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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

5. 11. 2012 - 16:03

Agent im freien Fall

Futuristisch, gegenwartsbezogen, nostalgisch: Passend zum 50. Geburtstag von James Bond versucht "Skyfall", es allen Fans recht zu machen.

Dieser Mann, in dem Punkt hat die feministische Kritik schon recht, passt im Grunde nicht mehr in unsere Zeit. Rücksichtslos, eiskalt und über (Frauen-)Leichen gehend, wirkt Commander Bond in einer Welt, in der selbstzweifelnde Superhelden und toughe Racheengel wie Lisbeth Salander regieren, reichlich obsolet.

Dass der alte Chauvinist im Auftrag Ihrer Majestät trotzdem gerade in aller Munde ist, verdankt sich einem gelungenem Relaunch, der 2006 mit „Casino Royale“ begonnen hat. Ein neuer James Bond betrat in diesem meisterlichen Actionthriller die Bildfläche. Ein ramponierter, grantelnder, durch und durch menschelnder Geheimagent, der so gar nicht mehr symbolisierte, was sich Möchtegern-Playboys einst an Mondänität erträumten.

Der Film, der auf beinahe alles verzichtete, was die mythische Agentenserie eigentlich ausmachte, faszinierte trotzdem oder gerade deshalb Publikum und Kritiker gleichermaßen. Und machte den im Vorfeld noch extrem umstrittenen Daniel Craig zurecht zur Action-Ikone.

Umso größer die Enttäuschung als in „Quantum of Solace“ die Magie des Vorgängers wieder verpuffte. Statt dessen klassischem Ansatz in Sachen Kamera und Schnitt versteckte sich hinter dem sprödesten Titel der Bond-Geschichte (die deutsche Version „Ein Quantum Trost“ toppt das nochmal) ein hektisches Montage-Gewitter. Überzogene CGI-Stuntsequenzen machten wieder einen Schritt zurück in die Ära von Pierce Brosnan, die Story strudelte mit platten Bezügen zur aktuellen Polit-Wirklichkeit unaufregend dahin. Nur Daniel Craig, als melancholischer Schatten des früheren Womanizers und Kalten Kriegers agierend, fesselte in „Quantum of Solace“ mit seiner Präsenz.

Skyfall

Sony

Klassisch und modern zugleich

Aber keine Angst, wie sich viele von euch wahrscheinlich schon im Kino überzeugen konnten: Es geht wieder aufwärts.

Die Geschichte wird so kolportiert: Mitten in der heftigsten Krise der Bond-Geschichte, als das Studio MGM sich vor dem Beinahe-Bankrott befindet und Agenten-Konkurrenz wie Jason Bourne und Ethan Hunt die Kinocharts anführt, führt Daniel Craig ein angeblich betrunkenes Telefonat. Er ruft seinen alten Kumpel Sam Mendes an, einen Regisseur, der eher für dysfunktionale Charakterstudien („Revolutionary Road“, „American Beauty“) und seine Theaterarbeit bekannt ist als für brachiales Blockbusterkino.

Die beiden Freunde entwickeln einen Plan: James Bond soll pünktlich zu seinem 50. Jubiläum mit der Vergangenheit flirten, inklusive einschlägiger Gadgets, trockenem Humor und stilvollen Vintage-Autos. Und das alles ohne den Superagenten wieder in eine abgehobene Comicfigur zu verwandeln.

Skyfall“, das Ergebnis vieler berauschter Konversationen der Herren Craig und Mendes, schafft diese Gradwanderung tatsächlich über weite Strecken. Die vielleicht atemberaubendste Prä-Titelsequenz der gesamten James Bond Historie lässt gleich alle Zweifel vergessen, die zuletzt in Sachen 007 aufgekommen sind. Dermaßen spektakulär ist die Verfolgungsjagd inszeniert, die über die Dächer von Istanbul auf einen dahinrasenen Zug führt, dass der Film in Sachen Action danach keine Steigerung zu bieten vermag. Aber das macht nichts, denn „Skyfall“ hat andere Schauwerte.

Skyfall

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Eskapistische Zitate und sichtbare Geschlauchtheit

War der beste Mann des MI6 in „Quantum of Solace“ vom Männermagazin-Idol zum Antihelden degradiert worden, für den Hedonismus nur mehr eine verschwindende Nebenrolle spielte, bekommt er von Sam Mendes tatsächlich wieder seinen Mojo zurück. In einer herrlichen Szene dürfen wir James Bond, der nach einem tragischen Zwischenfall für tot erklärt wird, beim Urlaub beobachten, inklusive einschlägigem Gefummel und trinkfesten Spielereien, bei denen auch giftige Skorpione involviert sind.

Der göttliche Daniel Craig, in meiner Lieblings-Bond-Skala endgültig Seite an Seite mit Sean Connery und Roger Moore agierend, übersteht die Exzesse allerdings glücklicherweise nicht unbeschadet. Wie es sich für die Neudeutung der Figur gehört, sieht man ihm die Geschlauchtheit durchaus an.

Als der beinharte und zugleich verwundbare Agent mit der Doppelnull aus der Versenkung auftaucht, um die Welt und seine respektierte Chefin M (Judie Dench, knarziger und schroffer denn je) vor einem wahnsinnigen Cyberterroristen zu retten, wirkt er zunächst müde und gerädert. Was natürlich letztlich nur noch mehr Coolness-Punkte generiert.

Nicht nur mit dem Supergangster Silva, von Javier Bardem so over the top angelegt, dass man sich an burleske Klassiker wie „Moonraker“ erinnert fühlt, zitiert „Skyfall“ die eskapistischen Momente der Agentensaga. Auch der legendäre Waffenmeister Q gibt sich endlich wieder die Ehre, vom jungen Ausnahmetalent Ben Whishaw als köstliche Variante des gängigen Computernerds interpretiert.

Skyfall

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Würdiges Jubiläum mit Brüchen

Die Mischung aus Gegenwartsanbindung und Nostalgietrip, Bodenständigkeit und Futurismus, Action und Charakterfokussierung funktioniert allerdings nicht während der ganzen Überlänge von 140 Minuten.

Während man Sam Mendes einerseits Beifall klatschen muss, weil er, seinem offensichtlichen Vorbild Christopher Nolan folgend, die Limitierungen des Blockbusterkinos aufbricht, sind es gerade die elaborierten Dialogszenen, die den Film manchmal zum Stocken bringen. Das letzte Drittel erstaunt einerseits mit einem atmosphärischen Finale, dass mit allen Erwartungen an die 007 Reihe bricht. Gleichzeitig ist der erstaunlich antiklimaktische Showdown ein dermaßen großer Bruch mit der Tradition (zu Roger Moore oder Pierce Brosnan Zeiten hätten sie den Drehbuchautor wahrscheinlich für verrückt erklärt), dass eine leichte Unbefriedigtheit zurückbleibt, zumindest mir erging es so.

Auch der blondierte Raoul Silva, dem einige der unterhaltsamsten Szenen gehören, ist stellenweise nicht ganz unproblematisch. Zwar haben die neuen Bond Abenteuer jetzt endlich einen outrierenden Finsterling, der an Kerle wie Blofeld oder Goldfinger anknüpft. Trotzdem schlägt sich die überlebensgroße Aura des bisexuell angehauchten Kinomonsters mit der realistischen Erdung anderer Teile des Films. Abgesehen davon schüttelt Javier Bardem solche diabolischen Typen sicher auf Autopilot aus dem Handgelenk.

Aber ich will hier mit einigen Einwänden sicher nicht den Spaß verderben. „Skyfall“ mag nicht das vielbeschworene Meisterwerk sein oder gar der beste Eintrag in Sachen Bond. Aber alleine die unfassbar betörenden Bilder von Roger Deakins, die strenge Eleganz, auf die Sam Mendes setzt, der Titelsong, der das Erbe von Shirley Bassey anschmachtet, das Auftauchen des Aston Martin, die doomige Stimmung, die durch viele Szenen wabert: All das und noch viel mehr macht diesen Film zum würdigen Jubiläumsstreifen. Die nächsten 50 Jahre James Bond können kommen.

Skyfall

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