Erstellt am: 18. 11. 2012 - 11:00 Uhr
Haus der Lüge
Wir schreiben das Jahr 1999 und unser Ich-Erzähler wandert frustriert und auch etwas alkoholisiert durch die Berliner Nacht. Er ist 41 Jahre alt und arbeitet in einer drittklassigen Plattenfirma. Er hasst seinen Job, ist ausgebrannt, komplett im Eimer. Vor mehr als 15 Jahren besaß er noch einen eigenen Schallplattenladen, streng idealistisch geführt und daher auch konsequent dem Konkurs entgegensteuerndt. Nun verdient er seine Brötchen als A&R-Manager, das steht für Artists and Relations. Er muss sich mit talentfreien Möchtegern-Stars herumschlagen, stumpfsinnige Demobänder hören und eines der vielen knirschenden Zahnräder einer Industrie sein, die längst nicht mehr auf Qualität setzt. Wütend, verbittert und desillusioniert: Unser Held ist gebrochen vom Musikgeschäft.
flickr.com/photos/florianplag
Am Ende denk ich immer nur an dich
Milena
Während er durch die Berliner Nacht stolpert, denkt er über sein verpfuschtes Leben nach. Was da schief gegangen sein mag, seit sein Plattengeschäft in die roten Zahlen und danach in den Konkurs geschlittert war. Und er denkt über Nadja nach. Ohne sie wäre er vermutlich immer noch Musiker in seiner eigenen Band, den "Sonntagsmördern". Ende der 70er fand man sich als Gruppe zusammen und mit einem solch martialischen Bandnamen war die ewig rebellische Haltung der Rockmusik gegen das Establishment fast schon vorprogrammiert. Unterstützt wurde das Ganze noch durch vom Tod faszinierte Tagträume in Textform und musikalisch durch Gothic Metal der härtesten Kategorie, unser Ich-Erzähler spielte dabei Bass.
"Die Sonntagsmörder" erlebten in ihrer Blütezeit sämtliche Höhen und Tiefen einer ehrgeizigen musikalischen Karriereplanung. Von auf verregneten Bürgersteigen geteilten Brötchen, verrauchten Auftritten in dunklen Kellerlöchern bis zu umjubelten Konzerten vor Tausenden von Fans, Luxus-Hotels und schleichendem Größenwahn. Schon bald wurde die Gruppe allerdings wieder von ihrem Höhenflug auf den Boden der Realität zurückgeholt. Der Bandname war der breiten Hörerschicht zu brutal, die neue Variante "Sonntagsfahrer" klang da schon massentauglicher. Die meisten ihrer Songs wurden im Radio nicht gespielt oder gar zensiert, zum Missfallen der Band. Das Musikbusiness präsentierte sich immer öfter von seiner hässlichen Seite, der Absturz der Band kündigte sich schon an.
Über allem stand aber Nadja. Das junge Ding mit den rosaroten Haaren, naiv, verträumt, von einem Schlamassel ins nächste stürzend. Sie pfiff auf alle Konventionen, brachte sich immer wieder in Schwierigkeiten mit der Poizei, aber er liebte sie trotzdem, oder gerade deshalb. Bis Nadja Pläne für einen terroristisch motivierten Anschlag schmiedete, der auch für unseren enttäuschten Rockstar nicht ohne Konsequenzen blieb.
Basically Sad
Tipp:
Paul Lukas liest aus "Vinyl" am 23.11. im phil und am 24.11. auf der FM4 Bühne im Rahmen der Buch Wien.
Es sei das "verlogenste Geschäft der Welt", das meinte schon Keith Richards, Gitarrist der Rolling Stones, zu den Machenschaften der Musikindustrie. Dieser Meinung dürfte auch Paul Lukas sein, Ex-Bassist und Gründungsmitglied von Element of Crime. Lukas verließ die Band 1995 und etablierte sich als Schriftsteller. So ganz ohne Musik geht es in seinen Büchern aber nicht. Denn selbst wenn dies nicht explizit ausgesprochen wird, in seinem neuen Roman "Vinyl" dürfte Lukas auch seine eigenen Erfahrungen mit dem Musikgeschäft verarbeiten. Und das sind nicht die besten. Sowohl die "Sonntagsmörder" als auch Element of Crime produzieren ihre ersten große Erfolge in London (beide mit gewichtigen Produzenten wie John Cale), erhalten bei Konzerten häufig keine Mindestgage, müssen sich durch endlose Tourneen, wiederholende Interviews und sinnfreie Talkshow-Auftritte quälen und bei beiden steigt der Saxophonist aus.
Element of Crime
An dieser Stelle enden die Gemeinsamkeiten allerdings. Denn während Element of Crime gegenwärtig noch zur Speerspitze anspruchsvoller, deutschsprachiger Popmusik gehören, sind die "Sonntagsmörder" vor allem in den 80ern Relikt einer Vergangenheit, die man möglichst schnell vergessen möchte. Eine Band mit Skinhead-Glatzen, unkommerziellen Songs und wütenden Texten passt nicht in die Zeit des Aufschwungs und die Änderung des Images erscheint allen Protagonisten im Roman als Anbiederung an den Mainstream. Der Absturz ist vorprogrammiert.
Weitere Leseempfehlungen:
Lukas, der bereits mit "IHN" sein Erstlingswerk vorlegte, stellt in seinem neuen Buch einen namenlosen Musikliebhaber in den Mittelpunkt. Das Musikbusiness stellt ihm aber ein Bein: als Besitzer eines erfolglosen Plattengeschäfts, als Bassist einer nur wenig massentauglichen Band, als A&R-Manager einer unbedeutenden Plattenfirma. In "Vinyl" ist Popmusik die Zuckerwatte für ewige Träumer, die in ihren Utopien immer weiter von der Realität wegdriften. Bis sie auf die Fresse fliegen. In postmoderner Manier lassen die Figuren in "Vinyl" die Popmusik für sich sprechen, Zitate von den Beatles, Bruce Springsteen bis zu den Rolling Stones ziehen sich durch den Text. Als Verweis auf "Paint it Black" der Stones malt einer sogar die Wände seines Zimmers pechschwarz an, bevor er sich das Leben nimmt. Paul Lukas macht deutlich, wie gefährlich Pop als Lebensstrategie sein kann: Wer immer sich in seinem Text in der Musik verliert, hat eigentlich schon verloren.