Erstellt am: 4. 11. 2012 - 16:21 Uhr
Sich bis zur Trance fühlen
Der Song heißt also "Numb", nicht etwa "Touch", nach jenem Wort, mit dem der Song beginnt, endet und welches ihn über die ganze Distanz trägt. "Touch - touch - touch": Wieder und wieder wird das Wort wiederholt, mit sich selbst überlagert, manipuliert und auseinandergeschnitten, seine Bestandteile werden neu angeordnet. Die Lauteinheit "ch" aus dem Wort "touch" nimmt schließlich die Funktion der Hi-Hat im Beat ein.
Andy Stott schlägt mit seinem neuen Album "Luxury Problems" zwar nun nicht unbedingt einen komplett neuen Weg ein, er taucht seine anthrazit bis rostbraun trostlos vor uns daliegenden Stücke Verzweiflungs-Techno, die stets die Aura vermittlen, Stott hätte sie im Kohlekeller aufgenommen, heute jedoch da und dort in eine etwas freundlicheres Licht als bisher. Vor allem "Numb", das Eröffnungsstück der Platte, ist mehr Pop, als es Stott bislang je gewesen ist.
Der Produzent und DJ aus Manchester gehört gemeinsam mit Labels wie Blackest Ever Black, Tri Angle oder seinem eigenen Heimathafen Modern Love und Acts wie Vatican Shadow, Raime, The Haxan Cloak, Vessel oder Demdike Stare zu einer seit gut fünf Jahren recht erfolgreich Blüten des Bösen schlagenden, wenn schon nicht "Szene", so immerhin lose verbandelten ästhetischen Bewegung, die in den dunklen Ecken des Musikuniversums bohrt, die Zerfurchungen der Seele in kalte Maschinen-Geräusche übersetzt oder auch gerne mit dem Okkulten und Spukhaften kokettiert.
Andy Stott
Während das, was man einst "Witch House" nannte, bei allem übernatürlichen Schnickschnack und bei aller geheimwissenschaftlicher Symbolik meist dann doch noch von einer "weichen", einer smoothen Komponente geprägt war und sich beat-technisch - wenn auch in Zeitlupe - bei R'n'B und HipHop bediente, regiert hier und heute die Glasscherbe. Industrial-Musik aus der Industrie-Ruine, böser Ambient und eisenkalter Dub-Techno sind die ehrfurchtgebietenden Referenzgrößen. Es sind finstere Zeiten.
Luxury Problems
In diesem Umfeld hat Andy Stott vergangenes Jahr mit "Passed Me By" und "We Stay Together" zwei großartige EPs veröffentlicht, Dokumente des Terrors, die sich in erster Linie auf das in den frühen und mittleren 90ern vom wegweisenden Berliner Duo Basic Channel gelegte Fundament aus hyperminimalistischer Beatlehre, Hall und Rauschen stützt. Bei all ihrer zähflüssigen Beschaffenheit und bei all den zentimeterhohen Schichten Dreck und Staub, die sich auf ihnen türmen, wohnt den Platten von Stott jedoch immer ein geisterhafter Groove inne.
Mit dem Album "Luxury Problems" und vor allem dem Stück "Numb" sollte Stott nun doch ein kleiner Crossover-Erfolg hinein in breitere Publikumsschichten gelingen. Stott hat seinen Sound vermenschlicht, ihm eine Stimme gegeben - die übrigens von seiner ehemaligen Klavierlehrerin und Opernsängerin Alison Skidmore stammt. Fast schon ist es TripHop, jedoch keiner, der beim Friseur und in der Boutique läuft, sondern in der Eisenwarenhandlung, beim Fleischhacker und beim Tierpräparator.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "Numb" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
"Numb" ist ein Stück der Verführung, gleichzeitig aber auch genauso eines der Entfremdung: Durch die ständige Affirmation der Berührung entsteht Distanz und Seelenlosigkeit. "Numb", das heißt ja soviel wie im Tastsinn "gefühllos", "taub" oder auch "abgestumpft". Das abwesende Gefühl, wenn einem der Fuß eingeschlafen ist oder auch das Herz vereist. Too much touch macht numb. Die Wiederholung des Wortes "touch" zirkelt in seinen verschwöhrerischen Kreisbewegungen den Hörer hinein in eine beunruhigende Trance. Aufwachen - das will man schon lange nicht mehr.