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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

1. 11. 2012 - 15:00

"Ich weiß, ich war's"

Christoph Schlingensief erklärt sich selbst: Zwei Jahre nach seinem Tod erscheint eine Auswahl seiner Selbstbetrachtungen, herausgegeben von seiner Frau Aino Laberenz. Ein spaßiger und würdiger Nachlass.

"Ich bin nicht der geworden, der ich sein wollte"

Buchtitel mit Christoph Schlingensief und einem ausgestopften Hasen

Kiepenheuer & Witsch

"Ich weiß, ich war's" - Texte von Christoph Schlingensief, herausgegeben von Aino Laberenz, ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Er macht's einem nicht leicht. Gleich zu Beginn spricht Christoph Schlingensief über den Krebs. Und er echauffiert sich über diejenigen, die dem Krebstagebuch, das noch zu seinen Lebzeiten erschienen ist, reserviert bis ablehnend begegnet sind. Als Kranker fühlt sich Schlingensief ausgeschlossen, abgestoßen von der Gesellschaft, mehr noch abgelehnt als jemals mit seinen grenzwertigen Filmen oder Kunstaktionen. Doch nicht zu unrecht meint Schlingensief: Ihr müsst das aushalten, die Gesellschaft muss ihre Kranken und Krankheiten ertragen.

Doch keine Angst, so messianisch geht's nicht weiter, das Leiden steht nur sehr kurz im Vordergrund, zumindest das Leiden am Krebs. Der Rest ist anekdotenhaft, auch reflekierend und jedenfalls hoch unterhaltsam.

Christoph Schlingensief spricht

"Ich weiß, ich war's" ist eine Sammlung von Vorträgen, die Schlingensief in seinen letzten Lebensjahren gehalten hat, ergänzt mit Blogeinträgen und Briefen. Zusammengestellt hat die Sammlung Schlingensiefs Ehefrau, die Bühnen- und Kostümbildnerin Aino Laberenz. Die Texte sind nur leicht adaptierte Abschriften der Vorträge, und Schlingensief versucht, sein Leben und Werk einzuordnen, auch im Lichte seiner tödlichen Krankheit zu reflektieren. Trotzdem vermittelt das Buch keine Endzeitstimmung, sondern wirkt im Gegenteil leicht und sehr lebendig.

Aino Laberenz

EPA

Aino Laberenz

Die Texte sind nicht chronologisch, aber dennoch ein Abriss seines Lebens: aufwachsen als einziges Kind eines Apothekers im Ruhrgebiet ("Ich musste für meine Eltern sechs Kinder darstellen. Ich hatte zumindest immer dieses Gefühl, weil meine Mutter und mein Vater eigentlich immer sechs Kinder haben wollten"), die ersten Filme auf 8mm-Material (Mensch Mami, wir dreh'n nen Film), und dann die ersten Werke Mitte der Achtziger Jahre, die weitere Beachtung fanden: Menu total mit dem jungen Helge Schneider läuft im Forum des jungen Films auf der Berlinale, und Schlingensief wird mitten in die Szene geworfen: Er lernt Udo Kier kennen und kommt mit der damaligen Derek-Jarman-Schauspielerin Tilda Swinton zusammen. Mit beiden dreht er Egomania – Insel ohne Hoffnung auf einer vereisten Hallig in der Nordsee. Schlingensief erzählt Anekdoten aus dem Wagner-Mekka Bayreuth, Anekdoten rund um den "Ausländer raus!"-Container vor der Wiener Oper, Anekdoten von der Kandidatur mit der Partei Chance 2000.



Christoph Schlingensief erzählt


Eine Anekdotensammlung ist Ich weiß, ich war's trotzdem nicht, es ist vielmehr eine Selbsterklärung. Schlingensief verortet sich in der Welt, im Universum, in seinem Leben vor und nach dem Tod. Er macht nie ein Hehl aus seiner Religiosität, aus seinem Moralismus und aus seinen Ängsten und (Selbst)Zweifeln. "Ich bin nicht der geworden, der ich sein wollte" ist so ein zentraler Satz, der sich auch als Klappentext findet, doch dieses Anders-Sein, dieses Anecken in der Gesellschaft und auch in sich selbst, dieses Leben als eine Ansammlung von mal gelungenen, meist irgendwie gescheiterten Interventionen, nimmt er selbst meist mit dem Humor, der auch in seinen Arbeiten steckt.

Gegen Ende wird es wieder ernster, wenn Schlingensief von seinem Lebensprojekt berichtet, dem Operndorf in Burkina Faso, das seine Witwe Aino Laberenz für ihn fertig stellt und über das derzeit auch ein Dokumentarfilm in den Kinos läuft.

"Der Mensch besteht aus ganz viel Sehnsucht"

Tilda Swinton und Christoph Schlingensief, flirtend

EPA

Im Jahr 2009 sind sich Tilda Swinton und Christoph Schlingensief in der Berlinale-Jury wieder begegnet.

Schlingensief findet keine Klarheit, wahrscheinlich will er auch gar keine. Er zerreißt das Konzept des Menschen als homogene Persönlichkeit, als Identität; der Mensch, er selbst, ist für ihn vor allem eine permanente Auseinandersetzung mit seinen Ängsten und Möglichkeiten, mit seinen Prägungen und seinen Dämonen, mit seiner Lust und mit der Welt in sich drin und, nicht zuletzt, mit der materiellen und mit der spirituellen um sich herum.

Man kommt Christoph Schlingensief sehr nah in seinem Buch, wozu auch die subjektive Sprache beiträgt. Da lässt uns einer teilhaben an seinem permanenten Ringen mit sich selbst, und weil dieses Ringen für ihn sein Leben und auch seine Kunst ausmacht, gleitet es, bei aller Ernsthaftigkeit und Trauer, die natürlich auch ihren Platz hat, nie in Larmoyanz oder Selbstgefälligkeit ab. Ein Buch für alle, die Christoph Schlingensief noch einmal begegnen wollen.