Erstellt am: 7. 11. 2012 - 16:37 Uhr
Journal 2012. The Comeback of Multikulti?
Wie immer in geraden Jahren erscheint das "normale" Journal 2012 spärlicher - ganz im Gegensatz zur Täglichkeit des Journal 2011.
Heutiger Anlass, logisch: die nächtens absolvierten US-Presidential Elections, die in ihrem Ergebnis recht vorhersehbar waren; ja das kann jetzt jeder sagen, ich habe aber genügend genervte Zeugen für meine diesbezüglich seit Wochen wiederholten Äußerungen.
Der von so ziemlich allen Medien verschuldete "oh, es wird so eng!"-Hype rund um die dann doch recht deutliche Präsidentschafts-Entscheidung hat im Vorfeld durchaus Bedeutenderes als die reine Duell-Situation ordentlich in den Hintergrund gedrängt: die inhaltlich recht schwammigen Äußerungen beider Lager; den Gridlock, der eine effektive Legislative erschwert; die Relevanz der veränderten Demographie einiger US-Bundesstaaten.
Der Gridlock, die Gesetz-Blockade durch das, nach der Wahl noch stärker in der Hand der Republikaner befindliche, House of Representatives hat sich weiter verfestigt. Das betrifft traditionell hauptsächlich die Innen-/Wirtschaftspolitik und wirkt sich so nur indirekt auf Europa aus. Zudem gibt es so etwas wie den hiesigen Klubzwang nicht, ganz im Gegenteil.
Ebenso deutlich herausgestrichen wird aktuell die demographische Wandlung innerhalb der US-Bevölkerung - zwar nicht in einer wahlentscheidenden, aber obamabegünstigenden Dimension. Und weil die Trends hier eindeutig sind, stellen sich vor allem für die Republikaner in ihrer heutigen Verfassung drängende Zukunftsfragen.
Die Veränderung der alten Gesellschaftstruktur
Obwohl Mitt Romney im Wahlkampf all seine Kreideschlucker-Erfahrung aus seiner Zeit als Governor of Massachusetts aufbrachte und sich als moderate präsentierte, ein deutliches Angebot an die breite Mitte legte, kam er nicht über die Kernwählerschaft der Republikaner hinaus, und die ist weiß, männlich und älter. Dass Romney auch bei den weißen Frauen nicht gut abschnitt, mag auch der Idiotie einiger Parteikollegen zuzuschreiben sein, letztlich ist es aber die schwach ausgeprägte soziale Agenda der GOP, die hier den Ausschlag gibt.
Nun sind sowohl ältere als auch weiße Amerikaner keine Wählergruppe, die künftig größer werden wird, im Gegenteil. Und bei Schwarzen, Asiaten und vor allem der fastest-growing Minority, den Latinos sind Romneys Kennzahlen verheerend. Wie die Wahl mit anderen, deutlich weiter im fundamentalistischen Lager angesiedelten Kandidaten (Palin, Bachmann, Santorum, Gingrich...) anstelle ausgegangen wären, mag man sich gar nicht ausmalen.
Blau und Rot deshalb, weil das die Farben der US-Flagge sind, das hat nichts mit europäischen Konnotationen zu tun...
Jahrelang sah eine politische Karte der US-Bundesstaaten ganz simpel aus: die Westküste und die Nordostküste sowie ein Teil der Staaten an den Great Lakes (also die bevölkerungstarken Gegenden) sind blau, also demokratisch, das breite, kaum bevölkerte Zentrum und der Süden jenseits der Mason-Dixon-Line ist klassisch rot, also republikanisch.
Bringt konservatives Soul Searching politische Erneuerung?
Mittlerweile sind (und das bei einem Gesamtstand der Stimmen von 50 zu 48) aber auch Nevada oder Colorado im Westen bzw Virginia im Südosten blau geworden. Und auch in Arizona oder North Carolina beginnen die alten Verhältnisse dahinzubröseln. Und Obama hat in Texas bereits mehr Prozente bekommen als Romney in Kalifornien.
Die aktuelle Kernfrage: wird das nach dieser Niederlage einsetzende Soul Searching zumindest in ein Überdenken der aktuellen Ideologie der Republikaner münden? Der Wahlausgang und die Demographie zeigen: der rechte Rand, die Tea Party, die an religiösen Irrsinn andockenden Fundamentalisten werden keine Mehrheit finden, was das Präsidentenamt betrifft. Im Kongress hat sich die Zahl der reaktionären Feuerköpfe zwar erhöht, die Proponenten der ultraorthodoxen Tea Party waren aber unter den Verlierern: nur ein lokal/regional geerdeter White-Supremacy-Ansatz bringt also Heimsiege. In die neuen, wachsenden, nicht-weißen Wählerschichten kommt man damit nicht hinein.
Eine mögliche Alternative zum ausschließlich die konservative Kernschicht ansprechenden all-american Weißbrot wäre ein Secondo wie Bobby Jindal Governor von Lousiana. Der Shooting Star der GOP könnte sich 2016 vielleicht mit einem Kontrahenten wie Julian Castro, dem Bürgermeister von San Antonio matchen. Eine solche Auseinandersetzung würde Oberflächliches wie die unterschwellig dauerangesprochene Rassenfrage aus dem Spiel nehmen und könnte sich wieder auf die tatsächlichen ideologischen Differenzen zwischen Republikanern und Demokraten konzentrieren. Multikulti könnte also ein Comeback der (im Wahlkampf 2012 kaum vorhandenen) tatsächlichen politischen Auseinandersetzung einläuten.
Was erzählt uns der Wahlausgang über Österreich?
Auch die Demographie Österreichs ist im Wandel. Ebenso unaufhaltsam. Und auch hierzulande sterben die Alten und die Einwanderer-Gruppierungen werden stärker und größer werden.
Auch in Österreich gibt es eine Ost/Westküste (Wien, und mit einigen Abstrichen die vier anderen als Städte zu bezeichnenden Einheiten) und ein breites, zunehmend entvölkertes Zentrum (die anderen Bundesländer), sogar einen Süden und eine Art Mason-Dixon-Line.
Damit hören sich die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Im Gegensatz zur USA, die sich selber als klassisches Einwanderungsland definiert und Offenheit zelebriert, weshalb sie Ziel und Traumdestination Vieler ist, versucht sich Österreich aus seiner Realität als De-facto-Einwanderungsland wegzuducken. Das führt zu extremer Unattraktivität, lockt niemanden mit Träumen/Visionen an, sondern bietet jenen, die eher zufällig hier landen, ein ungustiöses Nicht-Willkommens-Klima.
Intreressanterweise hält (ganz aktuell) auch die katholische Kirche, in Gestalt ihres obersten Repräsentanten an der austriazistischen Fehlfestschreibung von Opfer- und Täterrollen fest.
Das wird zudem von einer immer noch zu wenig beeinspruchten Duldung einer jüngeren Geschichte der Vertreibung und Ermordung "Anderer" sowie der völlig ungenügenden Rückführung dieser verlorenen Intelligenz und einer Verdrehung der Täter/Opferrollen unterstützt.
Ein solches Klima fördert nicht die Intergration, sondern das Leben in Parallelgesellschaften. Das wiederum ermöglicht es den hiesigen Variation der Tea Party (die ohne religiösen Wahn auskommen, ihren Fundamentalismus dafür an einen übersteigerten Nationalismus koppeln) dort eher anzudocken als die Gruppierungen der politischen Mitte. Zudem fehlen fast flächendeckend griffige Identifikations-Figuren, von Jindals oder Castros, geschweige denn einem Obama kann hierzulande keine Rede sein.
Was aus einem natürlichen Zustand machen oder auch nicht
So könnte die demographische Veränderung in Österreich zu einer Erstarrung und Verhärtung der Fronten, zu einer Stärkung der Xenophobie und einer Schwächung der Demokratie führen, während ganz ähnliche Entwicklungen in den USA womöglich eine integrative Repolitisierung ermöglichen.
Von der Vielfältigkeit der Möglichkeiten, die sich mit der größten Zuwanderungs-Gruppe, den jungen Deutschen, auftun, möchte ich gar nicht erst anfangen.
Der natürliche Zustand des Multikulturalismus, der die menschliche Zivilisation (die sich ja nicht über Abgrenzung, sondern über Kooperation definiert) erst möglich gemacht hat, ist also nicht mehr als ein Angebot, das zukunftsorientierte Gesellschaften eher annehmen, untergangsorientierte eher nicht. Insofern wird die Richtungs-Orientierung der US-Republikaner zumindest ein impliziter Fingerzeig für österreichische Verhältnisse sein können.