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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

31. 10. 2012 - 15:35

Engel des Vergessens

In ihrem autobiographischen Roman erzählt Maja Haderlap die Geschichte ihrer Kindheit auf dem Bergbauernhof. Sie erzählt aber auch die Geschichte ihrer Familie und eigentlich die eines ganzen Volkes – der Kärntner SlowenInnen.

Doppelzimmer Spezial
am 1. November (13-15 Uhr)

Zu Gast bei Elisabeth Scharang ist die in Klagenfurt und Wien lebende Schriftstellerin Maja Haderlap.

Die Kärntnerin hat als Lyrikerin mit dem Schreiben begonnen - in ihrer Muttersprache Slowenisch. 15 Jahre lang war die promovierte Theaterwissenschaftlerin Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt und erst seit mittlerweile vier Jahren lebt sie als Schriftstellerin.

2011 hat sie beim Wettlesen um den Bachmannpreis für einen Auszug aus ihrem Debüt "Engel des Vergessens" den Bachmannpreis gewonnen, übrigens der erste Prosatext, den sie auf Deutsch geschrieben hat.

"Großmutter gibt mir ein Zeichen mit der Hand, ich solle ihr folgen. Wir gehen durch die schwarze Küche in die Speisekammer. Am Gewölbe klebt alter Rauch wie dunkles, speckiges Harz. Es riecht nach Geselchtem und frischgebackenem Brot. Ein saurer Dunst hängt über den Futterkübeln, in denen Essensabfälle für die Schweine gesammelt werden. Der Boden ist lehmig und an den häufig begangenen Stellen glänzend wie poliert."

Maja Haderlap

Pamela Rußmann

Maja Haderlap ist am 1. November zu Gast in einem Doppelzimmer Spezial mit Elisabeth Scharang.

Mitte der 1960er Jahre ist das Mädchen Maja Haderlap mit seiner Großmutter in dieser Küche, in der sich seit zwei Generationen kaum was geändert hat. Der Großvater hat die Küche eigenhändig der Großmutter gebaut. Auf die Marmelade, die die Großmutter in dieser praktischen Küche einkocht, wird "Malada" geschrieben. Hier wird Slowenisch gesprochen. Wie in allen Bauernhäusern, die in diesem Tal an der Grenze zwischen Kärnten und Slowenien, ehemals Jugoslawien, liegen.

Aber wie der Rauch in der Küche hängt, hängt eine dunkle Vergangenheit über deren Leben und scheint ihnen immer wieder die Luft zu rauben. Selbst den Kindern.
Auch dem Mädchen Maja, der Ich-Erzählerin. So schildert Maja Haderlap ihre Kindheit auf dem Bergbauernhof und das teilweise harte und eigenwillige Leben der Bergbauern, die bescheiden leben. Sie nehmen die Dinge, wie sie kommen, jammern wenig und schweigen lieber als dass sie Gefühle zeigen.

Allen voran die Großmutter: Eine starke, streng gläubige Frau, die wegen ihrer slowenischen Herkunft im KZ Ravensbrück war.
Die zweite Hauptfigur ist Majas Vater – ein schweigsamer Mann, der so in seiner Haut und seinem Leben gefangen scheint, dass er sich immer wieder vergeblich mit Alkohol oder Wutausdrücken daraus befreien will. Maja mag ihn dennoch. Erst spät erfährt sie, dass ihr Vater als Kind von den Nazis gefoltert wurde und seither traumatisiert ist.

persmanhof mit denkmal

Lisa Rettl

Der Peršmanhof liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Elternhaus von Maja Haderlap. In der Gegend fand der einzige bewaffnete und militärische Widerstand auf dem Gebiet der ehemaligen 'Ostmark' statt.
buchcover engel des vergessens von maja haderlap

wallstein verlag

Maja Haderlap: Engel des Vergessens. Wallstein Verlag 2011

In fast jedem Bauernhaus in der Gegend wurden Leute gefoltert, verschleppt und ermordet. Ihr Vergehen: Sie sprechen Slowenisch. Etliche haben sich mit den Partisanen zusammengeschlossen oder unterstützen diese und kämpfen gegen die Nazis.

Die Erinnerungen an die Gräueltaten der Nazis und an den Krieg sind allgegenwärtig und haben sich auf die Generationen übertragen. So lasten diese schmerzvollen Erinnerungen auch auf dem Mädchen Maja Haderlap.

Sie wird älter, geht in Klagenfurt aufs Gymnasium, studiert in Wien. Fühlt sich immer wieder als Außenseiterin. Aber je weiter ihr Horizont wird, desto mehr versteht sie die eigene Geschichte und eben die Geschichte der Kärntner SlowenInnen.

Maja Haderlap hat diese Erinnerungen lange mit sich herumgetragen und es sei nicht leicht gewesen, darüber zu schreiben.

"Der Engel des Vergessens dürfte vergessen haben, die Spuren der Vergangenheit aus meinem Gedächtnis zu tilgen", schreibt Maja Haderlap in ihrem Debüt "Engel des Vergessens".

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Man muss ihr geradezu dankbar sein, dass sie diesen Roman geschrieben hat. Ein berührendes und wichtiges Buch. Unbedingt.