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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

1. 11. 2012 - 10:10

Loss mas bleibm!

Nach zehn Jahren meldet sich die Neigungsgruppe Sex Gewalt & Gute Laune mit einem finalen Werk ab. Und das kein bisschen leise, sondern pompöser und epochaler denn je.

"Mir fallen ja eher die ganz schrecklichen Momente ein", meint David Pfister und muss gleich laut lachen.

"Nein, es ist nur, man erinnert sich immer an die lustigsten Abenteuer, zum Beispiel wie wir einen Zug verpasst haben und irgendwo in der Einöde mit der Gitarre in der Hand gestanden sind. Naja, Kleinkunstgruppen sind halt lustig unterwegs."

Christian Fuchs wirft ein: "Sagen wir es diplomatisch so, wir könnten über die Erlebnisse der Neigungsgruppe wirklich ein Buch schreiben. Einen Heinz Strunk könnten wir dabei sicher toppen."

Wenn nach einer Dekade die Neigungsgruppe Sex, Gewalt & gute Laune resümiert, dann kommt dabei kein weinerliches Gejammere oder gar überkandidelte Sentimenalität heraus. Es wird nicht übermäßig in die Vergangenheit geblickt und in der Zukunft gibt es ja ohnehin nichts mehr zu holen. Deshalb kann sich das lyrisch düstere Musikquartett ganz dem Hier und Jetzt hingeben, das zum dritten Mal aus meisterlich komponiertem und ins Wienerische übersetztem Tragik-Pop besteht.

Plattencover der Neigungsgruppe Sex Gewalt und gute Laune "Loss Mas Bleibm"

Neigungsgruppe Sex Gewalt und gute Laune

Nicht von ungefähr erinnert das Cover des letzten Neigungsgruppe-Albums an "Let It Be". Wer von den FM4lern welchen Beatle repräsentieren könnte, das bleibt dem/der BetrachterIn überlassen.

Mit schwarzen Songs zum weißen Album

Ein schwerer, drückender Schlagzeugbeat klopft ans Trommelfell. Das brachiale Stück "Lenzibald" wirkt wie der Rhythmusgeber für die Galeere der Toten, mit der uns das Genick gebrochen wird. David schreit sich hier in die komplette Verausgabung hinein, sodass ihm nachher tagelang die Stimme fehlt.

Christian Fuchs erinenrt sich noch genau an die Situation der Aufnahme: "Es war so ein intensiver Moment, als der David diese Zeilen im Studio ins Mikrophon gebrüllt hat. Die Stimmung war richtig gespenstisch und die Studiokatze, die eigentlich sehr gemütlich ist und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, ist panisch geflüchtet."

Diese kleine Geschichte macht klar, dass die Neigungsgruppe mit "Loss mas bleibm" wirklich alles gibt. Die Eigenkompositionen von Christian Fuchs, Fritz Ostermayer, David Pfister und Robert Zikmund treffen den unbedarften Hörer oft wie ein Blitz am Häusl. Dämonisch grollend windet man sich schmerzhaft durch "Spiegelgrund", verteufelt vernebelt swingen die Vier mit den "Eskimo Girls" zum Blues der Resiginerten, um anschließend in der "Bar zu den sieben Plagen" schunkelnd abzusaufen.

Ein absolutes Highlight der selbstgebastelten Düsternis ist "Der Blitz" mit Gastmusiker Oliver Welter. Die epischen Ausmaße einer Arcade-Fire-Nummer klingen da ebenso an wie geschmackvoller Drummaschine-Pop, der die Strophe mitsamt seiner rückwärts abgespielten Gitarrenlinie zu einem glanzvollen Moment macht. Insofern ist "Loss mas bleibm" von den Self-made-Songs vielleicht wirklich das weiße Album der Neigungsgruppe.

Neigungsgruppe Sex gewalt und gute Laune

Neigungsgruppe Sex gewalt und gute Laune

Die wilden Hunde beim Videospieln

Entsprungen aus der musikalischen Begleitung der manchmal schon religiös ausartenden Lesereihe hat sich die Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune immer schon an große Popnummern gewagt, um ihnen den unverwechselbar wienerischen Stempel aufzudrücken. Oder wie es David Pfister treffend erklärt:

"Das Covern war für uns immer ein wichtiger Aspekt. Jedoch nicht das korrekte Eins-zu-Eins-Übersetzen, sondern vielmehr das emotionale Covern."

Emotional hoch her geht es bei "Geh kumm hearst", mit dem sich die Neigungsgruppe zum ersten Mal über ein Nirvana-Cover trauen. Scheinbar einschmeichelnd erklingen The Velvet Underground im neuen Text- und Klanggewand von "I Hob An Grund". Auch wenn Fritz Ostermayer und Ms. Soap&Skin hier das bezaubernde Gesangspaar bilden, bröckelt die heile Fassade mit den verhatschten und stolpernden Beats. In beschwingte Höhen hebt das "Fluchzeig" von Neutral Milk Hotel ab, musikalisch der wohl fröhlichste Höhepunkt der Platte und zugleich der "Radiohit", wenn man so will.

Das letzte große Aufbäumen mit "Loss mas bleibm" funktioniert auch soundtechnisch durch die druckvolle und ausgewogene Produktion von Bernd Heinrauch. Aber auch mit Gästen wird geklotzt, was das Zeug hält. Neben den erwähnten Oliver Welter und Soap&Skin holten sich die vier Musiktiere auch Rainer Binder-Krieglstein und Dorit Chrysler ins Studio und nicht selten erhebt sich der Superneigungsgruppenchor auf dem Album zum finalen Baba.

Da jedes Ende auch einen Anfang hat, feiert die Neigungsgruppe Sex, Gewalt und gute Laune am 1. November ihren Abschied zum ersten Mal live im Wiener Rabenhoftheater, wozu sie viele Gäste auf die Bühne geladen hat. Na dann, baba und foi net!

Auch wenn der letzte TV-Auftritt schon über die Bildeschirme des Landes geflimmert sind, bleibt die Neigungsgruppe noch ein Jahr bestehen, um die obskursten Plätze der deutschsprachigen Musiklandschaft abzugrasen. Und vielleicht ist dann das Allerletzte, was wir von den vier Musikern zu spüren bekommen, ein liebevoller Schlag auf den Hinterkopf mit einem Tourtagebuch voller Verrücktheiten.