Erstellt am: 13. 11. 2012 - 15:00 Uhr
Ein Leben im Verborgenen
Die Republik Moldau liegt an der EU-Außengrenze nordöstlich von Rumänien. Die frühere Sowjetrepublik ist seit 1991 unabhängig.
Über mehrere Hügel am Stadtrand von Chişinău hinauf schnauft der Kleinbus entlang schlecht beleuchteter Straßen, bis er am Rande eines Einkaufszentrums stehenbleibt. Zwölf Fahrgäste finden in dem Gefährt Platz, das Teil des öffentlichen Verkehrsnetzes ist. Einige Eurocents hat die Fahrt vom Zentrum bis hierher gekostet, die dem Busfahrer eilig in die Hand gedrückt werden. Denn der Verkehr hupt schon von hinten. Auf den Straßen von Chişinău herrscht das Recht der Marktschreier: Der Lauteste gewinnt.
Mihai Stoica
Hinter der Glasfassade des Clubs auf dem Hügel ist es dunkel. Gelangweilt stehen ein paar Türsteher herum, ziehen an ihren Zigaretten und geben vor, uns nicht gesehen zu haben. Eine Party? Nein so etwas finde hier nicht statt, sagt schließlich der Größere auf Russisch. Es ist ihnen anzumerken, dass sie an diesem Abend lieber nicht gearbeitet hätten, einem Sonntag-Abend, an dem sich die Queer-Community der moldauischen Hauptstadt vergnügen will. Schließlich ruft Olga, die uns hergebracht hat, die Veranstalterin der Party an. Mit ihrem OK bekommen wir Zutritt zum oberen Stockwerk, wo inmitten hunderter Luftballons bereits ein junger Mann zu Madonna tanzt.
Wir haben Olga am Vortag kennengelernt, in einem Café etwas abseits des Hauptboulevards, der seit 1990 wieder den Namen des Nationalheiligen - Stefan der Große - trägt, nachdem auch in der ehemaligen Sowjetrepublik Moldau für Genosse Lenin kein Platz mehr war. Der Boulevard ist die Aorta der Hauptstadt, Hauptverkehrsstraße, Sitz der großen Ministerien, der Botschaften, Theater und der Oper. Die sowjetische Vergangenheit ist in der Architektur allgegenwärtig, auch wenn in den Gebäuden heute mit Kasinos, Wettstuben und Handyshops meist die Vertreter des neuen Systems ihren Platz gefunden haben.
Die Kirche gibt die Richtung vor
Für die lesbische Olga und Sascha, einen ihrer schwulen Freunde, ist das das Umfeld, in dem sie für ein Stück Freiraum kämpfen. Homosexualität ist in dem kleinen Land an der EU-Außengrenze eines der größten Tabus in einer gesellschaftlich ohnehin fragilen Struktur. Der Einfluss der orthodoxen Kirche, die den Menschen nach dem Ende der Sowjetunion und der Unabhängigkeit wieder maßgeblich die Richtung vorgibt, reicht bis in die Regierungsebenen.
Es war auch die orthodoxe Kirche, unter anderen, die ein neues Antidiskriminierungsgesetz zu verhindern versuchte. Einige Paragrafen wurden in den Entwürfen auf Druck des Metropoliten mehrfach abgeändert. Bis heute ist die Kirche mit dem Gesetz höchst unzufrieden. Man sei nicht gegen die Menschen an sich, heißt es aus der Metropolie auf Anfrage, aber gegen jede Erscheinungsform von Homosexualität. Diese trage nämlich zur Degradierung der Moral bei, sagt ein orthodoxer Priester im Gespräch. Im Internet finden sich Betkreise, welche für die verlorenen homosexuellen Seelen die Heiligen anrufen.
Mihai Stoica
Dem endgültigen Gesetz, das ab Jänner 2013 in Kraft treten soll, können auch Olga und Sascha nicht vollständig zustimmen. Ihre Kritik: Das Gesetz verbietet nur am Arbeitsplatz die Diskriminierung von Minderheiten, zu denen u.a. auch Menschen mit Behinderung oder HIV-positive Menschen gezählt werden. Gegen Repressalien von Seiten der Polizei, denen vor allem schwule Männer ausgesetzt sind, wird es ihn jedoch nicht schützen, zeigt sich Sascha überzeugt. Diese sind, so erzählt der junge Mann, für Polizisten zu einem einträglichen Geschäft geworden. Sie halten "verdächtige" Männer an einschlägigen Orten auf, um ihnen mit der Drohung, ihre sexuelle Neigung bei der Familie und an ihrem Arbeitsplatz bekannt zu machen, Geld abzupressen. Das Argument, dass gegen die innerfamiliäre Abneigung auch kein Gesetz Abhilfe schaffen kann, lässt Sascha indes nicht gelten. "Ich möchte in meinem Land als vollwertiger Bürger gegen Diskriminierung geschützt werden - beginnend auf legislativer Ebene", so der 20-Jährige.
Kommunisten gegen Verrat an der christlichen Religion
Das "Gesetz zur Sicherung der Gleichheit", wie es offiziell heißt, wurde im Frühjahr von Nicolae Timofti, dem im März neu gewählten Präsidenten, unterschrieben. Es hat auch in den Reihen der oppositionellen Kommunistischen Partei - sie ist weiterhin die stimmenstärkste parlamentarische Gruppierung des Landes - offenes Entsetzen hervorgerufen. Gegen jene zu kämpfen, die für dieses Gesetz gestimmt haben, sei ab jetzt der Sinn seines Lebens, erklärte etwa der Führer der Kommunisten, Wladimir Woronin, gegenüber einem moldauischen Fernsehsender. Schließlich rechtfertige nichts einen solchen Verrat an der christlichen Religion, die in der Republik Moldau offenbar auch den Kommunisten heilig ist. Man müsse man sich schon fragen, so Woronin weiter, wem die Europäische Integration zu diesem Preis nütze.
Denn, das ist in Chişinău hinter vorgehaltener Hand zu hören, das Gesetz ist Bestandteil eines diplomatischen Handels zwischen der Regierung in Chişinău und den Verantwortlichen in Brüssel und Washington. Demnach hat vor allem die EU im Rahmen eines Annäherungsprozesses die Visa-Freiheit für moldauische Staatsbürger in Aussicht gestellt. Im Gegenzug musste sich das pro-westliche Regierungsbündnis "Allianz für die europäische Integration" in Chişinău auch dazu verpflichten, die Diskriminierung einzelner Gruppen stärker zu ahnden. Auf diese Art und Weise sind in der Region schon viele Gesetze zum Schutz von Minderheiten zu Stande gekommen.
Der Club auf dem Hügel füllt sich langsam. Die Lesben und Schwulen bewerben ihre Partys nur über Mundpropaganda, um nicht mit unerwünschten Gästen konfrontiert zu werden. Die Stimmung ist anfangs angespannt. Wer im Verborgenen feiern muss, braucht offenbar Zeit, um ausgelassen Party machen zu können.
Mihai Stoica
Am Freitag oder Samstag wären Partys wie diese undenkbar, sagt Olga. Denn da sind die Lokale für die Mehrheitsgesellschaft reserviert. Und auch am Sonntag bleiben Olga und die Anderen von Lokalbesitzern abhängig, die ihre ansonsten schwach besuchten Clubs zur Verfügung stellen.
Die junge Frau, die gerade ihr Studium beendet hat und drei Sprachen fließend spricht, will trotzdem in Chişinău bleiben. Es sei schließlich ihre Heimat und Emigration keine wirkliche Option, sagt sie. Den Einsatz für ihre Rechte müsse sie hier vor Ort leisten. Nachsatz: So wie jeder in seinem eigenen Land.