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Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

12. 11. 2012 - 17:36

Ein Toter und ein Hund

"Der potemkinsche Hund", ein Roman über einen Toten der wieder auferweckt wird und durch die Straßen Odessas irrt.

Cover "Der potemkinsche Hund"

Picus Verlag

"Der potemkinsche Hund" von Cordula Simon ist erschienen beim Picus Verlag Wien

Irina liebt Anatol. Aber damit gibt es zwei Probleme. Zum Ersten weiß er nicht, dass seine Nachbarin in ihn verliebt ist, und zum Zweiten ist er tot. Zum Glück ist Irina allerdings Naturwissenschaftlerin, die sich mit dem Fachgebiet Organtransplantation und Wiederbelebung auseinandersetzt. Sie beschließt, Anatol mit einer von ihr selbst erdachten Mixtur aus Substanzen aus dem Grab zurückzuholen, . Das gegenseitige Kennenlernen wäre danach das geringere Problem. Doch der Leichnam rührt sich nicht, auch nachdem Irina ihn der von ihr erdachten Prozedur unterzogen hat. Enttäuscht verlässt sie den Friedhof und gibt ihre Hoffnung, ihre Forschung und ihr bisheriges Leben auf.

Hätte sie nur etwas länger bei Anatols Leichnam gewartet, hätte sie miterlebt wie er vom Tod erwachte. Aber zu diesem Zeitpunkt war sie schon weg und er war alleine.

Die Hände waren kühl, als er sie auf die Augen legte, gerne hätte er gerufen, doch der Versuch, zu atmen schreckte ihn noch mehr, als es die schmerzenden Augen taten, er konnte den Mund ebensowenig öffnen wie die Augen, die Lippen lagen glatt und trocken aufeinander, als er mit den FIngern vorsichtig darüberstrich, auf seinem Gesicht dagegen klebten nasse Erdklümpchen. Innen an den Lippen zog es stark, versuchte er sie zu öffnen.

Er kann seinen Mund deswegen nicht öffnen, weil er zugenäht ist. Ebenso wie sein Penis und sein After. Das hat der Leichenbestatter gemacht, damit seine Seele nicht aus dem Körper kann. Oder nicht dahin zurück? Darüber ist sich der Bestatter selbst nicht ganz sicher.

Ein Hund als leitendes Motiv

Noch am Friedhof trifft Anatol auf einen Hund, der ihn von da an die restliche Geschichte über begleitet und leitet. Er nennt ihn "Celobaka", also Menschenhund. Der Hund ist so etwas wie das Leitmotiv des Romans, in dem auch immer wieder das Motiv des Höllenhundes Cerberus auftaucht, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Cordula Simon verwendet viele Symbole und Metaphern und schafft damit eine sehr bildhafte Sprache, wie man es auch von anderen Schriftstellern aus Osteuropa und Russland schon gelesen hat.

Die Autorin selbst kommt aus der Steiermark, hat aber deutsche und russische Philologie in Graz und Odessa studiert. Und dort, in Odessa, spielt auch der größte Teil von "Der potemkinsche Hund". Immer wieder lässt die Autorin Referenzen an ukrainische Traditionen und Redensarten einfließen oder verwendet ukrainische Begriffe, ohne diese speziell zu erläutern oder zu übersetzen. Damit nimmt sie mich als Leserin mit in die Straßen von Odessa, wo ein von den Toten Auferstandener einem schmutzigen Hund hinterher torkelt.

In jedem Kapitel ändert Cordula Simon die Perspektive, von Anatol zu Irina, und immer wieder auch zu anderen Figuren, die irgendwie in die Geschichte der Beiden verwickelt sind, die Totengräber, Anatols Nachmieter und einmal sogar in die Perspektive des Hundes.

Der Tote nannte ihn Celobaka. Menschenhund, was für eine Lüge, denn der Mensch ist dem Menschen kein Hund. Denn er war ein Hund und wusste es besser, dass er nicht zubeißen würde, wenn der andere Hund schon am Boden lag und ihm anbot, ihm die Kehle durchzubeißen. Die Menschen bissen dagegen immer.

Eine Welt wie bei Bulgakov und Kafka

  • Cordula Simon, geboren 1986 in Graz, Studium der deutschen und russischen Philologie in Graz und Odessa. Mitglied der Lieteraturgruppe plattform. "Der potemkinsche Hund" ist ihr Debütroman.

Die Welt in Cordula Simons Roman ist eine fantastische, wie bei Mikhail Bulgakov und eine befremdliche wie bei Franz Kafka. Ein Toter läuft durch die Stadt, und niemand wundert sich darüber (außer der Leichenbestatter, der seine Körperöffnungen doch alle zugenäht hatte). Der Tote geht zum Amt, um seinen Totenschein revidieren zu lassen, doch ohne Ausweis wird ihm seine Identität nicht anerkannt.

Simon beschreibt eine Welt, in der man ohne dafür zu zahlen überhaupt nichts haben kann. Kein Essen, keine Auskunft, keine Behandlung im Krankenhaus. Man wünscht Anatol fast, dass er doch zurück in die Sicherheit seines Grabes dürfe, wo ihn weder schmerzende Nähte noch postmortale Verstopfung quälen können.

Sowohl wie Anatol gestorben ist als auch wie er gelebt hat bleiben im Dunkeln. Seine Erinnerungen sind spärlich. Nur durch Irina erfahren wir das eine oder andere Detail über Anatol, der ihr Nachbar war. Die beiden treffen sogar an einem Punkt der Geschichte aufeinander und verbringen eine Nacht miteinander, was ziemlich nahe an Nekrophilie kommt.

"Der potemkinsche Hund" erinnert an nicht nur an Kafka und Bulgakov, sondern auch an Dimitré Dinev oder Emir Kusturica. Wer auch nur einen der genannten Namen schätzt, dem empfehle ich dieses Buch.