Erstellt am: 15. 11. 2012 - 15:10 Uhr
Grimms Erben
Wenn Schlagzeuger von bekannten Popgruppen Bücher veröffentlichen, kann man erstens von einem eher seltenen Fall sprechen und zweitens würde man kaum so etwas erwarten wir "Grimms Erben" von Florian Weber, seines Zeichens Trommler bei den Sportfreunden Stiller. Tour-Anekdoten und mehr oder weniger witzige Alltagsbetrachtungen aus dem Leben eines Neon-Abonnenten sucht man hier vergebens. Denn Florian Weber hat sich für sein zweites Buch viel, viel weiter rausgelehnt.
verlag
Grimms Erben startet im Jahr 1943, Schauplatz Warschau. Ein Gewisser Ignaz Buchmann, Geschichtenerfinder, Tagträumer und Deserteur ist auf der Flucht vor deutschen Soldaten. Er rennt um sein Leben und landet im Warschauer Ghetto. Dieser erste Teil des Romans trägt den pompösen Titel "Die vermaledeite Flucht in das sich selbständig verkleinernde Labyrinth der Sternenträger" und allein daran erkennt man, dass es Florian Weber aber nicht um einen akkuraten zeitgeschichtlichen Roman geht. Dieses Jahr 1943 ist nur der Startschuss für eine wild mäandernde Suche nach den Geschichten dieses Ignaz Buchmanns quer durch die Jahrzehnte, die in den bayerisch-österreichischen Alpen enden wird.
Bayerische Pop-Postmoderne
Florian Weber ist heute, 15.11., zu Gast in FM4 Connected (15-19h)
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"Grimms Erben" bezieht sich tatsächlich auf die Gebrüder Grimm, auf ihre Märchensammlung aber auch ihr berühmtes 33-bändiges deutsches Wörterbuch spielt eine gewichtige Rolle in der Metafiktion von Grimms Erben. Florian Weber schafft es sogar in seiner wilden Romankonstruktion ein paar ganz neue charmante Märchen unterzubringen. Unterschiedliche Erzählperspektiven, typografische Spielereien, auch Literaturgenres werden munter durcheinandergewürfelt. Postmodern hätte man früher dazu gesagt. Geistesverwandte Literaturgrößen wie Italo Calvino, Jorge Luis Borges oder Umberto Eco sitzen ganz oben in den Bäumen und lächeln wissend. Ganz so hoch hinaus will Florian Weber dann aber doch nicht. Es ist eben doch eine bayerische Pop-Postmoderne, die vor Fußball und Jazzmusik, Pop und Lederhose - vor allem im letzten Drittel des Buches - nicht haltmacht.
Verlag
Grimms Erben ist ein Buch der unterschiedlichsten Temperamente und Genres. Was als zeithistorischer Roman beginnt, entwickelt sich zur Außenseiterkomödie, geht über in eine krude Rachefantasie und endet in einem Alpin-Thriller. Mitunter hat Florian Weber das Problem, den Leser in seinem schlingernden Text zu verlieren, die eine oder andere Abschweifung hätte man vielleicht auch sein lassen können. Aber das "große Geheimnis", dass all die Teile zusammenhält, hält auch den Leser bis zum Schluss bei der Stange. Florian Weber ist jedenfalls eine schöne, mitunter sentimentale Liebeserklärung an das Geschichtenerzählen, Bücherlesen und Bücherproduzieren, an seine Helden der Literaturgeschichte und - darf man das sagen? - die Kraft der Fantasie gelungen.
"Grimms Erben" von Florian Weber ist im Verlag Wald & Graf erschienen, Illustrationen von Kai Büchl.
Florian Weber liest am 15.11. um 20 Uhr im phil.
Mehr als eine Erwähnung wert ist auch die charmante grafische Gestaltung von "Grimms Erben" von Kai Büschl, der auch schon für viele der Plattencover der Sportfreunde Stiller verantwortlich war. Seine Illustrationen für den Roman sind irgendwo zwischen der alten Erich-Kästner- Jugendbuchschule und dem ironischen Witz der Popliteratur angesiedelt und geben dem Buch eine visuelle Klammer und man fragt sich, warum die Illustration in zeitgenössischer Belletristik mehr oder weniger ausgestorben ist. Schade eigentlich.