Erstellt am: 9. 11. 2012 - 17:50 Uhr
Bitchsm for life, Bitch!
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Wenn der Name Lady Bitch Ray fällt, schießt wohl den meisten Menschen sowas wie "diese verrückte Dildo-Tante schon wieder" durch Kopf. Als Porno-Rapperin mit akademischer Ausbildung wurde sie zum Internetphänomen, mit ihren provokanten TV-Auftritten etablierte sie ihren Ruf als durchgeknallte Skandal-Rapperin. In Österreich sorgte Lady Bitch Ray als Studiogast bei Willkommen Österreich für Aufregung, wo sie Ulf Poschardt ein Glas Wasser ins Gesicht schüttete und dabei "Fuck Off Poschi" rief. Wenig überraschend verließ Poschardt daraufhin die Sendung und Lady Bitch Ray unterhielt sich alleine mit Stermann und Grissemann über die Stoffpenisse an ihrem Kleid.
Meine Votze gehört mir, Bitch!
Mit der Zeit ebbte der Hype ab und spätestens 2008 verschwand Lady Bitch Ray komplett aus den Medien. Nach drei Jahren mit zahlreichen Fernsehauftritten und anonymen Morddrohungen kam der Burn-Out. Lady Bitch Ray zog sich aus dem Geschäft zurück und ließ sich in einer psychosomatischen Klinik behandeln. In dieser Zeit beendete sie ihre Dissertation. Nun meldet sie sich mit ihrem Buch "Bitchism" zurück. Untertitel: "Emanzipation, Integration, Masturbation".
Pinkes Kunstledercover, mit Fotos veranschaulichte Masturbationsanweisungen und der original Votzenabdruck von Lady Bitch Ray auf der letzten Seite des Buches signalisieren, was wichtig ist für Lady Bitch Ray: die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen unter dem Motto "meine Votze gehört mir".
Lady Bitch Ray
Bitchism ist Lady Bitch Rays Philosophie für Frauen, "die ihre Fresse aufmachen und sich nicht in bestehende patriarchale Schwanz-Strukturen einordnen". Den abwertenden Begriff Bitch will die Rapperin positiv umdeuten. Eine Bitch sei demnach eine starke, selbstbewusste Frau, die ihre Sexualität auslebt. Sowohl Frauen, die mit vielen Männern Sex haben und sich gut dabei fühlen, als auch verheiratete Hausfrauen, die damit zufrieden sind, sind für Lady Bitch Ray Bitches. Nicht eine bestimmte Lebensform mache eine Bitch aus, sondern die Selbstbestimmung. Das männliche Gegenstück zur Bitch gibt es übrigens auch: den Bitcher!
Feminismus, Bitch!
Inspiriert wurde die Rapperin mit Doktor-Titel sowohl von Figuren aus dem HipHop, als auch von feministischen Theoretikerinnen. Die Bitchism-Philosophie ist eine schräge Kombination aus Lil'Kim und Judith Butler. Diese Fusion wirkt sich stark auf den sprachlichen Stil von Bitchism aus: Zwar endet beinahe jeder Satz mit einem "Bitch", aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier eine Akademikerin schreibt.
Andererseits sollte man auch eine gewisse Affinität zum sprachlichen Stil des Gangsta- und Porno-Rap mitbringen, sonst kann die ungewöhnliche Sprache von Lady Bitch Ray, die sie selbst Cunnilinguistik nennt, auch schnell nervig werden.
Keine Opfergeschichten, Bitch!
Bitchsm dreht sich vor allem um sexuelle Selbstbestimmung und Beziehungsfragen zwischen Bitches und Bitcher, aber wie der Untertitel verrät, ist es ein ungewöhnlich vielfältiges Buch. Als Deutsch-Türkin kommentiert Lady Bitch Ray auch die Lage von Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Dabei vergisst sie nicht auf Probleme wie Zwangsverheiratungen und Ehrenmorde. Gleichzeitig kritisiert sie aber, dass Migrantinnen durch die "medialen Schwanzstrukturen" zu passiven Opfern gemacht werden.
Bitchsm
Die Begriffe "Migrationshintergrund" und "Integration" verwendet sie übrigens bewusst nicht, weil ersteres nur eine Beschönigung von "Ausländer" und letzteres ein politisch korrekter Ersatz für "Assimilation" sei.
Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit dem Kopftuch, über dessen Bedeutung Lady Bitch Ray ihre Dissertation geschrieben hat. KopftuchträgerInnen sollen nicht als unterdrückte Opfer abgestempelt werden. Besonders kritisiert sie, dass muslimische Kopftuchträgerinnen von allen Seiten doppelt und dreifach diskriminiert werden, weil Mode und Religion angeblich widersprüchlich seien.
Vielmehr vertritt Lady Bitch Ray die Meinung, dass die Gesellschaft hauptsächlich gegenüber der Diskriminierung von Frauen in anderen Gruppen, wie z.B. bei muslimischen Minderheiten, sensibilisiert ist und die immer noch herrschende Ungleichberechtigung im Westen und innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft weitgehend ignoriert. Dass viele Frauen in den Medien auch heute noch als "dumme, unterwürfige Blondinen" für hohe TV-Quoten sorgen, ist für Lady Bitch Ray ein Zeichen dafür, dass auch heute keine wirkliche Gleichberechtigung existiert.
In Zeiten von Eva Herman, Kristina Schröder und einer nicht mehr ganz zeitgemäßen Alice Schwarzer ist Lady Bitch Rays Philosophie eine echte Auffrischung des Feminismus. Bitchism sollte wegen seiner Trash-Porno-Ästhetik dabei nicht als reine Provokation abgestempelt werden. Lady Bitch Ray ist es mit ihrem Buch gelungen, dem alltäglichen Sexismus der Gesellschaft und der Medien den Spiegel vorzuhalten. In diesem Sinne: Bitchsm for life, bitch!