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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

6. 11. 2012 - 21:04

Fußball-Journal '12-42.

Ein bisserl Neorealismus in der Herbstdepression.

Auch in der aktuellen Saison begleitet das Fußball-Journal '12 (wie schon in den Vorjahren) die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das mediale Umfeld.

Heute mit dem schon traditionellen Bericht von der Kader-Bekanntgabe-Pressekonferenz des ÖFB mit Marcel Koller für das Testspiel gegen die Côte d’Ivoire am nächsten Mittwoch, den 14. 11.

Der 23-Mann-Kader fürs letzte Länderspiel 2012:

Tor: Robert Almer (Düsseldorf/D), Heinz Lindner (Austria)
Lukas Königshofer (Rapid). Auf Abruf: Thomas Gebauer (Ried).

Abwehr: György Garics (Bologna/ITA), Florian Klein, Franz Schiemer (Salzburg), Aleksandar Dragovic (Basel/SUI), Emanuel Pogatetz (Wolfs-burg/D), Sebastian Prödl (Werder/D), Christian Fuchs (Schalke/D), Markus Suttner (Austria).
Auf Abruf: Manuel Ort-lechner (Austria), Martin Hinteregger, Andreas Ulmer (Salzburg).

Mittelfeld: David Alaba (Bayern/D), Veli Kavlak (Besiktas/TUR), Julian Baumgartlinger, Andreas Ivanschitz (Mainz/D), Christoph Leitgeb (Salzburg), Guido Burg-staller (Rapid), Jakob Jantscher (Dyn.Moskau/ RUS), Zlatko Junuzovic (Werder/D). Auf Abruf: Thomas Hinum (Ried), Stefan Kulovits (Rapid), Yasin Pehlivan (Gaziantep Spor/TUR), Alexander Gorgon (Austria).

Angriff: Marko Arnautovic (Werder/D), Martin Harnik (Stuttgart/D), Marc Janko (Trabzonspor/TUR), Andreas Weimann (Aston Villa/ENG). Auf Abruf: Marcel Sabitzer (Admira), Philipp Hosiner (Austria), Rubin Okotie (Sturm), Patrick Bürger (Matters-burg).

Aus dem neuen ÖFB-Großkader fehlen: Christian Gratzei; Manuel Weber (Sturm), Erwin Hoffer (Eintr. Frankfurt/D).

Zuletzt Abruf/Großkader, jetzt out: Jörg Siebenhandl (Neustadt), Pascal Grün-wald (Austria); Ekrem Dag (Gaziantepspor/TUR), Daniel Royer (Köln/D), Jürgen Säumel (Sturm), Christopher Drazan, Christopher Trimmel, Dani Alar (Rapid), Stefan Maierhofer (Salzburg).

Rücktritte: Martin Stranzl (Gladbach/D), Paul Scharner (HSV/D). Kein Interesse an Jonathan Schmid (Freiburg/D).

Bei der U21: Raphael Holzhauser, Kevin Stöger (Stuttgart/D), Marcel Ritzmaier (PSV/NED), Kevin Wimmer (Köln/D) ua

Unbeachtet: Ramazan Özcan (Ingolstadt/D), Georg Margreitter (Wolves/ENG), Markus Berger (Odessa/UKR), Michael Gspurning (Seattle/US), Daniel Royer (Köln/D), Andreas Hölzl , Michael Madl, Christian Klem (Sturm), Tomas Simkovic, Florian Mader (Austria), Thomas Reifeltshammer, Anel Hadzic (Ried)...

Es ist, wenn man sich in die Oktobers und Novembers der letzten Jahre zurückklickt, nicht wirklich ungewöhnlich: bis auf wenige Ausnahmen grassiert da eine massive Herbst-Depression, die sich in miesen Auftritten an der internationalen Front (egal ob Europacup oder Nationalteam) und einem inhaltlichen Tief in der Bundesliga äußert und sich dann siech und verendend in die Winterpause schleppt.

Heuer ist da keine Ausnahme.
Und trotzdem ist etwas anders.
Der Umgang mit der unangenehmen Wirklichkeit läuft heuer nicht wie sonst über trutzige Beschönigung oder abgehobene Behübschung; man ergeht sich auch nicht (getreu der manisch-depressiven Grundeinstellung des Krankheitsbildes österreichischer Fußball) in Untergangs-Szenarien. Man verweigert aktuell sowohl den medialen Selbstbetrug als auch den Defätismus: der Blick auf das Selbstbild ist so realistisch wie schon lange nicht mehr.

Die unglaubliche Übereinstimmung von Selbst- und Fremdbild

Bestes Beispiel: Salzburg unter Rangnick/Schmidt kann sich völlig vom österreichischen Weg abkoppeln; Sturms Hyballa kann massive Kritik an der mangelnden taktischen Bildung seiner Schutzbefohlenen üben - und beide Affronts führen nicht in die sonst übliche automatisierte Ablehnungshaltung, sondern ziehen Selbstkritik nach sich.

Peter Schöttel, mit Rapid einziger internationaler Bewerbs-Teilnehmer, zieht eine hochrealistische Bilanz, wertet die (durchaus glücklichen) Erfolge gegen PAOK Saloniki als den Gipfel des aktuell Machbaren.
Der Abwärtstrend wird als solcher angesprochen.

By the way: Die Wurzel der Rapid-Probleme beleuchtet diese schonungslos-harte Analyse von Daniel Mandl auf abseits.at.

Austria-Coach Peter Stöger, der mit seinem Team (wie öfter in der jüngeren Geschichte der Austria) den optisch attraktivsten Fußball spielt, gesteht nur einer österreichischen Mannschaft wirkliche internationale Klasse zu: und zwar nicht der seinen (die müsste das erst unter Beweis stellen), sondern dem ÖFB-Team, das unter Marcel Koller einen entscheidenden Schritt nach vorne getan hat und seitdem nicht mehr vom Zufall abhängig ist, sondern (erstmals seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten) seines eigenen Glückes Schmied ist.

Die vier Großclubs unterziehen sich allesamt einer Kur

Das mag nicht nach viel klingen: ein spielerisch erfreuliches ÖFB-Team, dem noch die Resultate fehlen, ein international überfordertes Rapid und drei Teams, die wegen des nötigen kompletten Neuaufbaus noch unrund laufen, weshalb sich die aktuelle Bundesliga-Meisterschaft wieder im üblichen Herbstdepressions-Niveau verliert.

Aber: diese Selbsterkenntnis, die überraschende Übereinkunft von Selbst- und Fremdbild, ist gänzlich neu.

Bislang wurde das triste Bild mit den vorhin erwähnten manisch-depressiven Mechanismen (himmelhoch jauchzend und dann gleich wieder zu Tode betrübt - und kein Modus dazwischen) weggewischt. Jetzt besteht erstmals Hoffnung auf Besserung. Auch, weil der Realismus in allen vier Groß-Klubs eingekehrt ist.

Rangnick/Schmidt und Hyballa zeigen in den Standorten Salzburg und Graz einige kapitale Versäumnisse der letzten Jahre auf und beginnen eine entsprechende Kur.
Die Red Bull-Firmencrew kann es sich leisten über alles drüberzufahren und zum gefühlten achtenmal in 5 Jahren eine neue Generation drüberzupflanzen (und mit Kevin Kampl - der jetzt schon der Spieler dieser Saison ist, mit weitem Vorsprung - und Co wird das auch gelingen).
Und westlich des Grazer Murufers stellt man sich sowohl der Installierung einer sinnhaften Vereinsstruktur als auch der Installierung von anderswo normalen taktischen Alltagsanforderungen.

Warum selbst Hosiner aktuell nicht gut genug fürs Team ist

Nicht einmal die etwas überraschende Entscheidung, den aktuellen Niederreißer Philip Hosiner nicht ins ÖFB-Team zu nominieren, sondern nur auf Abruf zu stellen, sorgt für die Aufregung, die sie noch vor Jahresfrist automatisch nach sich gezogen hätte.

Marcel Koller relativierte Hosiners Vorstellung vom Sonntag mit dem Hinweis auf die Schwächen des Gegners - und wurde durch die Entlassung von Ried-Coach Heinz Fuchsbichler quasi bestätigt. Bei der überraschte einzig der Zeitpunkt - Fuchsbichler wirkte von Anfang an wie ein Fremdkörper im von Reiter/Schweitzer/Angerschmied weitergetragenen Modell Gludovatz.

Zudem zog Koller Hosiners internationale Auftritte (noch mit der Admira) als Kriterium für den Vergleich mit Harnik/Arnautovic/Janko/Weimann heran. Und auch das wird nicht als antiösterreichische Gemeinheit angeprangert, sondern als Realität akzeptiert.

Kollers Kriterien-Katalog hat sich auch in Kreisen, die bis dato einem dumpfen Nationalismus nicht abgeneigt waren, Eingang gefunden. Die neuen Einschätzungen der neuen Wortführer Stöger und Schöttel sind so etwas wie die Eintrittskarten in ein neues Spiel-Level.

Eine Koalition aus Kur-Verordnern und Konzept-Trainern

Bis sich das auch in die unteren Regionen durchgesprochen hat, wird es dauern. Deshalb kann sich aktuell ein Trainer-Novize des Tabellenletzten reaktionäre Sprüche leisten. Pfeifen dieser Art werden aber durch den in der zweiten Spielklasse schon länger deutlich zutage getretenen Neorealismus quasi in die Zange genommen.

Dieser Herbst brachte, aller Depression zum Trotz, eine (wohl unabsichtliche) inhaltliche Koalition von Konzepttrainern der
unteren Spielklassen und den Konzept-Erneuerern der Spitzenclubs samt ÖFB. Und das ist (gefühlt) die positivste Entwicklung, die der heimische Fußball seit zirka Leopold Stastny nimmt.

Was das mit dem ÖFB und seiner neu aufgestellten Trainer-Ausbildung zu tun hat - dazu mehr demnächst.