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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

31. 10. 2012 - 20:00

Der Tod des Kinos

Gut 40 Filmfestivals gibt es in Österreich. Noch. Denn nicht wenige von ihnen stehen alljährlich vor dem finanziellen Ruin. Eine untragbare Situation, die sich jetzt ändern soll.

Disclaimer

Markus Keuschnigg leitet seit 2010 das erste österreichische Festival des fantastischen Films, das /slash Filmfestival. Insofern ist dieser Text trotz einem Bemühen um Objektivität unvermeidlich subjektiv geprägt und daher als Kommentar anzusehen.

Viennale ist. Zehntausende frönen ihrer Liebe zum Kino und surfen durch das Angebot des größten österreichischen Filmfestivals. Alljährlich vernimmt man aber auch besorgte Kommentare darüber, dass sich diese Leidenschaft nicht auf den Kino-Alltag umlegen lässt, dass all der Furor und Enthusiasmus verpufft, wenn die Viennale ihre Pforten wieder schließt. Dass das Kino als sozialer Ort in letzter Zeit massiv an Bedeutung verloren hat, ist nicht zu übersehen.

Der Direktor der renommierten Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, Lars Henrik Gass geht sogar noch weiter und meint: "Das Kino wird verschwinden." Eine erschütternde Prognose, die gestern Abend durch die Viennale-Zentrale flirrte, als Gass mit einem zehnminütigen Impulsstatement die Präsentation des Forum österreichischer Filmfestivals (FÖFF) eröffnete. Das Forum ist ein Zusammenschluss von insgesamt 18 österreichischen Filmfestivals, von Kapazundern wie der Viennale hin zu Nischenveranstaltungen wie Der neue Heimatfilm. Gemeinsam fordert man ein Umdenken in der österreichischen Kulturpolitik.

Podiumsdiskussion Viennale

Lukas Maul

Die Leiterinnen der 18 Filmfestivals stellen sich auf.

Null Komma Irgendwas

Dass Politikerinnen immer wieder stolz von der „Filmnation Österreich“ schwärmen können, liegt zu einem gar nicht mal so kleinen Teil daran, dass MitarbeiterInnen von großen und kleinen Festivals im In- und Ausland unermüdliche Vernetzungs- und Repräsentationsarbeit leisten; und dafür mit einem unverschämt niedrigen Fördervolumen „belohnt“ werden.

„Raus aus der Kommastelle!“ war dann auch das Motto des gestrigen Abends: denn von den insgesamt 438,7 Millionen Euro, die der Bund 2011 für Kultur ausgegeben hat, entfielen gerade mal 770.000 Euro, also der Betrag hinter der Kommastelle, auf Filmfestivals. Davon entfällt wiederum der größte Teil auf die repräsentativen Festivals Viennale und Diagonale, während sich eine Vielzahl an spezialisierten Veranstaltungen mit dem Rest zufrieden geben muss; und das sind nicht selten gerade einmal 10.000 Euro.

Ist das Kino noch zu retten?

Dass die Situation nicht nur unzumutbar ist und reihenweise Selbstausbeutungsverhältnisse produziert, sondern auch anachronistisch und rückwärtsgewandt wirkt, lässt sich mit einer vollkommenen Umschichtung der prosaisch benannten Filmverwertungskette argumentieren. "Filmfestivals treten das Erbe vom Kino an", sagt Lars-Henrik Gass. Er meint damit, dass die digitale Wunderwelt mittlerweile nicht nur massive Öffentlichkeit für kleine und kleinste Filme herstellt und damit eine der ehemaligen Hauptfunktionen von Filmfestivals übernommen hat, sondern eben auch zur primären Verwertungsplattform geworden ist.

Podiumsdiskussion Viennale

Lukas Maul

Lars Henrik Gass

Dass sich Filme für Produzenten überhaupt noch rechnen, liegt daran, dass sie ihre Ware via Internet und digitale Trägermedien wie DVD und Blu-ray verwerten; das Kino spielt in dieser neuen Medienlandschaft nur mehr eine untergeordnete Rolle. In den USA ist es etwa schon gang und gäbe, dass im Besonderen kleine Filme nur mehr ins Kino gebracht werden, um die am selben Tag im Internet, auf DVD und Blu-ray veröffentlichte Ware damit bewerben zu können. Insofern stimmt es, dass das Kino weiterhin an Bedeutung verlieren wird; und dass Kinos in Zukunft vor allem auch über eine enge Zusammenarbeit mit Filmfestivals vor der Irrelevanz gerettet werden können.

Ein Fallbeispiel

Der oben rechts angebrachte Disclaimer sagt ja bereits, dass ich selbst in dieser Causa alles andere als ein Außenstehender bin. Insofern erlaube ich mir jetzt auch, die doch recht komplexe Situation anhand meines eigenen Filmfestivals ein wenig zu konkretisieren. Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass das Publikum von den Überlebenskämpfen eines Festivals nichts zu wissen braucht. Wenn ich selbst auf eine Veranstaltung gehe, will ich auch keinen Bericht zu den Verteilungsungerechtigkeiten innerhalb der Förderlandschaft lesen, sondern das genießen, wofür ich bezahlt habe. Da in diesem Fall aber mehr auf dem Spiel steht als nur das Überleben eines einzelnen Festivals, sondern die gesamte Kinokultur des Landes davon betroffen ist und außerdem die vielen Schwierigkeiten meiner Veranstaltung in gleicher oder ähnlicher Form bei anderen Festivals auftauchen werden, überschreite ich jetzt eine Grenze und plaudere aus dem Nähkästchen.

Das /slash Filmfestival, das ich 2010 gemeinsam mit einigen Freunden ins Leben gerufen habe, hat ein eindeutiges Profil: Wir zeigen alljährlich Höhepunkte des internationalen Genrekinos, also alles von Horror bis Fantasy, von Science-Fiction bis Psychothriller. Als Direktor des Festivals geht es mir aber nicht nur darum, Filme zu zeigen. Vielmehr wollen wir jene Fankultur, die dem Genrekino eigen ist, ausstellen, fördern, feiern und hinterfragen. Wir organisieren Diskussionen und Zombie-Walks, veranstalten Konzerte und Partys, konzipieren künstlerische Interventionen und laden Gäste ein. Wir machen also das, was ein professionell kuratiertes Festival macht und was das /slash von einer klassischen Filmschau unterscheidet. Wir füllen eine Leerstelle innerhalb der kulturellen Landschaft, arbeiten für ein Publikum, das sich vom Kino ansonsten weitgehend verabschiedet hat und empfinden uns daher als originär genug, um als förderwürdig angesehen zu werden.

Peaches Christ

Hanna Pribitzer

Der diesjährige /slash-Stargast Peaches Christ (Mitte) kam aus San Francisco.

We need money, honey!

Jetzt kann man sich fragen, was an einem Filmfestival so viel Geld kostet. Um beim Offensichtlichsten anzufangen: die Filme. Will man einen Film vorführen, dann muss man sich das Recht dafür erkaufen, und zwar bei demjenigen Unternehmen, das die Aufführungsrechte in der jeweiligen Region hält. Die Kosten dafür sind durchaus verschieden, befinden sich in der Regel allerdings irgendwo zwischen 200 Euro und 600 Euro. Wiederholt man einen Film einmal oder mehrfach, reduziert sich der Betrag, den man aufzahlen muss jeweils.

Das Aufführungsrecht zu haben, bedeutet aber noch nicht automatisch, den Film zeigen zu können. Denn dafür braucht man eine Kopie, früher klassischerweise einen 35mm-Print, mittlerweile fast immer eine digitale Kopie, einen so genannten DCP. Auch für dieses Material fallen Leihgebühren an, hinzu kommt der Transport, der im Fall von asiatischen Filmen durchaus teuer werden kann. Unterm Strich gibt das /slash Filmfestival etwas mehr als 15,000 Euro allein für die insgesamt etwa vierzig Filme aus. Die Gesamtsumme der öffentlichen Fördergelder, die wir in diesem Jahr erhalten haben (vom Bund bekommen wir übrigens nichts) beläuft sich auf 17,000 Euro.

Selbstausbeutungshöllenkreis

Um jetzt nicht im Zahlenmeer zu versinken: addiert man zu den 15,000 Euro für die Filme die Kosten für unser Festivalkino, das Filmcasino, Reise- und Unterbringungskosten für die wenigen Festivalgäste, die wir uns leisten können und Leihgebühren für technisches Equipment für unsere Sonderveranstaltungen, wird die Situation deutlich: Den vielen talentierten Menschen, die mit uns am Gelingen des Festivals arbeiten, können wir nur Honorare bezahlen, die mehr einer Aufwandsentschädigung als einer gerechten Entlohnung entsprechen. Meine Geschäftsführerin Magdalena Pichler und ich selbst haben 2011 gänzlich auf ein Honorar verzichten müssen.

Das hört sich jetzt alles schwer nach Lamento an, soll aber vorrangig die prekäre Situation von kleinen Filmfestivals illustrieren. Das /slash selbst kann wie viele der anderen österreichischen Filmfestivals durchaus Erfolge vorweisen: eine Verdopplung des Publikums innerhalb der drei Jahre, die es uns jetzt schon gibt, ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass wir eine Lücke innerhalb der Kulturlandschaft schließen und gute Arbeit machen. Sponsoren winken dennoch ab, da sie sich mit ihren geschrumpften Sponsoring-Etats lieber auf Charity-Events und große Kulturveranstaltungen konzentrieren.

Podiumsdiskussion Viennale

Lukas Maul

We shall overcome! Shall we?

Hinter der dramatischen Unterfinanzierung von so vielen Filmfestivals steht freilich auch eine kulturelle Misere: Immer noch gilt Kino in Österreich nicht als repräsentative Kunstform. Ganz im Gegensatz etwa zu Theater und klassischer Musik. Insofern ist die Gründung des FÖFF ein wichtiges Zeichen und ein erster Schritt dahingehend, ein Bewusstsein für die großartige und wichtige Arbeit zu schaffen, die Filmfestivals in Österreich leisten und auch in Zukunft leisten werden.

Getragen von Idealistinnen und errichtet auf dem Rücken von unzähligen Mitarbeiterinnen, reitet das Kino Richtung Zukunft durch die Nacht. Ob es überleben wird oder die Leinwände des Landes irgendwann finster bleiben, das liegt in den Händen der österreichischen KulturpolitikerInnen.