Erstellt am: 7. 11. 2012 - 15:19 Uhr
Guter Junge in der waahnsinnigen Stadt
Die moderne - und das heißt leider auch: hysterisierte - HipHop-Berichterstattung scheint sie zu brauchen, die jungen Typen, die mit ein paar Mixtapes und einer online gewachsenen Fanbasis das Rapgame verändern. Während die Odd Future Gang um Tyler The Creator den Beweis für die Nachhaltigkeit ihrer Bewegung noch antreten muss, kommt jetzt bereits die nächste strahlende HipHop-Hoffnung aus Kalifornien.
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Kendrick Lamar
Kendrick Lamar heißt der junge Mann, der auf dem Album Good kid, M.A.A.D City unter der Ägide von Westcoast-Don Dr. Dre seiner Heimatstadt Compton ein musikalisches Denkmal gesetzt hat. Die Platte konzentriert sich nicht auf schnelle und billige Radiohits, sondern ordnet alles einem großen Narrativ unter: Ein eigentlich herzensguter Junge, der in einer Stadt voller Gangbanger und synthetischer wie hormoneller Verlockungen jede Menge üble Erlebnisse machen muss.
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Kendrick Lamar
Spätestens der auf das Polaroid-Foto am Cover gekritzelte Untertitel A Short Film By Kendrick Lamar macht klar, dass wir es hier mit einer überdurchschnittlich ambitionierten HipHop-Platte (noch dazu ein Majorlabel-Debüt!) zu tun haben. Und tatsächlich sind die zwölf Songs durchzogen von Skits, in denen die Mama anruft, Young Kendrick nach dem Verbleib ihres Autos fragt und daran erinnert, sich nicht mit den Gangs einzulassen - während er gerade ein Haus ausraubt. Darüber hinaus ändern einige der Tracks in der Mitte komplett die Richtung, weil die Stimmung eben kippt. Kombiniert mit dem technisch brillianten aber unangestrengten Vortrag ihres Hauptdarstellers und den bildreich und emotional erzählten Geschichten entwickelt die Platte einen ungeahnten Sog - und liefert so ein weiteres eindrucksvolles Argument dafür, dass es auch in der schnellen und aufmerksamkeitsarmen Welt des Mainstream-Rap 2012 noch Formate über die Radio-Single hinaus geben kann und muss.
Es sind die sorgsam gewählten und platzierten Worte und das erzählerische Talent, die Kendrick Lamar schon schmeichelhafte Vergleiche mit dem jungen Nas eingebracht haben. Obwohl Good Kid... und Illmatic in Sachen Sogwirkung und Atmosphäre durchaus Parallelen haben, entstammen sie doch ganz anderen Zeiten: Das Debüt von Nas stellt zwar eine bis heute gültige und exzellente Definition des 90er Jahre-HipHop Sounds aus New York dar, war damals aber wohl ein weniger riskantes Unterfangen, als im Jahre 2012 einen jungen Rapper ohne simple Radio-Single sein Konzept voll durchziehen zu lassen (die kolportierte Lady Gaga-Kollabo ist - zum Glück? - nie in der Realität angekommen).
In einer Zeit, wo HipHop-Künstler ihre interessantesten Songs oft am Gratis-Mixtape hergeben, während das Kauf-Album dann betont kantenfrei und langweilig daherkommt, ist das leider die Ausnahme. Umso schöner, dass Good Kid, M.A.A.D City in der ersten Woche fast eine Viertelmillion Mal verkauft wurde und so neben exzellenten Kritiken auch kommerziell mehr als respektabel abgeschnitten hat. Vielleicht trauen sich da in Zukunft auch andere Künstler, Produzenten und Plattenfirmen wieder mehr - die Hoffnung lebt!