Erstellt am: 8. 11. 2012 - 15:44 Uhr
Die Identitären: Die "Neuen Rechten" im Aufwind?
Die Kuschelrechten?
Rainer Springenschmid über die Identitären
Rechte Vereinnahmung von Hardbass
Christoph Weiss über historische Gemeinsamkeiten zwischen Hardbass-Flashmobs und der Instrumentalisierung der Skinhead-Kultur.
Undercover unter Nazis
Der deutsche Journalist Thomas Kuban hat knapp zehn Jahre lang mit versteckter Kamera auf Neonazi-Konzerten gefilmt und ein Buch darüber geschrieben.
Anfang 2012 haben zehn junge Männer in Wien eine Gruppe mit dem Namen "Wiener Identitäre Richtung" gegründet - kurz W.I.R. Das Ziel der Schüler und Studenten: Der Erhalt der Wiener Identität. Nichts Verdächtiges auf den ersten Blick. Die Gründungsmitglieder eint allerdings nicht nur die Traditionspflege, sondern auch ihre rechtskonservative Gesinnung und die Angst vor dem Verlust des Wienerischen. Letzteres zu erhalten, ist aber nur ein Teil ihres Anliegens. Vielmehr haben sie angekündigt die Speerspitze einer neuen Bewegung zu sein, Sprachrohr für das "echte, wahre Wien", eine Bewegung, die ein Sammelbecken für alle Patrioten und Identitären sei, die weder links noch rechts seien, weder Rassisten noch Antisemiten, sondern Demokraten und "Ethnopluralisten", schreiben sie auf ihrer Homepage. Eine Umdeutung von belasteten Begriffen wie Volk und Rasse inklusive.
http://schda.wordpress.com
Eine "weltanschauliche Neuausrichtung"
Alexander Markovics ist der Sprecher von W.I.R. Der 21-Jährige studiert Politikwissenschaft und kann wie viele junge Menschen der heimischen Parteienlandschaft nur wenig abgewinnen. Für die FPÖ hat er sich vor einigen Jahren engagiert, heute zählt er sich zu den Enttäuschten. Das ist ein Grund warum er eine "gesellschaftliche Initiative" für eine "weltanschauliche Neuausrichtung" unterstützt, sagt Markovics. "Damit der Jugend ohne Schicksal wieder ein Schicksal gegeben wird" ist ein anderer. Die fehlende Orientierung der Jugend sei der Massenzuwanderung und der Islamisierung Europas geschuldet, sagt Markovics. Ein Feind ist ausgemacht.
Thilo Sarrazin schreibt in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab", dass Deutschland Gefahr laufe sich aufzulösen. Die Gründe dafür seien der Geburtenrückgang, die wachsende Unterschicht und die Zuwanderung aus muslimischen Ländern. In der darauffolgenden Debatte um das Buch ist Sarrazin Islamophobie und Rassismus vorgeworfen worden.
Mit Sarrazin in die Köpfe
Das traditionelle Wiener Kaffeehaus Tirolerhof gegenüber der Albertina hat sich Markovics als Ort für das Interview ausgesucht. Am Telefon hat er bereits vorausgeschickt, dass er den Medien misstraue, ein Interview gibt er trotzdem. Markovics und die Sympathisanten der "Identitären Bewegung" fühlen sich seit einiger Zeit im Aufwind. Als Beweis dafür wird gerne das Buch des ehemaligen Politikers und Notenbanker Thilo Sarrazin "Deutschland schafft sich ab" genannt. Mit diesem sei das identitäre Gedankengut in der Mitte angelangt und würde nun auch in den Medien ernsthaft diskutiert werden, so die Argumentation. Mit dem Inhalt kann sich auch Markovics identifizieren. Eine Gesellschaft, die keine Kinder mehr bekomme, habe keine Zukunft, so der Tenor. Die europäischen Identitäten und vor allem die Wiener Identität sei durch die Massenzuwanderung, vor allem aus der Türkei in Gefahr, sagt Markovics. Das Bild des Gegners wird klarer.
Mit Tiermasken gegen die Caritas
In Österreich sind Sympathisanten der Identitären medial das erste Mal in Erscheinung getreten mit einem Flashmob gegen einen afrohaitianischen Tanz-Workshop der Caritas in Floridsdorf. Rund ein Dutzend junger Männer haben, vermummt mit Affen- und Schweinemasken, begleitet von Hardbass Musik und einem Anti-"Multikulti"-Schild den Workshop gestört. Auf der Facebook-Gruppe "Die Identitären in Wien" hat man sich zu dieser Störaktion bekannt. Die Gruppe zählt aktuell rund 500 Mitglieder. Die Aktion sei allerdings nicht von der W.I.R. ausgegangen, sagt Markovics. Es habe ihn besonders geärgert, dass die Caritas dieses behauptet hätte. Wer diese Menschen auf Facebook sind, könne er nicht sagen, es gäbe keine personellen Verknüpfungen zwischen den beiden Gruppen, sagt er. Dem widerspricht allerdings Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW): "Die Gruppen sind personell eng miteinander verwoben, wenn auch nicht ganz identisch", sagt er.
ebay.at
Sammelbecken rechter Milieus
Schiedel sieht in den Identitären ein Sammelbecken aus verschiedenen rechten Milieus. Dabei gäbe es in Wien eine theoretische ideologische Gruppe (W.I.R.) und eine aktionistische Gruppe, die über eine Facebook-Seite mobilisiert. Die Sympathisanten kommen aus dem Umfeld rechtskonservativer Kreise, Burschenschaften bis hin zur Neonazi-Szene, sagt Schiedel. Unter dem Begriff Identitär versuchen sie die "Neue Rechte" salonfähig und rechtes Gedankengut gesellschaftsfähig zu machen. Solche Versuche hat es in der Vergangenheit bereits des Öfteren gegeben, auch in Österreich.
Der theoretische Unterbau der Identitären Bewegung ("Les Identitaires") ist der ideologische Bruch mit dem traditionellen Nationalismus. Der staatsfixierte Nationalismus sei überholt und Europa müsse sich nun gegen die "Massenzuwanderung" und "Islamisierung" verteidigen, so das Grundkonzept. Gleichzeitig wird die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Ethnien als positiv angesehen, allerdings nur so lange es als friedliches Nebenher stattfindet, den Islam sehen sie allerdings außerhalb Europas.
Rechte Ideologen sehen den Erfolg der Linken in Europa nach 1968 im Bruch mit dem Kommunismus begründet. Im Fall der extremen Rechten sei die Distanzierung vom Faschismus dagegen bis heute nicht glaubhaft gelungen, so die Überlegungen. Ihre Idee ist nun, mit einer Umdeutung von Begriffen, wie zum Beispiel Identität, diese Distanzierung zu erreichen.
Popästhetik von rechts
Um ihre Ziele umzusetzen, will die "Identitäre Bewegung" aber nicht nur ein Theoriekonzept sein, sondern auch tatsächlich neue Formen der rechten Agitation etablieren. Dabei möchte man sich der Formen popkultureller Protestagitation bedienen: Flashmobs, Protest-Graffitis usw. Mit Flashmobs wie gegen den Caritas-Tanz-Workshop oder Störaktionen, wie zum Beispiel mit Zwischenrufe bei einer Lesung von Literaturnobelpreisträger Günther Grass, soll mediale Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erzeugt werden. Die Idee dahinter ist relativ simpel: Die Identitären wollen sich, ähnlich dem antifaschistischen Widerstand, in einer "Wir halten dagegen"-Rolle positionieren. Dabei wird das Narrativ getrommelt, dass die Jugendlichen in Europa die vergessene Generation seien, ohne Arbeit, ohne Zukunft, beraubt von ihrer Identität, geschuldet einer Massenzuwanderung und einer "Multikulti"-Gesellschaft. Sie erschaffen Feindbilder für ein klares Zielpublikum.
Bei den Sympathisanten der Gruppen W.I.R. und den "Identitären in Wien" ist diese Botschaft angekommen. Auch Markovics philosophiert gerne über die Ursachen des von den Identitären postulierten Identitätsverlusts. Bei den heimischen Jugendlichen und vor allem den jungen Wienern kritisiert er, dass sie dem reinen Materialismus verfallen seien und ihre Herkunft vergessen haben. Das verpackt er geschickt in einer Art von Globalisierungskritik. Es fehle nun mal an den großen Zukunftsvisionen, sagt er. Diese Visionen fände er in den Schriften rechter Ideologen wie Alain de Benoist. Auf die Frage, ob er sich selber politisch rechts einordnen würde, verneint er diese allerdings. Er sei weder links, noch rechts. Am Ende des Gesprächs sticht allerdings eine Narbe auf seiner linken Schläfe ins Auge. Die Schlussfrage, ob das von einer Mensur stamme, also dem traditionellen Fechtkampf schlagender Burschenschaften, wiegelt er ab: "Also darauf gebe ich jetzt keine Antwort".