Erstellt am: 2. 11. 2012 - 18:30 Uhr
Die Frau in der Musik
Man muss gar nicht lange nachdenken, um auf mindestens drei Arten zu kommen, wie man einen Dokumentarfilm zum Themenkomplex „Die Frau in der Musik“ verhauen hätte können. Mit zu viel Pathos. Mit zu wenig Humor. Mit Mitleid. Oh yeah, she performs! ist all das nicht. Vielleicht ist Mirjam Ungers Doku über vier österreichische Musikerinnen gar kein Film über vier österreichische Musikerinnen, sondern ein Porträt von vier Menschen, die Musikerinnen sind. Haarspalterei, sagt ihr? Aber geh. Es macht einfach einen großen Unterscheid, ob eine Filmemacherin ihren Darstellerinnen Luft zum Schnaufen und Leben und Reden lässt, oder ob von vornherein alles zweckgebunden erscheint, sodass am Ende dann das gewünschte Ergebnis rauskommt.
Polyfilm
Mirjam Unger ist auf eine Reise gegangen. Und dass sie und ihr Team vielleicht nicht immer gewusst haben, was sie von den Menschen, die sie porträtieren, zu erwarten haben, was sie erzählen und wie sie sich verhalten werden, das ist die größte Stärke dieses Films. Es macht ihn organisch und lichtdurchlässig, es zischt und vibriert. Da fliegen die Funken. Über die Leinwand und ins Publikum.
„Oh yeah, she performs!“ läuft daher auch nicht Gefahr, als Club-Tapete verheizt zu werden oder in irgendeiner Special-Interest-Nische zu vergehen. Denn, wenn so ein Film selbst mich, also einen Menschen, der musikuninteressiert ist, kriegt, im Sinne von "der gibt mir was", dann funktioniert er auch für alle anderen. Davon bin ich überzeugt.
Raus aus dem Sumpf
Von den Künstlerinnen, denen ich in diesem Film begegnet bin, kannte ich nur Gustav. Dahinter steht Eva Jantschitsch, eine erdige Frau mit außergewöhnlicher Stimme und auch eine begnadete Performerin. Den großen Schwangerschaftsbauch unter ein weites Leiberl mit Micky Maus vorne drauf gesteckt, singt und pfeift und lacht sie sich sofort in mein Herz. Es wird wohl auch kein Zufall sein, dass Mirjam Unger diese Frau zentral positioniert in ihrem Film. Eva Jantschitsch ist das energetische Zentrum von „Oh yeah, she performs!“, da die Kunst einfach aus ihr herauszuwachsen scheint und sie das selbstverständlich zulässt. Nix wirkt verkrampft, gewollt, aufgesetzt.
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Das ist aber auch bei den anderen Porträtierten nicht der Fall: Vera Kropf von Luise Pop, die ehemalige Bunny Lake-Sängerin und mittlerweile Solo-Künstlerin Teresa Rotschopf und Clara Luzia Humpel, sie alle sind wohltuendes Kontrastprogramm zum Morast der Trendsucher und Pop-Parasiten. So klingen sie dann auch, sie klingen wirklich, authentisch und grundverschieden.
Gemein ist ihnen aber die romantische Idee von Kunst als Selbstausdruck und Selbstverwirklichung. Musik ist ein kommunikatives Gefäß: stehen sie auf der Bühne, dann sind sie, wie Eva Jantschitsch sagt, nackt. Angreifbar, verletzlich, voller Anmut. Es tut gut, das zu sehen und zu fühlen. Es wird mir warm ums Herz. Ob ich die eine oder andere besser finde, ist da schon zweitrangig. Es geht um mehr.
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Wie wir leben
„Oh yeah, she performs!“ ist trotz aller Offenheit auch ein geschriebener Film. Fallweise haben mir die Geschichten überhand genommen, die von der Neuerfindung, die vom Durchkämpfen, die vom Dämonen-Austreiben. Ganz einfach weil ich darüber ein Stück weit den Konnex zu den Menschen selbst verloren habe. Am stärksten ist Ungers Film immer dann, wenn er sich einlässt auf die Künstlerinnen und sich ihren echten, wie sicherlich auch ein Stück weit erfundenen Lebenswelten überantwortet.
Teresa Rotschopf mit Baby im Arm in einem Hotelzimmer in New York, Clara Luzia im Wald, Gustav in Hamburg: da sie so verschieden wirken dürfen, verkommt „Oh yeah, she performs!“ auch nie zu einem Problemfilm. Ja, es geht um Diskriminierung von Musikerinnen, um Feminismus und Mutterschaft, um Rollenbilder und Gender-Identitäten, aber nie weil es die Regisseurin darauf anlegt, sondern weil es aus den Darstellerinnen selbst heraus wächst. Das macht einen großen Unterschied und macht mich glücklich. Es ist ein Film, der mich atmen lässt.
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Oh yeah!
Die inhaltliche Stoßrichtung einer Begegnung mit Musikerinnen bestimmen auch die Bilder von Kamerafrau Eva Testor: nicht zu groß sind sie, eher intim. Sie lassen mich nah ran, aber ziehen auch eine notwendige ästhetische Distanz ein. Sie spielen mit Texturen und Farben, spielen sich auf die Darstellerinnen ein.
All das hilft dabei, dass „Oh yeah, she performs!“ mehr wird, als ein konventioneller Musikfilm. Es sind Porträts auf Augenhöhe, inszeniert von einer Regisseurin, die ihre Darstellerinnen bewundert, ohne ihnen zu verfallen. Letztendlich muss man den Titel des Films auf Mirjam Unger umlegen und sagen: She performed. Oh yeah!