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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

5. 11. 2012 - 18:42

Der wuchtige Schlag der Fatwa

Salman Rushdie erzählt in seiner Autobiografie "Joseph Anton" wie er sich aus dem Todesurteil des Ayatollah Khomeini befreit hat. Es wäre besser gewesen, er hätte diese Geschichte jemand anders überlassen.

Für viele Schriftsteller mag es ein Ziel sein, zum berühmtesten ihrer Zunft zu werden, die wenigsten würden dafür aber Salman Rushdies Schicksal in Kauf nehmen. Denn der indisch-stämmige Brite Rushdie hat seine Popularität nur teilweise seiner Literatur zu verdanken, vielen Menschen ist er erst dadurch bekannt geworden, dass der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini 1989 in einer Fatwa dazu aufgerufen hatte, ihn zu töten.

Es ist nichts mehr so, wie es war

Buchcover von Salman Rushdies Autobiographie mit dem Titel Joseph Anton.

Bertelsmann Verlag

"Joseph Anton" von Salman Rushdie ist in der Übersetzung von Verena von Koskull und Bernhard Robben bei C. Bertelsmann erschienen.

Durch diese Fatwa, ein religiöses Gutachten, bricht Rushdies Welt zusammen, er kann kein normaler Schriftsteller mehr sein. Anstatt auf Lesereise oder auf Preisverleihungen zu gehen, muss er sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehen, auf Anordnung des Special Branch, des englischen Personenschutzkommandos. In muslimischen Staaten gibt es Massendemonstrationen gegen Rushdie und auch in England gehen tausende Muslime auf die Straßen. Der Special Branch vermutet sogar iranische Terrorkommandos auf Rushdies Fersen.

Rushdie muss einen Decknamen annehmen, um nicht aufzufallen. Er entscheidet sich für eine Kombination aus den Vornamen zweier geliebter Schriftsteller. Aus Joseph Conrad und Anton Tschechow wird Joseph Anton. Ein Satz aus einer Conrad-Erzählung wird zu seiner Durchhalteparole, "du musst leben, bis du stirbst."

Um seinen Aufenthaltsort geheim zu halten, muss Rushdie ständig die Wohnungen wechseln. Mit vier Polizisten im Haus geht dennoch seine Privatsphäre verloren und darüber zerbricht seine Ehe. Auch seine Freundschaften werden auf eine harte Probe gestellt, doch am schlimmsten für ihn ist es, seinen Sohn nicht aufwachsen sehen zu können. Rushdie beschreibt die Einschränkungen, mit denen er sich herumschlagen muss, nur allzu plastisch.

Die satanischen Verse

Die Fatwa ist das zentrale Ereignis in Rushdies Leben und in seiner Biographie. Auslöser für diese Fatwa war sein Roman "Die satanischen Verse". Islamische Geistliche werfen ihm vor, darin ihren Propheten Mohammed und den Koran beleidigt zu haben. Rushdie hatte eine Figur, die Mohammed gleicht, einige Suren des Korans widerrufen lassen, weil sie ihm vom Satan und nicht vom Erzengel eingegeben worden seien.

Rushdie weist in "Joseph Anton" alle Anschuldigungen jemanden beleidigen zu wollen zurück und führt aus, wie sich der Roman über Jahre entwickelt hat, und wie die Sätze darin eine andere Bedeutung bekommen hätten, nachdem er ihn aus der Hand gegeben hat. Rushdie zeichnet die Erregung nach, die das Buch ausgelöst hat und den Kampf, den er danach um das Buch geführt hat.

Man kann nicht von allen geliebt werden

Doch bei diesem Kampf um das Recht auf künstlerische Freiheit gerät Rushdie immer weiter in die Defensive. Die öffentliche Meinung richtet sich gegen ihn, es gibt Kritik an seiner Sturheit und den hohen Kosten des Sicherheitseinsatzes. Derweil werden Anschläge auf Buchhandlungen, auf seinen italienischen Übersetzer und seinen norwegischen Herausgeber durchgeführt.

Ein Vermittlungsversuch mit britischen Muslimen scheitert Ende 1990 grandios, sodass sich sogar einige Unterstützer Rushdies von ihm abwenden. Inmitten der totalen Enttäuschung fällt er den Schluss, es nicht mehr allen Recht machen zu wollen, sondern offensiv und öffentlich für Meinungsfreiheit und gegen religiösen Fundamentalismus aufzutreten.

Rushdie und Österreich

In den kommenden zehn Jahren sucht Salman Rushdie auf der ganzen Welt Mitstreiter, um die iranische Führung zum Einlenken zu bringen und vom Todesurteil erlöst zu werden. Dabei erzählt er auch von einer etwas skurrilen Episode in Österreich: Rushdie hatte schon 1992 den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur zugesprochen bekommen, doch die österreichische Regierung hatte wegen der internationalen Aufregung den Preis über zwei Jahre lang verschwiegen. Erst ein Aufschrei in den Medien führte zur Auszeichnung.

Aus diesem ersten Österreich-Kontakt ergab sich ein weiterer, denn Rushdie lernte bei einem Essen beim damaligen Kulturminister Rudolf Scholten André Heller kennen. Der überredete ihn am Fest der Freiheit zum Anlass der 50-Jahr Feier der Republik aufzutreten, wo Rushdie schließlich ein Plädoyer für die Freiheit und gegen die Politik Jörg Haiders hält.

Übergenau und langatmig

Diese Episoden aus Österreich machen eines deutlich: Rushdie ist sehr daran gelegen, in seiner Autobiographie ins Detail zu gehen. Er plaudert aus dem Nähkästchen der internationalen Litaturszene und erwähnt jede noch so kleine Episode mit GegnerInnen und UnterstützerInnen. So entsteht der Eindruck, dass Rushdie sich mit "Joseph Anton" hauptsächlich bei seinen FreundInnen für ihren Beistand bedanken wollte. Schön für die, schlecht für die LeserInnen. Denn dadurch wird die Autobiographie streckenweise extrem langatmig und vor lauter Namedropping verliert man irgendwann den Überblick über die wichtigen Personen und Vorkommnisse.

Rushdies Leben im Untergrund und unter Personenschutz dauert über 13 Jahre. 13 Jahre, in denen auf jeden vermeintlichen Erfolg in seinem Kampf um Freiheit ein Rückschlag kommt. Dann willigt die iranische Regierung - auf wirtschaftlichen Druck hin - schließlich ein, die Umsetzung der Fatwa nicht mehr zu verfolgen. Die Situation um Rushdie entspannt sich aber erst wirklich nach 9/11, als sich die geopolitische Situation ändert.

Rushdies Geschichte hätte durchaus das Zeug zu einem großartigen Buch, doch dann hätte sie jemand anders schreiben müssen, jemand, der einen Sinn für Kürzungen hat. Rushdie deutet sogar kurz an, dass Gabriel García Márquez sich gern daran versucht hätte.

So aber bleibt "Joseph Anton" ein Buch, das man getrost nach der Hälfte weglegen kann, bevor die Schilderungen des Freiheitsentzugs drohen, durch Wiederholung langweilig zu werden. Es ist aber auch ein Buch, das zum (Wieder-)Lesen von Rushdies großartigen Romanen anregt, vor allem von "Die satanischen Verse" und "Mitternachtskinder".