Erstellt am: 6. 11. 2012 - 13:36 Uhr
Frau Commissioner sagt Guten Abend

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Näher an die Menschen müsse die Europäische Union, findet Viviane Reding. Sie wolle die Bürgerinnen und Bürger treffen. Darum steht die gebürtige Luxemburgerin Montagabend in Graz in einem großen Saal mit Stuck und Fresken an den Decken, einem halben Dutzend Bildschirmen an den Wänden und zwei Videowalls an den Seiten. "Townhall Meeting" nennt sich die Veranstaltung, nach dem Vorbild US-amerikanischer Politiker, sich die Anliegen der Menschen anzuhören.
2013 hat die Europäische Kommission zum "Jahr der Bürgerinnen und Bürger" auserkoren, das jede und jeden auf seine Unionsbürgerschaft und seine Rechte hinweisen will. Viviane Reding als Kommissionsvizepräsidentin und historisch erste Justizkommissarin der EU will schon damit anfangen.
Viviane Reding ist 61, war Journalistin und ist Doktorin der Humanwissenschaften. Die gebürtige Luxemburgerin ist die historisch erste Justizkommissarin der EU sowie Vizepräsidentin der Europäischen Kommission.
Bevor Viviane Reding aber auch nur ihr erstes Wort an die Versammelten in Graz richten kann, muss sie sich gedulden. Zuerst werden die anwesenden heimischen Politiker begrüßt, Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) wird auch an dem Frage-und-Antwort-Treffen teilnehmen.
Via Videobotschaft entschuldigt sich der Steirer und Abgeordnete zum Europäischen Parlament Jörg Leichtfried (SPÖ): "Ich habe morgen früh Gesetze zu beschließen, und das geht sich mit den Verbindungen nicht aus". Vorweg entschuldigt Moderatorin Claudia Reiterer den österreichischen Außenminister: Wenn er mitten im Bürgerdialog den Saal verließe, dann, weil Hillary Clinton anriefe.
Reisefreiheit, Währungsunion, wer fängt damit etwas an?
Gekommen sind etliche Europa-Gemeinderäte, die sich um Anliegen vor Ort bemühen. Einer meldet sich zu Wort und fragt Viviane Reding um Rat: Im Gespräch mit manchen im Dorf gingen ihm die Argumente aus. Reisefreiheit, Währungsunion - damit können viele nichts anfangen, die zehn Stunden am Tag hackeln und dann ihr Bier trinken. Und oft hätten die auch nicht unrecht, wenn sie sagen: "Die EU bringe mir nix". Außenminister Spindelegger rät, mit Arbeitsplätzen zu argumentieren. Wenig später untermauert dies der steirische Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann (ÖVP) mit Zahlen: In den vergangenen siebzehn Jahren der Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union entstanden 67.000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Steiermark, mehr als zwei Drittel unmittelbar nach dem EU-Beitritt. Über 2,2 Milliarden an Mitteln flossen bislang von der EU in die Steiermark.

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Ob es irgendwen in der EU gebe, der "dieses morbide Wirtschaftssystem" in Frage stelle und weg vom Dogma Wirtschafswachstum kommen wolle, "das die Welt auf Dauer nicht aushält und wir auch nicht", das will eine EU-Gemeinderätin wissen. Und gleich anschließend sorgt einen die Arbeitslosigkeit der Jungen. Viviane Reding antwortet, umgehend: "Ihr in diesem Land seid ja sehr glücklich. Euch fehlen ja Arbeiter und Beamte". Verhaltenes Schmunzeln im Saal. "Es war vielleicht das falsche Wort: White collar, blue collar workers? Arbeiter und Angestellte". Thema ist auch Griechenland, die Kluft zwischen Staat und Bevölkerung, und die Frage, wie schnell es mit Griechenland wieder bergauf gehe. "Es sind die Griechen, die entscheiden, ob sie unsere Hilfe nutzen oder nicht", stellt Reding klar und zitiert Studien, nach denen sich achtzig Prozent der griechischen Bevölkerung für den Euro aussprechen.
Einblick gewähren?

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Wie es mit der Transparenz in der Kommission stünde, will jemand wissen. Ins Transparenzregister müssen sich alle Lobbyisten einschreiben und der Kommissionspräsident müsse Buch darüber führen, wen er weshalb treffe, erklärt Redding, "Lobbyismus ist ja nichts Schlimmes oder Falsches. Es kommen Menschenrechtsaktivisten zu mir und Unternehmen. Lobbyismus ist gut, so lange bekannt ist, wer mit wem redet und weshalb", sagt Reding. Außerdem müsse man durch ein dreistündiges Hearing, bevor man Kommissar werde. Warum die Bürgerinnen und Bürger nicht den Kommissionspräsidenten wählen lassen? Und wie steht sie zu direkter Demokratie? Diplomatische Antworten folgen. Im Mai habe Reding 15.000 Antworten bei einem Bürgerhearing im Internet erhalten. Sie fahre regelmäßig zu Bürgermeistern. "Europa ist Graz, Europa ist meine Heimatstadt Esch-sur-Alzette".

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Frage-Antwort-Spiele
Aktuell setzt sich Viviane Reding besonders für eine EU-Frauenquote für Führungsgremien ein. In der Vergangenheit kritisierte sie die Roamingtarife für Mobiltelefonie, die nun gültige Regulierung basiert auf ihrer Initiative. Zuletzt war Reding mit der Schaffung bzw. Vereinheitlichung von Mindeststandards bei Strafverfahren in Ländern der Europäischen Union beschäftigt.
Nur eine negative Wortmeldung gibt es: Die Veranstaltung sei abgehoben und von Bürgernähe keine Rede. Der Rahmen ist kein partizipativer Sesselkreis am Hauptplatz. Es ist eine Show wie sonntägliche Politdiskussionen, einzig sind diesmal wohl nicht alle Publikumsfragen vorweg bekannt gewesen. Hillary Clinton hat dann doch nicht angerufen.
Eineinhalb Stunden dauert das Frage-und-Antwort-Spiel. Wer seine Frage mitsamt Nennung von Name und Beruf nicht in das Saalmikrofon sprechen wollte, hatte eine Gelegenheit: Viviane Reding eilt nicht weg, sondern geht auf weitere Anfragen ein. Nach vier, fünf Minuten bekommt ihr Ausdruck strenge Züge und Fragende bekommen zu verstehen, dass es noch eine Antwort nicht spielen wird. Ob sie eine einheitliche Arbeitslosenversicherung gut fände, will ein Mann wissen, und wie man sich denn ehrenamtlich in der EU einbringen könne? Redings Assistentin reicht ihre Visitenkarte, ehrenamtliche Möglichkeiten will sie als Liste schicken.

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Beim Hinausgehen stoppt mich ein Kamerateam. Im Auftrag der Europäischen Kommission wüssten sie gerne, wie ich mich nach dem Meeting fühle? Ich dachte, es ginge um Information.