Erstellt am: 14. 11. 2012 - 14:49 Uhr
Back in Berlin
Am "Checkpoint Charlie" steht ein künstlich aussehender amerikanischer Soldat. Der Wind weht durch seine Winteruniform. "Hello!", sage ich zu ihm. "Hello!", erwidert er. Jeder Versuch, ein Gespräch mit ihm auf Englisch zu führen, bleibt ohne Ergebnis. Er kennt nicht mehr als zehn englische Wörter, heißt Ahmed und kommt aus der Türkei.
Das ganze Geschäft rund um den "Checkpoint Charlie" gehört den Ausländern. Rumänische Roma verkaufen russische Mützen, Schulterstücke und Aufnäher aus der Zeit des Kalten Krieges. Die meisten von ihnen sind so jung, dass es mir unmöglich erscheint, dass sie sich an der Zeit erinnern. Das Leiden der Vergangenheit ist ein Marketingprodukt geworden. Aber Geschäft ist Geschäft.
CC-BY: Chris Grabert
Ich bin zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren in Berlin. Ich brauche kein GPS. Der Fernsehturm am Alexanderplatz zeigt mir den Weg. Wenn ich ihn sehe, fühle ich mich wie zu Hause. In Berlin habe ich Deutsch gelernt. Hier sah ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Bombe. Vor meiner Schule wurde die Straße aufgegraben und in der Erde wurde eine englische Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Zusammen mit der Bombe fand man einen mit Schwänen dekorierten Bettrahmen und eine Puppe aus Zelluloid. All das lag unter der Erde seit 1945. Sein Erscheinen ist ein gesetzmäßiger Zufall gewesen. Zufall, weil gerade an dieser Stelle die Gasleitung ausgewechselt werden sollten. Gesetzmäßig, weil jede Welt, die unter der Erde liegt, irgendwann gefunden werden soll.
In Berlin heißt mich mein Freund Chicky willkommen. Ich hätte mir ja nie vorgestellt, dass ich mal Chicky in Berlin besuchen werde. Er ist ein tätowierter bulgarischer Punker mit dem Aussehen eines Auftragskillers und der Seele eines Lamms. Vor zwei Jahren erkannte er, dass er Bulgarien satt hat, nahm seine Sachen und fuhr nach Berlin. Chicky ist ein sehr guter Schweißer. Er ist gesucht, arbeitet viel und fühlt sich super in Deutschland. "Wenn ich morgens zur Arbeit fahre, riecht mein ganzes Viertel nach Kuttelflecksuppe!", lobt Chicky seinen neuer Wohnort. "Ich fühle mich ganz wie zu Hause!" Chicky wohnt in Kreuzberg, ganz nah zum Checkpoint Charlie.
Wir gehen uns Bier kaufen. Ich erzähle ihm, was ich gelesen habe: dass Berlin das neue Zentrum linker, elektronischer, artistischer Hipster-Kultur sein soll. Und frage Chicky, ob er mir diese Seite von Berlin zeigen kann. Er antwortet mir nach einem kurzen Überlegen: "Ich kann dir mindestens sechs solche Lokale zeigen, aber das Problem ist, man lässt mich dort nicht rein! Aber lass uns irgendwo Bier trinken, wo es normal ist." Wir kaufen uns Bier an einem Kiosk nah an der U-Bahn Station. Es ist saukalt. Chicky lächelt mich an. "Das gute an Berlin ist, dass dein Bier niemals warm werden kann!"
Bald kommen wir zu dem Haus, wo ich vor zehn Jahren gewohnt habe. Ein Gebäude aus Ostberlin-Zeiten. Rundum steht die Zeit still. Hier irgendwo stecken zwei Jahre aus meinem Leben. Verloren oder gewonnen? Ich weiß nicht. Ich lächele das Haus an und mache mich bereit für den Rückweg nach Wien.