Erstellt am: 3. 11. 2012 - 17:53 Uhr
Wir werden immer weiter gehen
Los ging es am letzten Wochenende schon mit dem Staatsakt-Abend. Staatsakt ist das hervorragende Label aus Berlin, bei dem unter anderem Ja, Panik, Jolly Goods, Hans Unstern, Die Heiterkeit, Jaques Palminger, Andreas Dorau und - das sei hier nur aus Gründen der Transparenz erwähnt - meine eigene CD veröffentlicht wurden. "10 Jahre Staatsakt" gab es zu feiern, das bedeutet auch 10 Jahre "Die Türen", weil das Label im nicht unüblichen Labelwerdegang einst gegründet wurde, um die eigene Platte des Labelchefs herauszubringen.
So trafen sich alle aus dem Staatsakt-Umfeld am Samstag Abend im Kater Holzig Konzertraum, dessen Ausstattung sich am Ehesten mit einem psychedelischen Western-Saloon vergleichen lässt.
Staatsakt
Der kurzen Ansprache des Labelchefs Maurice Summen folgte ein ausgedehntes Türen-Set, dann wurde Hans Unstern angekündigt. Da dieser sich aber seit dem Erscheinen seiner aktuellen CD "The Great Hans Unstern Swindle" jeder Zuschreibung verweigert und generell im Dunkeln lässt, ob es ihn überhaupt gibt, kam ein Mann auf die Bühne, der sich für Hans Unstern ausgab und einen kurzen Text aus dem parallel zur Platte erschienenen Hans-Unstern-Buch "Hanky Panky know how" vortrug.
Der Höhepunkt des Labelabends war aber Andreas Dorau, nicht nur weil man den Hamburger in den 30 Jahren seines Schaffens so selten in Berlin auf der Bühne gesehen hat. Nach dem Gereifte--Männlichkeit-Indierock der Türen und den kryptischen Zeilen des Hans-Unstern-Doubles war es einfach befreiend, Andreas Doraus tolle Discomusik zu hören. Er und seine Mitmusiker an Computer und Schlagzeug wirkten wie Drillinge, vor allem als sie nach drei Stücken ihre verschwitzen Wollpullover simultan auszogen und in nassen, halbärmligen Karo-Hemden da standen. Andreas Dorau wird ja heutzutage leider völlig unterbewertet, dabei hat er so großartige Hits wie "Fred vom Jupiter" und "Girls In Love" und "Das Telefon sagt du" geschrieben, aber auch unbekanntere genialische Lieder wie "Die Schande kommt" und "So ist das nun mal". Und wer vorher schon Andreas-Dorau-Fan war, war es nach seiner Show umso mehr.
Wie lustig und engagiert er auf der Bühne herumschritt, wie nett er mit seinen Fans und den technischen Pannen umging, wie glücklich die Menschen dazu auf und ab sprangen! Der Abend ging noch lang, mit Jacques Palminger war auch halb Hamburg und das Pudel-DJ-Team angereist, im Hof des Kater Holzig Western-Dorfes brannten in den Blechtonnen zwei große Feuer, da konnte man schön um das wärmende Lagerfeuer herum stehen und so soll ja auch das Ausgehen im November sein, wärmend wie ein Lagerfeuer.
Am Dienstag wurde dann das Musik-Dokumentarfilmfestival "in edit" eröffnet. Das 2003 in Barcelona gegründete Festival findet seit 2011 auch in Berlin statt und zeigt ausschließlich Musik-Dokumentationen.
Als Eröffnungsfilm lief "Wir werden immer weiter gehen" von George Lindt.
Zu Drehbeginn wollte Lindt eigentlich nur einen Überblick über die Hamburger und Berliner Musikszene geben. Aus verschiedenen, auch ökonomischen Gründen wurde die Fertigstellung immer weiter hinausgezögert.
Und nun ist der Film, zehn Jahre später, nichts weniger als die Langzeitbeobachtung einer verschwindenden Musikszene geworden. Die Aufnahmen von vor zehn Jahren wirken wie Bilder einer anderen historischen Epoche und zeigen eine Szene, wie sie heute nicht mehr existiert: Unzählige Indie-Bands, kleine Plattenläden, unabhängige Labels. Und alle sind dabei: Stereo Total, Dimitri Hegemann vom Tresor, Kante, Britta, Jim Avignon, Atari Teenager Riot, Die Sterne, der Pudels Club, die Rote Flora in Hamburg, die längst eingegangenen Labels Vielklang, Kitty Yo und L'age d'or.
Was für Probleme man damals noch hatte!! Die Major-Plattenfirmen waren die Bösen, die Indiefirmen die Guten, die alternativen Plattenhändler sahen den größten Feind in Saturn und Co, weil die ihre CDs unter dem Einkaufspreis anboten.
Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun plaudern gut gelaunt und gut gekleidet vom Pudel Club, der neuen Werber-Seuche in Hamburg, und verwendeten das damals noch total neue Wort "Gentrification". Die Tocos waren wie alle anderen auch noch viel jünger. Man glaube ans Musikmachen als Lebensmodell, das einen vielleicht sogar ernähren sollte.
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Zehn Jahre später hat Lindt dann noch einmal gefragt, was die Protagonisten heute so machen, und das ist der sehr melancholische Teil des Films. Die Digitalisierung hat alle mit voller Wucht getroffen und die ganze Musikindustrie erschüttert. Die kleinen Plattenläden sind verwschwunden oder bedroht, die Labels gibt es nicht mehr, selbst dem kleinen Hamburger Gitarrenladen hat Ebay das Geschäft kaputt gemacht. Natürlich sind die Fakten allzu bekannt und viele Schicksale auch. Aber interessant ist, wie jeder versucht weiterzumachen. Manche, wie Rocko Schamoni, schreiben Bücher, Schorsch Kamerun macht Theater, die Hamburger Kollegen von Kante sind der Hochkultur und Theatermusik tätig. Jim Avignon malt in New York weiter, Tocotronic freuen sich über die Nr. 1 der Charts, der ehemalige Kitty-Yo-Chef macht jetzt in Mode, Frank Spilker will jetzt auch schreiben, Dimitri musste den alten Tresor aufgeben und hat einen neuen Ort gefunden. Sterreo Total machen auch einfach immer weiter und legen nach dem Film Musik auf.
Draußen steht man dann im Hof des Festsaals in Grüppchen zusammen und redet über den Film. Manchen, vor allem den Nicht-Musikern, wird darin zuviel gejammert. Das wären Luxusprobleme, die die Musiker da hätten, eine Utopie wär es halt gewesen, die Idee, von Musik leben zu können. Wenn es der Markt eben nicht hergibt... So ist es halt im Kapitalismus.
Und tatsächlich geht es ja immer weiter, es wird immer weiter Musik gemacht, die nächsten Tage sind auch schon wieder mit Konzerten verplant: Brokdorff Klanglabor, Hans Unstern, Fraktus spielen in Berlin.