Erstellt am: 7. 11. 2012 - 17:30 Uhr
Dancing in the Rain
„Man sieht so viele lächelnde Menschen auf den Straßen dieser Stadt, ich fühle mich wie neugeboren!“ Denitza und ich gehen durch die Wiener Straßen spazieren und sie hört nicht auf, die Stadt, die ich seit sieben Jahre mein Zuhause nenne, zu loben. „Gestern haben mir einige Bauarbeiter auf der Straße nachgepfiffen“, erzählt sie fröhlich. „Seit zwei Jahren pfeift mir zum ersten Mal jemand nach!“ In den letzten zwei Jahren hat Denitza in der belgischen Stadt Gent gelebt und gearbeitet und das Wiener Balkanflair gibt ihr ein Gefühl von Heimat, das sie im weit entfernten Flandern nie gespürt hat. Das ist schön, denke ich mir. Endlich jemand, dem ich nicht erklären muss, dass die Österreicher ganz nette Leute sind, die das aber ganz gut verstecken.
Der kalte Herbstwind treibt dazu Unterschlupf in einer der Bars in der Nähe des Karlsplatzes zu suchen. Wir bestellen uns Bier. „Es ist nicht wie das belgische“, sage ich entschuldigend. Denitza ist das völlig egal. Sie ist in ein Gespräch vertieft. Die Frisur und die Kleidung ihres Gesprächspartners ähneln unglaublicherweise jenen vom netten Obdachlosen Onkel Ivtscho, dem ich früher mit einer Plastiktüte in der Hand, gefüllt mit Leerflaschengut, oft auf meiner Sofioter Straße begegnet bin. Das Smartphone auf das unser neuer Freund regelmäßig einen Blick wirft, macht mir aber deutlich, dass er sich wohl nicht mit der Rückgabe von Flaschen beschäftigt. Er macht sicherlich experimentelle Filme, baut Installationen oder ist mindestens ein moderner Poet.
Ich trinke ruhig mein Bier und lächele gelegentlich Denitza und ihren neuen Freund an. Der DJ legt mit voller Kraft seine Mischung aus bum-bum und piu-piu auf. Draußen fängt es an zu regnen. Ich beobachte die Regentropfen durch das Fenster und stelle mir vor, wie sie zur Technomusik tanzen. Jedes Mal, wenn der Rhythmus stärker wird, glaube ich, dass es schneller regnet. Während ich so durch das Fenster geschaut habe, ist mein Bier leer geworden. Ich nicke Denitza und dem Künstler zu und gehe in Richtung Bar. Ich hasse die Maße, in denen in Westeuropa Spirituosen ausgeschenkt werden. Wie kann ein großer Whiskey nur 0,4 cl enthalten? Außerdem bekommst du ihn in einem Glas, in dem die Türken normalerweise ihren Tee trinken. Nach einem Seufzer bestelle ich mir noch einen Bier. Es ist nicht wie das belgische, aber es wird schon passen.
Ich gehe zurück zum Tisch. Denitza ist auf die Toilette gegangen. Der Künstler begrüßt mich mit einem Pfeifen. So ähnlich habe ich mir das Pfeifen nach Denitza von der Baustelle vorgestellt. Ich weiß nicht, ob dieses Pfeifen auch so gemeint ist. Denitza kommt erfrischt und fröhlich zurück. „Lass uns tanzen!“, sagt sie. „Nein“, sage ich „ich tanze lieber unterm Regen!“ Sie lacht. Dann küsst sie unseren neuen Freund auf die Wange und gibt ihm mein Bier. „Trink dieses Bier auf unser Wohl!“, sagt sie danach.
Der Regen war kalt, aber wir sangen und tanzten. Ein Polizist schaute uns verwundert an. „We are just singing and dancing in the rain!“, erwiderten wir ihm zu mit einer Stimme. Wir sind ja in Wien – der Stadt des Tanzes.