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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

10. 11. 2012 - 16:17

Wie in den Geschichtsbüchern

Demonstranten berichten von schwerer Misshandlung durch griechische Exekutivbeamte. Manche vermuten gar, dass Zivilpolizisten auf Demos absichtlich provozieren. AnwältInnen versuchen, Beistand zu leisten.

Chrissi Wilkens ist Teil des JounalistInnennetzwerks N-Ost

Seit sich die Krise in Griechenland zugespitzt hat, wird immer öfter über Polizeigewalt gegen Demonstranten berichtet. Der griechischen Polizei werden Misshandlungen an einer Gruppe von Antifaschisten und enge Beziehungen zur neofaschistischen Partei "Goldene Morgenröte" vorgeworfen.

Auf Anfrage von FM4 wollte keiner der festgenommenen Demonstranten Stellung nehmen. Auch der Pressesprecher der Polizei hätte erst nächste Woche Zeit für ein Interview.

Am 30. September waren 15 griechische Antifaschisten nach Zusammenstößen mit Mitgliedern der neofaschistischen Partei Chrysi Avgi, "Goldene Morgenröte", festgenommen worden. Die Festgenommenen haben laut einem Bericht der britischen Zeitung The Guardian beklagt, während der Haft schwer misshandelt worden zu sein: Polizisten hätten sie geschlagen, nackt gefilmt und ihnen Brandmale zugefügt. Die griechische Polizei wies diese Vorwürfe entschieden zurück, Bürgerschutzminister Nikos Dendias von der konservativen Regierungspartei Nea Demokratia wollte sogar Strafanzeige gegen den Guardian erstatten. Offizielle gerichtsmedizinische Untersuchungen bestätigten jedoch die Misshandlungen der 15 Festgenommenen durch die griechischen Beamten.

Polizist

ANA/ALKIS KONSTANTINIDIS

Vor ein paar Tagen wurden zwei Journalisten des öffentlich-rechtlichen Senders NET wegen ihrer kritischen Berichterstattung über den Bürgerschutzminister zu diesem Fall suspendiert. Das Klima auf den Demonstrationen wird immer ungemütlicher, deshalb setzt sich eine
Initiative von AnwältInnen für die Rechte verhafteter Demonstranten ein.

"Ich bekomme riesige Angst"

Mittwochabend in der Amalias Straße im Athener Zentrum, ein paar Meter vom griechischen Parlament entfernt: Hunderttausende Menschen haben sich versammelt, unter ihnen auch Rentner und Familien mit Kindern. Sie demonstrieren gegen das neue, harte Sparpaket, über dessen Umsetzung die griechische Regierung unter Druck der internationalen Gläubiger an diesem Abend abstimmen soll. Neben hoffnungsvollen Blicken spürt man bei vielen Protestierenden auch leise Angst. Eleni, eine 30-jährige Angestellte, ist zusammen mit ihrer Schwester gekommen. Sie bewegen sich vorsichtig mit der Masse Richtung Syntagma-Platz. Plötzlich hört man Molotowcocktails explodieren, ein paar Sekunden später Lärmgranaten, Wolken von Tränen- und Erstickungsgas treiben auf sie zu. Eleni und ihre Schwester ändern die Richtung, als Spezialeinheiten der Polizei in einer Seitengasse auftauchen. "Ich bekomme riesige Angst. Dieses Gefühl hatte ich vor ein paar Monaten nicht bei den Demonstrationen. Jetzt können sie uns ohne Grund festnehmen. Keiner kann uns beschützen", sagt die junge Frau.

Festnahme auf einer griechischen Demonstration

ANA-MPA/SIMELA PANTZARTZI

Festnahme eines Demonstranten während einer Protestkundgebung am 9. Oktober

Katerina Knitou steht inmitten der protestierenden Menge ein paar Straßen weiter und schaut besorgt auf ihr Handy. Jeden Moment kann ihr Telefon klingen. Sie muss jederzeit einsatzbereit sein. Knitou ist Anwältin und seit mehr als eineinhalb Jahren Mitglied einer Initiative, die sich für die Rechte der Demonstranten einsetzt. "In letzter Zeit erleben wir offene Angriffe gegen Demonstranten. Unserer Ansicht nach werden Anklageschriften konstruiert und es werden Menschen abgeführt, ohne dass die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind." Menschen, die einfache Masken zum Schutz vor Chemikalien besitzen, werden schon als verdächtig angesehen, dabei sind diese Masken zum Schutz der eigenen Gesundheit unerlässlich.

So haben auch Eleni und ihre Schwester weiße Masken und Maalox, ein so genanntes Antazidum, das zur Neutralisierung der Magensäure dient, eingepackt. Es ist ihr Schutz vor dem massiven Einsatz von Chemikalien, der nach Einschätzung von Beobachtern in Griechenland einmalig ist. "Es ist klar, dass die Demonstranten sich nicht anders schützen können. Die verwendeten Chemikalien sind in vielen anderen europäischen Staaten verboten", betont Katerina Knitou. Die Anwältin begrüßt eine Kollegin, die gerade bei der Demo angekommen ist. Beide stehen bereit, um Telefonate von potentiell Verhafteten entgegenzunehmen. Ihre Telefonnummer wird in Internetforen verbreitet. Dort findet man auch Verhaltensregeln im Fall einer Festnahme. "Ruft laut euren Namen, damit man euch später suchen kann" oder "Verlangt von den Polizisten, ihren Dienstausweis vorzuzeigen und erinnert euch gut an ihre Namen", "Tragt keine Rucksäcke mit euch, weil die Polizei euch beschuldigen könnte, Waffen zu mitzuführen" lauten ein paar der Tipps, die auf Facebook und in Foren kursieren.

Verletzter Demonstrant

EPA/ANA/ALKIS KONSTANTINIDIS

9. Oktober in Athen

Die Initiative, bei der Katerina Knitou Mitglied ist, wird von der juristischen Abteilung des Linksbündnisses Syriza unterstützt. Die Anwälte, die dort aktiv sind, helfen Menschen, die während Demonstrationen verhaftet worden sind, egal welcher Partei oder Gruppierung diese angehören. Frau Knitou erklärt, "Wir versuchen, soweit es möglich ist, ein Sicherheits- und Schutznetz für die Demonstranten zu bilden. Sie sollen sich nicht alleine fühlen. Wenn sie in das Zentralrevier der Athener Polizei abgeführt werden, benachrichtigen wir andere Menschen, die dorthin gehen, um sie so weit wie möglich zu unterstützen." Es ist eine von mehreren Initiativen, die sich in den letzten Jahren für die Rechte von Demonstranten und Bürgern einsetzen.

Plastiktempel, der einen Euro enthält

DPA/Maurizio Gambarini

Bei ihrem kürzlichen Besuch in Athen lobte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den griechischen Sparkurs, meinte aber, dass noch mehr herauszuholen sei.

So geht's weiter ... zumindest auf der Straße.

  • Für Sonntagnachmittag haben Gewerkschaftler und Oppositionsparteien zu einer Demonstration vor dem Parlament aufgerufen. Dort soll das Budget für 2013 abgesegnet werden - das ist die Voraussetzung für weitere Finanzspritzen.
  • Am 14. November finden in Griechenland weitere Demonstrationen statt, im Rahmen eines europaweiten Aktionstages gegen die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen.
  • Drei Tage später ist der Gedenktag an den Studentenaufstand vom 17. November 1973 - gegen die Militärjunta...

Auf einem Bürgersteig in der Nähe des Syntagma-Platzes stehen zwei Frauen und beobachten empört eine Gruppe Jugendlicher, die wenige Meter vor den Spezialeinheiten der Polizei stehen. Die Jugendlichen sind leger gekleidet. Einer trägt einen Rucksack mit anarchistischen Zeichen. "Die werden später die Randale anfangen. Die Polizei steht ein paar Meter weiter und kontrolliert sie nicht einmal", sagt eine der Frauen. "Mein Sohn ist bei der Demonstration. Sie könnten ihn grundlos für deren Aktionen beschuldigen".

Immer öfter sieht man in der Presse oder in Internetforen Fotos, auf denen sich Polizisten mit angeblichen Randalierern unterhalten. Linke Abgeordnete haben deswegen während einer Demonstration am Dienstag Zivilpolizisten "kontrolliert", um zu überprüfen, ob sie während Ausschreitungen als Provokateure auftreten. Das löste heftige Reaktionen von Seiten des Bürgerschutzministers Nikos Dendias aus. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Public Issue" sind unterdessen mehr als 80 Prozent der Befragten unzufrieden mit der Demokratie in Griechenland.

Die Demonstranten sind meist machtlos gegen Polizeigewalt, betont Katerina Knitou. "Das Problem ist, dass die Polizeieinheiten meistens keine Dienstzeichen tragen. Das ist illegal. Sie verstecken sich hinter der Anonymität, und wenn Demonstranten sie klagen wollen, führen die folgenden Untersuchungen zu keinem Ergebnis, weil die Täter angeblich nicht identifiziert werden können." Immer öfter werden Protestierende vor und nach Demonstrationen vorübergehend festgenommen, betont die Anwältin. In mehreren Fällen wurden sogar Fotos und persönliche Daten veröffentlicht, was gegen die Unschuldsvermutung verstößt. Katerina Knitou und ihre KollegInnen versuchen, die Demonstranten vor solchen Gefahren zu warnen. Die Umstände erinneren sie an Zeiten der Militärdiktatur. "Wir sagen den Demonstranten, dass es nach den Demonstrationen besser ist, untereinander in Kontakt bleiben, sich nicht voneinander zu entfernen, und einen Treffpunkt an einem sicheren Ort auszumachen. Leider finden wir uns in Situationen wieder, die wir nur aus den Geschichtsbüchern kennen."