Erstellt am: 31. 10. 2012 - 17:43 Uhr
Windows 8
Bunte Kacheln auf allen IT-Blogs und Magazincovers: Die Martketingkampagne für Windows 8 ist auf dem Höhepunkt. Werbung allein aber wird einen eventuellen Erfolg des neuen Betriebssystems nicht ausmachen. Wie sehr eine Kampagne verpuffen kann, zeigte sich am Beispiel von Windows Vista, dessen "Wow-Effekt" viele User nicht wirklich glauben konnten. Dabei war das Hauptproblem des viel gescholtenen Betriebssystems eigentlich der anfängliche Mangel an Gerätetreibern seitens der meisten Zubehörhersteller.
Tatsächlich war Vista bei Verwendung halbwegs aktueller Hardware besser als sein Ruf - das Ramsch-Image wird es aber nie mehr los. 2012 lassen es sich manche User (bzw. Forumstrolle) nicht nehmen, Windows 8 schon vor dem Erscheinen totzusagen – mit dem „Killerargument“, dass jedes zweite Betriebssystem von Microsoft eben ein Flop sei. Windows 98 gut, Windows ME schlecht, Windows XP hui, Windows Vista pfui, Windows 7 toll, Windows 8 bäh – dümmer kann man eigentlich kaum argumentieren. Aber ich bin für einen Moment genauso trivial und sage: "Alle Betriebssysteme haben Vor- und Nachteile."
Christoph Weiss
Lasst uns das mal testen!
In meiner Wohnung stehen bzw. liegen neun funktionstüchtige Computer herum (und ca. noch einmal so viele pensionierte Rechner in Keller und Abstellraum). Auf den einsatzbereiten Geräten läuft - je nach Anwendungsszenario - irgendein Windows, Linux oder OS X. Weil ich im April dieses Jahres schon neugierig auf Windows 8 war, habe ich mir über eine Auktionsplattform zwei Convertibles besorgt: Ein „Acer Iconia W500“ Tablet, an das man bei Bedarf eine Tastatur andocken kann, und ein „Dell Inspiron Duo“-Netbook, dessen Bildschirm sich schwenken und umklappen lässt, wodurch aus dem Gerät ein Tablet wird.
Da ich im Lauf der Monate auf beiden Geräten mehrere Preview-Builds und schließlich fertige Release-Builds von Windows 8 installiert und immer wieder einmal für einen Tag damit herumexperimentiert habe, kann ich meine Erfahrungen diesbezüglich weitergeben.
Windows 8 ist schnell installiert – vor allem, wenn auf dem Computer bereits ein anderes Windows (ab XP) installiert ist. In diesem Fall reicht es nämlich, das Betriebssystem von der Website des Herstellers herunterzuladen. Die "Pro"-Version kostet bis Ende Jänner relativ günstige 30 Euro (ab Februar dann fast 300). Nach einer halben bis dreiviertel Stunde ist das neue Betriebssystem installiert. Persönliche Dateien bleiben erhalten, im Fall eines Upgrades von Windows 7 auch die installierten Anwendungen. Eine saubere Installation ist mit dem 30-Euro-"Upgrade" aus dem Sonderangebot aber genauso möglich.
zOMG das Startmenü ist weg
Seit 1995 hat Microsoft die User daran gewöhnt: Mit der Maus den „Start“-Knopf links unten oder am Keyboard die Windows-Taste drücken führt in ein Menü. Aber mal ehrlich: Hat es wirklich so viel Spaß gemacht, sich auf der Suche nach einer Anwendung oder Systemeinstellung mit dem Mauszeiger durch verschachtelte Bäume und Ketten von Dateiordnern zu hangeln? Auf einem XP-Rechner mit vielen Anwendungen war das eigentlich unerträglich, mit Vista und Windows 7 wurde die verschachtelte Startmenü-Klapp-Orgie immerhin ein wenig reduziert.
Das Startmenü erfüllte seinen Zweck, wirklich genial war es nicht. Die Angst vor dem Ende des Startbuttons ist Hosenscheißertum - genauso unsinnig wie die Mär von der Gesetzmäßigkeit abwechslend „guter“ und „schlechter“ Windows-Releases.
Die eleganteste Methode, Dateien zu suchen war ohnehin immer: Windows Taste drücken, die ersten paar Buchstaben des gesuchten Namens eingeben, Enter drücken. Das funktioniert auch in Windows 8. Sucht man beispielsweise die Datei „Honorarnote“, so kann man auch hier die Windows-Taste drücken und landet auf dem neuen, kacheligen Startscreen - auf dem Startscreen aber kann man wie gewohnt einfach zu schreiben beginnen. Die ersten paar Buchstaben („Hon“) reichen, die Datei erscheint auf dem Bildschirm, Enter drücken. Der Vorgang ist exakt derselbe geblieben – er sieht nur ein wenig anders aus.
Der Startscreen erfüllt auch in jeder anderen Hinsicht die Funktionen des Startmenüs. Wenn man das Gerät mittels Touchscreen bedient deutlich besser, ansonsten bedient man sich der Tastatur. Die Suche selbst wurde unter der Haube verbessert – sie ist schneller geworden.
Christoph Weiss
Shortcuts und Charms
Altbekannte Tastaturkürzel funktionieren wie bisher. Windows-D führt auf den Desktop. Windows-F dient dem Finden von Files. Windows-E öffnet den Datei-Explorer. Dazu kommen einige neue Shortcuts, die das Leben erleichtern. Windows-X öffnet ein Menü, das direkt zu Gerätemanager, Systemsteuerung, Festplattenverwaltung und vielem mehr führt – es ist also einfacher geworden, in systemrelevante Einstellungen zu gelangen, wenn man sich nach anfänglicher Verwirrung die neuen Möglichkeiten einprägt. So kann die Systemsteuerung auch über den gleichnamigen Button in jedem geöffeneten Fenster des Datei-Explorers gefunden werden, oder über die „Charms“, also die neuen, am rechten Bildschirmrand angesiedelten Menüs. Mehr Wege führen zum Ziel. Die „Charms“ sind dabei eher für die Bedienung mittels Touchscreen optimiert. Sie öffnen sich durch Wischbewegungen und führen neben den Systemeinstellungen auch - kontextbezogen, also je nach geöffneter Anwendung - zu intelligenten Suchtool oder Social-Sharing-Funktionen.
Marktplatz und Apps
Bezieht man in die Geschichte Microsofts die Spielkonsole Xbox ein, dann gab es den Vorläufer von Apples „App Store“ und Googles „Play“ bereits 2005 – dem Launchjahr des "Xbox Live Marketplace". Umso verwunderlicher ist, dass Microsoft es danach völlig versemmelt hat, einen ähnlichen Onlineshop auch in Windows XP, Vista oder 7 zu integrieren. Der „Games For Windows“-Marktplatz war - im Gegensatz zum Xbox-Marktplatz - ein jahrelanges Trauerspiel, während die Konkurrenz von Apple oder Valve (Steam) das Feld ertragreich beackerte.
Mit Windows 8 versucht der Konzern, dieses Versäumnis zu korrigieren. Im Sommer dachte ich noch, dass das schiefgeht: Der Online-Martkplatz der Probeversion von Windows 8 sah mit einigen hundert großteils nutzlosen Apps so jämmerlich aus wie der Windows-Spiele-Marktplatz in den Jahren zuvor - immerhin war er besser zu bedienen. Das Angebot hat sich mit dem offiziellen Erscheinen von Windows 8 schlagartig verbessert – offensichtlich waren wir in den Probeversionen auf einen anderen Server umgeleitet worden. Einige tausend Apps sind nun verfügbar, das Angebot ist ähnlich breit wie von Google Play oder App Store gewohnt. Da Windows-8-Apps mittels HTML, CSS und JavaScript programmiert werden können und fast unverändert auch auf den Smartphones der nächsten Windows-Generation laufen werden, ist das Interesse der Programmierer hoch.
Mitunter nerven die für Touchscreen und Vollbild-Darstellung optimierten Applikationen aber auch. Auf meinen Tablet-Notebook-Convertibles öffneten sich Videos oder Fotos zuerst immer mit einer Tablet-App, obwohl ich sie gerne wie gewohnt auf dem Desktop mit VLC oder Irfanviewer betrachtet hätte. Microsoft geht offenbar davon aus, dass die Mehrheit der User nicht auf dem Desktop arbeiten möchte. Die Realität sieht wahrscheinlich anders aus. Mit wenigen Klicks sind die Default-Anwendungen, mit denen bestimmte Dateien geöffnet werden, aber geändert.
Dell
Im Spagat zwischen Desktop- und Touch-Oberfläche zeigt sich letztlich auch die größte Schwierigkeit beim Umgang mit Windows 8: Fingergesten und Mausgesten sind leicht unterschiedlich, der User muss sich zwei Bedienungskonzepte einprägen. Sind beim Wischen mit den Fingern die vier Bildschirmränder der Schlüssel zu Menüs und versteckten Funktionen, so sind es bei der Mausbedienung die Bildschirmecken. An sich wäre auch das kein Problem, allzuviel muss man sich nicht merken - doch während die „aktiven Ecken“ bei der Bedienung mit der Maus nur manchmal ein wenig nervig sind, weil sie unbeabsichtigt aufpoppen, da werden sie beim Bedienen des Laptops mit einem Touchpad wirklich umständlich. Grund dafür sind Mausgesten, die mit einem Touchpad - oder gar mit einem Pointing Stick - schlicht und einfach zu schwierig auszuführen sind.
Zahlt sich der Umstieg aus?
Ich bn froh, dass ich Windows 8 seit April auf zwei Convertible-PCs getestet habe – und habe mir schließlich für beide Geräte die Vollversion des Betriebssystems gekauft. Für diese Geräteklasse, also Hybride aus Tablet und Laptop, wurde der Spagat zwischen Mausbedienung und Streicheloberfläche geschaffen.
Auch jenseits dieser Hardwarekategorie hat Windows 8 durchaus eine Existenzberechtigung: Unter seiner Haube steckt ein verbessertes Windows 7 (das eigentlich Windows NT 6.1 heißt, Vista war NT6.0, Windows 8 ist NT 6.2) – seine Effizienz hinsichtlich Speicherplatzbedarf, Mehrkern-Prozessoren und Absturzsicherheit wurde noch einmal verbessert. Das heißt: Windows 8 wirkt im täglichen Umgang noch ein Stück schneller und stabiler als Windows 7.
Neuheiten wie ein besserer Taskmanager oder die Möglichkeit, das Kopieren von Dateien anzuhalten und besser zu organisieren, sind sehr willkommen. Trotzdem werde ich meine drei großen Desktop-PCs, von denen einer für Musik-Komposition, der andere für Büro- und Schreibarbeiten, und der dritte für Games und Videos vorgesehen ist, vorläufig nicht auf Windows 8 umstellen. Ohne die Vorteile der Touchscreen-Bedienung erscheint mit der Aufwand, Anwendungen neu installieren zu müssen, nicht gerechtfertigt. Zwar wäre eine Upgrade-Installation möglich, bei der ein Großteil der Applikationen erhalten bleibt – diese ist aber immerhin mit dem Risiko von Instabilität verbunden.
Nicht empfehlenserwert finde ich Windows 8 für Laptops ohne Touchscreen und Maus, okay ist es für Desktop-PCs mit Maus und sehr empfehlenswert halte ich es für Tablets, Convertibles oder andere PCs mit Touchscreen.
Hinsichtlich der ersten Verkaufszahlen wurden die „Windows 8 wird genauso ein Flop wie Vista“-Rufer übrigens schon widerlegt. Windows 8 wurde in den ersten drei Tagen nach der Veröffentlichung vier Millionen mal heruntergeladen.