat es mehr als gehasst.
I Wrote The Book
"I Wrote The Book" hieß ein Dance-Pop-Song von der Beth-Ditto-EP, einem im Frühjahr 2011 erschienen Mini-Album von Beth, entstanden zusammen mit Musikern der britischen Band Simian Mobile Disco und dem englischen Producer James Ford. Jetzt hat sie es also getan, ihre Geschichte niedergeschrieben, zwar mit einer helfenden Schreiberhand namens Michelle Tea, aber das macht ja nichts, und unter dem Titel "Coal To Diamonds - A Memoir". Jene Michelle Tea, eine Literatin aus San Francisco, hört man nur raus, oder vermeint dies jedenfalls zu tun, wenn die Zeilen besonders schmissig klingen. Die gewisse Non-Chalance, diese gewisse Art von distanzierter Kühlheit, selbst wenn die Dinge nocht so trist sind, ist aber die der Beth Ditto. Harte Schale, weicher Kern, nun, eh klar, irgendwie. Oder hat jemand eine weinerliche Beth Ditto erwartet? Nein, eher nicht.
Der Originaltitel, der sich ebenfalls wie die Übersetzung einen Gossip-Songtitel genommen hat, ist - für meinen Geschmack - schöner als der der deutschen Übersetzung, weil etwa insgesamt optimistischer als das simple, dunkle "Heavy Cross", das zwar catchy ist - was ja zu einem Popstar passt, aber eben ein wenig zu offensichtlich. Die diamonds im Original-Buchtitel deuten den Erfolg von Beth Ditto an, und memoir klingt irgendwie gewichtiger als Autobiografie. Die Erinnerungen nach "Erinnerungen" einer älteren Dame, denn die ist Beth Ditto gewissermaßen ja mittlerweile, trotz ihrer erst 31 Lebensjahre. Geordnet und abgesichert ist das Leben der Beth Ditto ja mittlerweile. "Das beste was mir passieren konnte", wie Beth Ditto in Interviews betont: "Es war nicht cool, jeden Tag Angst zu haben, ob es meine Mum schaffen wird, mich und sich zu versorgen."
Random House
Weiters ist das Buchcover der Originalausgabe glamouröser, insgesamt eben "amerikanischer" als das der deutschen Übersetzung. Vieles ist "amerikanisch" am Buch von Beth Ditto, etwa diese Zeilen der Positiv-Message, die jeder/m aus den USA, die es "schafft", letztlich innezuwohnen scheint: "Ich weiß, dass ich das Produkt all dessen bin, was ich durchmachen musste, von all dem Guten und dem Schlechten."
Nun denn, erzählt "Heavy Cross", die Autobiografie dieser Alternative-Music-Heldin, mehr als "Ich war ein fettes trailer trash Kind in Arkansas"?
Glorious Results Of A Misspent Youth
"...damit stand ich am Anfang eines weiteren Jahres, und auch dieses hielt einige Debuts für mich bereit. Meine erste Fashion Week, auf der ich Karl Lagerfeld und Vivienne Westwood kennenlernte und einige Shows meiner Lieblingsdesigner sehen durfte. Mein erstes Haus, im selben Viertel, in dem auch meine Freunde wohnen, das ich während der Fashion Week telefonisch gekauft habe. Und das erste Haus, das ich meiner Mutter gekauft habe. (...) Meine erste Modelinie - und der magische Moment, mitzubekommen, wie meine Zeichnungen, die ich den Evans-Designern gegeben hatte, als Schuhe, Kleider und Tops zum Leben erwachten. (...) Gossips erste Goldene Schallplatten... wow!"
Aber alles der Reihe nach
Heyne
"Einst war Judsonia, Arkansas eine blühende Metropole, die mit dem Rest des Landes durchaus Schritt halten konnte. (...) Bis in die Vierziger Jahre war das so. Doch dann wirbelte 1952 ein Tornado durch die Stadt und riss alles nieder. Außer Staub und Depressionen blieb nichts zurück. Danach verging die Zeit nur noch in zähem Fluss, und die Menschen wurden träge und traurig."
In "Heavy Cross" erfährt man Einiges über die Vereinigten Staaten - unterschiedliche Regionen und ihre Menschen. Arkansas, etwa in der südöstlichen Mitte der USA gelegen, könnte nicht unterschiedlicher sein zum Pazifischen Nordwesten: In Olympia, Washington, jener liberalen College-Stadt, in die es die junge Beth Ditto schließlich geschafft hatte, war das Zentrum der Riot-Grrl-Szene, jener feministischen, von Punk inspirierten Bewegung, in der Beth Ditto ein Zuhause fand, bevor sie größere Bekanntheit erlangte.
"Arkansas hinkt dem Rest des Landes gute zehn Jahre hinterher. Deshalb wussten anderswo längst alle Bescheid, als ich erst nach und nach begriff, worum es beim Grunge überhaupt ging. Während man im Rest des Landes längst in Flannellhemden und mit Zottelhaaren herumlief, trug ich nach wie vor eine Frisur, die höher war als Tante Jannies Blutzuckerspiegel."
Gossip
Für Music-History-Fans sind Beth Dittos Beschreibungen der Musik des US-Nordwestens interessant. Wie sie von Plattenlabels wie K Records oder Kill Rock Stars schreibt, wie sie erzählt, wie schwierig es war, in Arkansas an Musik heranzukommen, oder wie sie als 12-Jährige Riot-Grrl entdeckte, das ihr, wie gesagt, eine völlig neue Welt eröffnete.
"Die Riot-Grrrl-Ästhetik war mehr oder weniger zusammengeklaubt und bediente sich sämtlicher Subkulturen von Grunge bis Gothic. Weil man den Kapitalismus ablehnte, war alles billig, gebraucht oder selbst gemacht. Oder man schlich sich kurz ins Einkaufscenter und kam mit einer Handvoll grellbunter Kinderhaarspangen aus Plastik und allem möglichen Hello-Kitty-Krimskrams wieder."
Beth Ditto spielt am Freitag, 23.11.2012 mit ihrer Band Gossip im Gasometer in Wien.
Ich habe Stellen wie diese im Buch mehr genossen - Beth Dittos Erleben einer nicht unbedeutenden Underground-Popculture, erst aus der Ferne, dann mit dabei - als die traurigen Zeilen, die von Hunger, Missbrauch, Vernachlässigung und Psychiatrie handeln, was aber nicht heißt, dass Ditto diese aussparen hätte sollen. Aber La Ditto ist eine gute Dokumentarin einer gewissen Popkultur-Ära der Vereinigten Staaten, und erzählt überhaupt gut über Musik und ihre ProtagonistInnen, zumindest im Ansatz. Das Buch hat schließlich nur 200 Seiten, in der ohnehin schon etwas längeren deutschen Übersetzung. Von den Riot-Grrl-Fanzines ist die Rede, von Calvin Johnson´s Dub Narcotic Soundsystem in Olympia, vom Umzug ins größere, nahegelegene Portland, Oregon. Aber auch von Mama Cass, der übergewichtigen Sängerin der Mamas & Papas in den Sixties, erzählt Beth Ditto, vom Hippie-Mädchen Melanie,von der "I Love Rock´n´Roll"-Sängerin Joan Jett, von Nina Hagen, Yoko Ono, oder von der großen, tragischen Billie Holiday. Einzig, über die Gossip-Platten hätte Beth Ditto mehr berichten können. Und ganz am neuesten Stand ist das Buch auch nicht: Mit Freddie, ihrem transsexuellen Partner, ist Beth Ditto schon eine Weile nicht mehr zusammen, sondern verheiratet mit ihrer Partnerin Kristen.
P.S.: "Mein Leben wäre einfacher, wenn ich einen schlankeren Körper hätte. Manche Menschen müssen abnehmen, um ein Gefühl von Sicherheit zu bekommen..."