Erstellt am: 8. 11. 2012 - 15:43 Uhr
Die Kuschelrechten
Sie behaupten, sie seien gar nicht rassistisch und würden nur die eigene Identität verteidigen - selbstverständlich gewaltfrei. Aber wie glaubwürdig sind die Identitären als "brave" Alternative zu Rechtsextremen und Neonazis? Sind ihre Distanzierungen von Nationalsozialismus und Rassismus ernst gemeint - oder Taktik?
Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) will die Distanzierung von Nationalsozialismus und Rassismus "nicht überbewerten". Es zeige sich, dass solche Bewegungen immer genau dann entstehen, wenn die Exekutive ihren Druck auf die Neonaziszene verstärkt. "Es häufen sich gerade in den letzten Jahren und Monaten die Verhaftungen und Verurteilungen nach dem Verbotsgesetz", sagt er, "Man kann das durchaus vergleichen mit den frühen Neunziger Jahren nach der Novelle des Verbotsgesetzes und der Verhaftung Gottfried Küssels. Auch damals bildete sich aus der Neonaziszene heraus – und unter dem selben Schlagwort, nämlich Identität – der Versuch, so etwas wie die Neue Rechte auch in Österreich zu verankern."
Techno in den Neunzigern, Reconquista heute
Nina Horaczek beschreibt die rechte Techno-Szene der Neunziger so: "Die meinten, Techno sei die erste originär germanische Jugendbewegung seit 1945. Sie sahen Techno als Vehikel für eine neue junge Rechte, die sich sehr stark an Philosophen wie Otto Weininger, der "Geschlecht und Charakter" geschrieben hat, Oswald Spengler ("Der Untergang des Abendlandes"), aber auch Ernst Jünger orientiert."
Anfang der Neunziger Jahre waren es vor allem Schlüsselfiguren wie Christian Böhm-Ermolli und der heutige Wiener FPÖ-Chef Johann Gudenus, die versuchten, eine rechte Techno-Szene zu etablieren, erklärt Falter-Autorin Nina Horaczek, die derzeit für ihre Diplomarbeit zum Thema Neue Rechte recherchiert. Ursprünglich ist die "Neue Rechte", der sich auch die Identitären zurechnen, sogar noch älter. Erstmals versuchte in den Sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Alain de Benoist unter dem Stichwort "Neue Rechte" eine völkisch-nationale Rechte zu etablieren, die sich von der historischen Last des Nationalsozialismus befreien sollte. Benoist ließ sich von linken Theoretikern wie Antonio Gramsci inspirieren, sein Ziel war die Diskurshoheit zu erlangen. Er und seine Mitstreiter versuchten also, rechte Politik in neue Begriffe zu kleiden und diese in der öffentlichen Debatte möglichst weit in den Mainstream zu tragen. Gramsci nennt das "Kulturelle Hegemonie".
Die Neue Rechte verwendet belastete Begriffe wie Rasse nicht mehr, stattdessen spricht sie von Kulturen. Zentrale Ideologie ist der Ethnopluralismus, den auch die Identitären für sich reklamieren. Dieser proklamiert ein (friedliches) Nebeneinander homogener "Kulturen", die sich gegenseitig respektieren und untereinander nicht vermischen dürfen. Ethnopluralismus stellt ein Art Apartheit dar, die interessanterweise auch gar nicht so weit weg vom ursprünglichen Konzept des Multikulturalismus ist. Zur Diskurshoheit der Rechten trägt somit im Laufe der Jahre, eher naiv und unfreiwillig, auch die "Gegenseite" bei.
Neue Rechte und Identitäre
Bis jetzt sind in Salzburg, Linz, Innsbruck und Graz Gruppen aufgetreten, die sich als identitär bezeichnen, in Wien derer zwei, die "Identitären in Wien" und die "Wiener Identitäre Richtung" (W.I.R.).
Die Wiener Identitäre Richtung geht da sogar noch einen Schritt weiter und beruft sich auf ihrer Website auf Österreichs multiethnische Geschichte. Sie verwendet dabei sogar einen liberal-linken Kulturbegriff, indem sie die Vermischung von "Kulturen" als positiv darstellt. Einziger Knackpunkt: die "Islamisierung" Europas gehe einfach zu weit, der "echte" Wiener und seine Identität müsse geschützt werden. "Ich habe nichts gegen Fremde, aber diese Fremden sind nicht von hier", zitiert Nina Horaczek Methusalix aus dem Asterix-Band "Das Geschenk Cäsars".
Die Identitären distanzieren sich von Nationalsozialismus und Rassismus. Trotzdem stellt sich auch bei ihnen die Frage: ist diese Distanz ehrlich oder ausschließlich taktisch bedingt? Die österreichischen Identitären sind als Gruppen jedenfalls noch zu jung, als dass man diese Frage schon jetzt eindeutig und für alle ihre Mitglieder beantworten könnte.
Nachdem der WAB die ersatzlose Streichung des Verbotsgesetzes und einen "Einwanderungsstopp" forderte, wurde er aus dem österreichweiten Dachverband ausgeschlossen (und hat somit nichts mehr mit der ÖVP zu tun).
Fest steht jedenfalls, dass die identitären Gruppen eher heterogene Gebilde sind, deren Mitglieder teils aus rechtskonservativen Kreisen, meist aber aus Burschenschaften und teilweise auch aus der Neonaziszene kommen, wie der grüne Nationalrat Karl Öllinger auf dem Blog stopptdierechten.at für die "Identitären in Wien" festgestellt hat. Die W.I.R. hat jedenfalls auch gute Kontakte zum Wiener Akademikerbund (WAB), bis vor ein paar Jahren noch eine Vorfeldorganisation am rechten Rand der ÖVP.
Identitäre Ex-Nazis
Auch Heribert Schiedel vom DÖW bestätigt: "Die ersten, die in Europa unter dem neuen Namen die Identitären aufgetreten sind, sind in Frankreich aus einer verbotenen neonazistischen Jugendorganisation hervor gegangen. Ähnlich ist es auch in Osteuropa, wo die Aktionsformen, die sie hier auch beim Übergriff auf den Tanzworkshop der Caritas angewandt haben, schon länger beliebt sind, aber in der Neonaziszene."
Es mag also unter den Identitären welche geben, die sich mit ihrer politischen Mäßigung dauerhaft vom gewalttätigen Neonazismus distanzieren. "Das würde uns natürlich freuen", meint Heribert Schiedel. Die Geschichte der Neu-Rechten Bewegungen in Europa zeige aber, dass solche Gruppen für Viele nur der Versuch sind, Mainstream-tauglicher zu wirken.
Screenshot dieidentitaeren.tumblr.com
Richtungsstreit: Die Shoah als Knackpunkt
"Neue Rechte" im Aufwind?
Paul Pant hat einen Identitären getroffen und mit ihm gesprochen.
Rechte Vereinnahmung von Hardbass
Christoph Weiss über historische Gemeinsamkeiten zwischen Hardbass-Flashmobs und der Instrumentalisierung der Skinhead-Kultur.
Undercover unter Nazis
Der deutsche Journalist Thomas Kuban hat knapp zehn Jahre lang mit versteckter Kamera auf Neonazi-Konzerten gefilmt und ein Buch darüber geschrieben.
In Deutschland, so erzählt Nina Horaczek, seien die Identitären bereits in einen veritablen Richtungsstreit involviert. Der Knackpunkt dabei: die Distanz zu Nationalsozialismus und Antisemitismus. Ein Diskussionstext, der dabei im Mittelpunkt steht, distanziere sich eindeutig von Holocaustleugnern und verwende sogar den Begriff der Shoah, in der extremen Rechten bis dato ein absolutes No-Go. Die Debatten zeigen, dass die klassische, antisemitische extreme Rechte, die in Teilen des politischen Islam (vor allem in seinen antisemitischen Ausprägungen) einen Verbündeten gegen Israel und die USA sah, hier auf eine neue, nach dem 11. September entstandene islamophobe Rechte trifft, die im politischen Mainstream deutlich bessere Chancen hat, wie die Debatte um Thilo Sarrazin zeigt.
Manche Rechte versuchen, um beide Richtungen unter einen Hut zu bekommen, sich mit aberwitzigen Verschwörungstheorien aus der Affäre zu ziehen: Die USA und Israel hätten sich zusammen getan, um Europa zu islamisieren. Andere sehen die Muslime in Europa als Feind, weltweit aber noch als Verbündeten. Und die Beobachter Schiedel, Horaczek und Öllinger wiederum wundern sich, dass die Identitären, die sich zumindest in Österreich zu einem großen Teil aus den eigentlich traditionell antiklerikalen, eher deutschnationalen Burschenschafter rekrutieren, plötzlich den katholischen Begriff der "Reconquista" verwenden und das christliche Abendland hochhalten.
Der flotte Anstrich aus dem Spätmittelalter
Reconquista ist der spanisch-portugiesische Begriff für die Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den islamischen Mauren und die damit einher gehende Vertreibung der Juden zwischen dem frühen 8. und dem Ende des 15. Jahrhunderts.
Das sei, ätzt Nina Horaczek, wohl ein verzweifelter Versuch, in der Geschichte passende Symbole auszugraben, und sich damit einen flotteren Anstrich zu verpassen. Überhaupt seien die österreichischen Identitären im europaweiten Vergleich ganz schön spät dran und auch eher schmalspur-mäßig unterwegs. Vor allem seien die Aktionsformen – wie der größte Teil der Kultur der extremen Rechten in Europa in den letzten zehn bis 15 Jahren – von den Linken abgekupfert.
Auch Heribert Schiedel traut den Identitären mittel- und langfristig in Österreich keine großen Sprünge zu, vor allem, weil die meisten ihrer Themen bereits von einer erfolgreichen Partei, der FPÖ, besetzt seien. Für gefährlich halten Horaczek und Schiedel die Identitären und ihr martialisches Gerede von der Reconquista und von Abwehrkampf und Kriegserklärung trotzdem.
"Bei den Identitären ist das natürlich eine Metapher, die meinen einen ideologischen, einen kulturellen Krieg", sagt Heribert Schiedel. "Aber wenn jemand von dieser fixen Idee besessen wird, der letzten Generation anzugehören, die den Untergang Europas aufhalten kann, und das konsequent zu Ende denkt, dann legitimiert das tatsächlich jedes Mittel. Also vor den Identitären braucht man sich nicht fürchten, aber im Umfeld können sich durchaus die Breiviks sammeln und angezogen fühlen. PsychotikerInnen sind ja zu metaphorischem Denken nicht fähig. Wenn ein Psychotiker Kriegserklärung hört, dann denkt er tatsächlich an Krieg. Und das müssten die Identitären eigentlich wissen."