Erstellt am: 8. 11. 2012 - 20:04 Uhr
"Der aufrechte Mann"
Italien geht unter. Das Internet ist zusammengebrochen, die letzten Zeitungen sind vor Monaten erschienen. Niemand weiß, ob es noch eine Regierung gibt und selbst das Olivenöl wird knapp. Gewalttätige mörderische Banden ziehen durch das Land und rauben die Menschen aus. Die Bevölkerung flieht nach Frankreich oder in die Schweiz. Alle versuchen Italien zu verlassen.
Die Suche nach dem Meer
Rowohlt Verlag
Innnerhalb von diesem Szenario spielt Davide Longos Roman "Der aufrechte Mann" und mittendrin in diesem Chaos ist der Protagonist Leonardo. Der ehemalige Professor und Schriftsteller lebt nach einer publik gewordenen Affäre, die ihm seine Stelle gekostet hat, seit über sieben Jahren zurückgezogen im Dorf seiner Eltern. Dort verbringt er die meiste Zeit in seiner umfangreichen Bibliothek und in den Weingärten, die er trotz der bevorstehenden Apokalypse pflegt. Die wenigen Dorfbewohner, die noch nicht geflohen sind machen sich Sorgen. Es herrschen Gerüchte über mörderische Banden, die in der Gegend um das Dorf ihr Unwesen treiben, doch Leonardo lässt sich dadurch nicht beunruhigen.
Davide Longo ist am 10.November um 16 Uhr zu Gast in der Alten Schmiede in Wien. Dort präsentieren vom 9.-11. November AutorInnen aus Mittelmeerländern ihre Literatur. Mehr Infos auf www.alte-schmiede.at
Erst ein Besuch seiner Ex-Frau reißt Leonardo aus seiner Trägheit heraus. Alessandra, die ihn nach seiner Affäre verlassen hatte, steht mit der gemeinsamen Tochter Lucia und dem kleinen Alberto aus ihrer neuen Ehe vor seiner Tür. Leonardo soll für eine Woche auf die Kinder aufpassen. Alessandra will nach ihrem verschwundenen Ehemann suchen. Von der Suche kommt die Ex-Frau nicht mehr zurück. Leonardo bleibt mit den Kindern zurück und begreift, dass auch er sein ruhiges Leben nicht mehr weiterleben kann. Sein Haus wird von einer Bande ausgeraubt. Das Dorf ist kein sicherer Ort mehr. Leonardo nimmt die Kinder mit und macht sich auf die Flucht. Das Ziel ist das Meer.
So beginnt die Reise des aufrechten Mannes mit seinen Kindern durch ein Land, in dem Aufrichtigkeit keine besondere Bedeutung genießt. Es geht nur noch ums Überleben und Leonardo ist scheinbar kein Mann, der in dieser brutalen Welt überleben kann. Doch je schrecklicher und grausamer die Welt um ihn herum wird, desto mehr beweist Leonardo ein ungewöhnliches Durchhaltevermögen.
Eine Parabel auf das heutige Europa
Wie die meisten Dystopien erzählt Davide Longos Roman mehr über die Gegenwart als über die Zukunft. Die Parabel auf das heutige Europa ist offensichtlich. Der Protagonist Leonardo ist ein Träger des kulturellen Gedächtnisses, mit dessen Hilfe er gegen eine Konsumgesellschaft kämpft, die keine moralischen Grenzen kennt. Zentral ist auch das Thema der Flucht, wobei Davide Longo hier die heutigen Realitäten umdreht: Immer wieder stehen Leonardo und andere Protagonisten aus dem Roman vor den dichtgemachten Grenzen anderer Länder, die keine Flüchtlinge mehr aufnehmen wollen. Damit schließt Davide Longo auch an seinen Roman "Der Steingänger" an, der die Geschichte eines Schleppers erzählt.
Davide Longos Schilderung der bevorstehenden Apokalypse in Italien ist rau und fesselnd wie seine Sprache. Eine Empfehlung für alle, die auch 2012 von Weltuntergängen und Apokalypsen nicht genug kriegen können.