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Burstup

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8. 11. 2012 - 15:44

Rechte vereinnahmen Hardbass

Historische Gemeinsamkeiten zwischen Hardbass-Flashmobs und der Instrumentalisierung der Skinhead-Kultur.

Anfang Oktober, auf einem Tanz-Workshop der Wiener Caritas: Plötzlich tauchen zehn junge Männer auf. Sie tragen Affen- und Schweinemasken. Sie tanzen für drei Minuten zu einem harten Technotrack, genauer gesagt einem Hardbass-Tune. Nach der kurzen Darbietung verschwinden die zehn Typen wieder. Auf Flyern, die die Aktivisten hinterlassen haben, steht: "Zertanz die Toleranz" neben einem Symbol von Reconquista - einer Lifestyle-Kleidermarke, die vor allem bei Rechtsextremen beliebt ist und gleichzeitig einer Bewegung, die das Abendland "vor dem Islam retten" will. Auch in anderen europäischen Ländern gibt es seit ein bis zwei Jahren ähnliche Aktionen, also Flashmobs mit Hardbass-Musik, fragwürdigen Botschaften und Masken. Nicht nur Schweine- und Affen-Verkleidungen sind zu sehen, sondern mitunter auch Guy-Fawkes- oder "Anonymous"-Masken. Seither lauten einige Schlagzeilen: "Rechtsextreme wollen mit Hardbass Jugendliche rekrutieren" Aber ist Hardbass wirklich die Musik der Neuen Rechten? Woher kommt das Genre eigentlich?

Russischer Hardbass-Tune

Gespielt wird auf den Hardbass-Flashmobs vor allem ein russischer Hardbass-Tune: "Мы хард басс в ваш дом приносим" - "Wir bringen den harten Bass zu dir nach Hause". Das klingt harmlos, wäre da nicht ein Zusatz in Titel und Refrain: "1488" - ein Nazicode. Die ersten beiden Ziffern stehen für die "14 Words" des US-amerikanische Neonazis David Eden Lane, ein Bekenntnis zur weißen Rasse, quasi die komprimierte Fassung der Ideologie amerikanischer Rassisten. "88" steht üblicherweise für zweimal den achten Buchstaben des Alphabets, also HH, oder Heil Hitler.

Aber war Hardbass, diese Mischung aus verzerrten Basslines und treibenden Four-on-the-Floor-Bassdrums immer schon mit Nazi-Codes gespickt? Natürlich nicht. Hardbass nimmt Anleihen aus dem Dubstep und geht zurück auf Hardstyle, eine energiereiche aber gleichzeitig trancelastige Antwort auf jene Hardcore-Techno-Spielart, die Ravern zu schnell geworden war: Gabber.

Gabber

Das Wort hat jüdischen Ursprung: "חבר" oder "chaver" heißt Freund, Kumpel. (Preisfrage: Woher kommt das Wort "Haberer"?) Gabber im Rave-Kontext steht zuerst als Synonym für Hardcore-Techno, und der rumpelt Anfang der neunziger Jahre noch im beinahe gemütlichen House-Tempo. Mitte der Neunziger wird er immer schneller. In Rotterdam brettert der Stil schließlich mit Geschwindigkeiten jenseits der 200 BPM - gut um Speed zu konsumieren, aber schlecht zum Tanzen.

Einer der frühesten Musiker, die den Stil mit seinen verzerrten Bassdrums und düsteren Synth-Basslines kreierten, war der Frankfurter Marc Arcadipane mit seinem Plattenlabel PCP. Acardipane trat schon 1993 gern mit Sturmmaske und Bomberjacke auf – Nazi-Codes waren das für ihn nicht. Arcadipane, der sich mit afrikanisch- und türkischstämmigen MCs umgab (und der 1994 auch gern einmal mit dem HipHop-Genre liebäugelte), gilt als einer der Gründerväter von Hardcore und Gabber in Deutschland. Er ist kurioserweise aber auch einer der Gründe, warum viele Rechte in den Neunziger Jahren Techno als eine Art germanische Jugendkultur betrachteten. In Wien gingen Mitglieder rechter Jugendorganisationen gern in den Gasometer raven, bezeichneten den Sound als "Stahlgewitter" und schwärmten davon, wie er sich instrumentalisieren lasse. So schrieb der RFJ-Funktionär Christian Böhm-Ermolli Anfang der Neunziger in der Zeitschrift Junge Freiheit: "Techno ist die erste Jugendkultur im deutschen Raum seit dem zweiten Weltkrieg, die weder amerikanisch noch schwarz noch britisch dominiert ist. Zum ersten Mal ist Deutschland wieder ein Land geworden, in dem Neues gemacht wird. Und von wo es ausgeht". Ich schätze, er hatte wenig von Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson gehört.

Hier geht es zum Prequel dieses Artikels: Einem Review des Buchs "Blut Muss Fliessen" von Thomas Kuban.

Auch in Wien ist Hardcore-Techno tief verwurzelt – zum Beispiel bei Ilsa Gold, einem Techno-Duo, dessen Ironie gepaart mit harten, schnellen Beats schon 1993 die Massen vom Gasometer bis zur Mayday begeisterte. Die Wobbel-Bässe im heutigen Hardbass-Genre sind eine logische Fortsetzung von Ilsa Golds blubbernden Acid-Basslines in deren Neunzigerjahre-Gabber. Man beachte das für späteres Gabber-Verständnis vergleichsweise langsame Tempo in Tracks wie diesem.

Angesichts der vielen Wurzeln und Querverbindungen macht es wenig Sinn, Hardbass als isoliertes Genre zu betrachten, das "in Russland entstanden" ist. Allerdings wurde es dort (vorwiegend in Moskau) sowie in der Tschechischen Republik (vor allem Prag) vermehrt mit Nazi-Codes versehen und auf Flashmobs eingesetzt - von jenen Rechtsextremen, die sich selbst "Identitäre" nennen.

Identitäre und die Vereinnahmung von Musikstilen

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Paul Pant hat einen Identitären getroffen und mit ihm gesprochen.

Undercover unter Nazis
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Die Identitären-Bewegung entstand in Frankreich rund um die Front Nationale, bezieht sich in ihren Strategien aber auch auf die "Identity Rock"-Bewegung des britischen Neonazis Ian Stuart Donaldson. Zahlreiche Rechtsrock-Bands sind in den Neunziger Jahren Donaldsons Ideen vom "Identity Rock" gefolgt. Aber schon vor Donaldson, in den Siebziger Jahren, waren Musikszenen immer wieder Unterwanderungsversuchen durch Neonazis ausgesetzt. Eines der bekanntesten Bespiele ist zum Beispiel der Oi-Punk mit Ursprüngen im Ska:

"Skinhead Moonstomp" - der Song stammt vom gleichnamigen, wunderbaren Album der britischen Band Simaryp. Auf dem Plattencover: Zwei Schnürstiefel. Die Rückseite zeigt die Musiker, fünf schwarze Engländer afrikanischer Herkunft. Ihre Fans waren Skinheads, teils ehemalige Mods, die Ska und Northern Soul liebten. Mit Nazis hatten weder Simaryp, noch deren Fans etwas zu tun.

Simaryp

Simaryp

Simaryp

Später vereinten sich unter dem Begriff "Oi" völlig unterschiedliche Musikstile wie Reggae, Ska oder Punk. Der Nazi-Szene in England oder Deutschland aber gelang in den Achtziger Jahren etwas Einmaliges: Die fast vollständige Instrumentalisierung und Umdeutung einer Jugendkultur. Die vom Ska und der frühen Skinhead-Kultur beeinflusste Oi-Musik wurde quasi gekapert: Wer heute "Skinhead-Konzert" hört, assoziiert mit großer Wahrscheinlichkeit zuerst Rechtsrock und Nazis, als Punk, Ska oder die antirassistischen Skinheads der Redskin- oder SHARP-Abteilung.

Rock, ja - Rap, nein

In anderen Jugendkulturen aber gelang den Nazis die Unterwanderung nicht - trotz energischer Versuche. Die deutschsprachige Hip-Hop-Szene erwies sich zwar alles andere als immun gegen sexistische, homophobe und teils auch xenophobe Anwandlungen - die Neonazis scheiterten bei der Instrumentierung des Rap aber an ihrer eigenen Ignoranz. "In Nazi-Foren gibt es immer wieder Diskussionen über die Ursprünge der Szenemusik", sagt der Rechtsextremismus-Experte Thomas Kuban. "Weil den Nazis aber die Wurzeln des Rap stärker bewusst sind als die Wurzeln der Rockmusik, ist die Rapmusik in der Nazi-Szene stark umstritten."

Ein paar Hardbass-Tracks zum Anhören sollen hier auch nicht fehlen:
TÖNN "French Hardbass"
Xuban G "Sweet Dreams"
David Stonman "Hardbass Trip"

Tatsächlich diskutieren Nazis in ihren Foren heute auch darüber, ob man denn Hardbass einsetzen soll, um nationalistische Ideen zu verbreiten - schließlich sei Techno ja "schwarze Musik". Immerhin. In den Debatten über Oi und Rechtsrock lassen Nazis ein solches Wissen über die Wurzeln "ihrer" Musik seit Jazz, Blues und Rock’n’Roll eher vermissen: Dass Rockmusik auf schwarze Musiker wie Little Richard und andere zurückgeht, ist Nazis ebensowenig bewusst, wie die Tatsache, dass die von ihnen oft als Erfinder des Rock gesehenen, weißen Rolling Stones ihren Song "Little Red Rooster" von Howlin' Wolf gecovert haben (und es war nicht der einzige).

Mit der gleichen Ignoranz tanzen heute russische Nationalisten und österreichische Identitäre zu Hardbass, nichtsahnend, dass dessen Wurzel unter anderen auch in House liegt, der Musik schwarzer Schwulenclubs im Chicago und New York der achtziger Jahre.

Wie kann man also verhindern, dass Hardbass, dieser wunderbare Sound aus Dubstep-Basslines und Four-to-the-Floor-Beat, von Rechtsextremen instrumentalisiert wird wie der Oi-Punk? Am besten, indem man selbst besseren Hardbass produziert.