Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Keine Zeitenwende"

Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

30. 10. 2012 - 13:03

Keine Zeitenwende

Wie daneben ist eine Literaturverfilmung, wenn man nach dem Film sofort zum Buch greifen will? Detlev Bucks "Die Vermessung der Welt" ist dazu ein guter Gradmesser.

Filmplakat zu "Die Vermessung der Welt" zeigt fotorealistisch die zwei Männer

Filmladen Filmverleih

Eine Telenovela?

Daniel Kehlmann ist ein wunderbarer Erzähler. Das ist längst und zurecht mit Literaturpreisen zertifiziert. Es gab Jahre, in denen manche zum Trotz sein Debüt "Beerholms Vorstellung" priesen, weil der Bestseller "Die Vermessung der Welt" von jedem B-Promi als Lieblingsbuch genannt wurde.

In der Verfilmung des Romans "Die Vermessung der Welt", der die Leben des Forschers, Abenteurers und Entdeckers Alexander von Humboldt und des Mathematikers, Physikers und Astronomen Carl Friedrich Gauß mit klugem Humor parallel laufen lässt, gehört die Stimme im Off Daniel Kehlmann. Somit könnte man sich auch schon wieder dem Hörbuch zuwenden. Allein, das hat nicht Kehlmann eingesprochen. Und die Verfilmung dauert zwei Stunden und hat eben erst begonnen.

Via 3D entrollen sich saftiggrüne Hochlandwiesen Tibets, in der Landschaft steht ein Elefant auf einer Karre und ein Dalai Lama sitzt Alexander von Humboldt gegenüber. Und fordert, dass dieser Gast aus der Ferne sein totes Hündchen zum Leben erwecke. So skurril und abenteuerlich der Stoff ist, der Biographien formt, so bizarr ist der Spielfilm, den Detlev Buck aus Kehlmanns Roman gemacht hat.

Von Daniel Kehlmann und Detlev Buch ist mit "Die Vermessung der Welt - das Buch zum Film" das Drehbuch mit ergänzenden Texten im Rowohlt Verlag erschienen.

Die Biographien von Humboldts und Gauß "verschneidet" Detlev Buck nach eigenen Angaben: "es gibt keinen Antagonisten, keinen Showdown, nicht den Wendepunkt, das ganze dramaturgische Geschirr gibt es nicht“. Dafür gibt es Cupcakes am Hofe des preußischen Königs, Dschungelbilder mit verstörenden Details, einen süßen Hauptdarsteller (Florian David Fitz als Gauß) und Wortwitz. In der Tat fehlt das ganze dramaturgische Geschirr. Daniel Kehlmann darf man dabei aber auch nicht außer Acht lassen, immerhin hat der Autor am Drehbuch mitgeschrieben.

Friedrich von Humboldt sitzt auf einem Reisekoffer am Strand und notiert etwas in ein Buch

Filmladen Filmverleih

Szenen zweier Leben

Bucks Verfilmung trägt denselben Titel wie der Bestseller und zeigt punktuell Szenen aus dem Leben der beiden Hauptfiguren in der Art, wie man ein Schulreferat vorbereitet. Zum Vorbereiten eines Referats eignet sich der Film jedoch nicht, nebenbei bemerkt werden die Errungenschaften Gauß'.

Das Schlüsselerlebnis in der Kindheit, wie der kleine Carl Friedrich Gauß 1+2+3+4 usw. bis 100 als Schnellster dank seiner eigenen Methode addiert, den Besuch mit dem Lehrer am preußischen Hofe, dort wieder den heranwachsenden Burschen Alexander von Humboldt, der sich eine Kröte mit der Lupe genau ansieht. Vielfach müssen Insekten aller Arten als Übergänge zwischen den Anekdoten über Bücher und Blätter krabbeln. Das wirkt unbeholfen wie Alexander von Humboldt in zwischenmenschlichen Belangen.

Mit einer unbeugsamen Neugier schreitet, stapft und durchquert von Humboldt (gespielt von Albrecht Abraham Schuch) die Neue Welt derart weltfremd, dass ihm weder Kannibalen noch Kalmare etwas anzuhaben vermögen. Die Strenge und der Luxus, mit denen von Humboldt am Königshaus aufgewachsen ist, prägten den Charakter. Stets begleitet von seinem treuen Reisefreund Bonpland, der Humboldt nur im Höhenrausch und im Delirium nach dem Leben trachten will. Das erste entdeckte Afferl will freilich von Humboldt nach Humboldt benannt werden.

Indes vermisst der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Carl Friedrich Gauß in nebeligen Dörfern Land, trifft seine Volksschulliebe wieder, schreibt sein erstes Werk und unterbricht Sex für Integralsätze. Es bleibt trotz allem langweilig, weil hier nicht erzählt, sondern gelistet wird.

Gauß hält um die Hand einer Frau an, die gerade Gänse rupft

Filmladen Filmverleih

Kein Kostümschinken

Zwei Freaks und zwei Genies sind also unterwegs. Während von Humboldt entdeckte Tierarten kistenweise am Königshofe ankommen und Gauß sich in seiner Genialität selbst leid tut, entfaltet sich Detlev Bucks Vorstellung von Historiendrama. Das ähnelt den Schäferspielen am französischen Königshaus im Garten von Versailles: Die Nebenrollen sind prominent besetzt, Sunnyi Melles, Katharina Thalbach und Karl Markovics, kurz taucht Sven Regener auf und Buck und Daniel Kehlmann lassen es sich auch nicht nehmen. Historische Authentizität lässt sich sowieso nicht herstellen, warum also den Kinderchen einfacher Leute nicht maschingestrickte Schals umhängen und Cupcakes servieren?

Dabei bleibt das Spiel mit der Fiktion der historischen Erzählung stets im Rahmen. Einen Schritt weiter wäre es ein lächerlicher Kabarettfilm geworden. Sofia Coppolas Marie Antoinette und Indiana Jones haben sich in "Die Vermessung der Welt" nur knapp verpasst. Für das öde Genre Kostümfilm hat Buck keine wegweisende Nachfolge geschaffen, obwohl er das vielleicht insgeheim im Auge hatte. Bis die ersten im Saal leise über die kurzen Dialoge kichern, die einen Schlagabtausch an den anderen reihen, ist die Hälfte des Films gelaufen.

Wenn Humboldt in Ecuador seinem Mitstreiter Bonplond Kants Disziplin der reinen Vernunft doziert, als Bonplond sich mit einer schönen Einheimischen vergnügt, antwortet Bonplond: "Ich bin Franzose, ich lese keine Ausländer". Soviel zur Unterhaltung.

Eine Frau und ein Mann im Bett: Nackter Damenpo und Füße im Vordergrund

Filmladen Filmverleih

Vordergrund macht Bild gesund

Das Beste in diesem Film steckt in den Details. Damit sind nicht Pferdeköpfe, Pflanzenblätter und Frauenpo gemeint, die die dreidimensionale Optik den ZuschauerInnen ins Gesichtsfeld stellt. Das 3D-Spektakel zieht nicht, an Naturbildern sind "Universum"-SeherInnen verwöhnt. Auffällig ist jedoch Detlev Bucks Art, die Umstände der Zeit in kleinen Details einzufangen. Um etwa die Verhältnisse der Familie Gauß zu erzählen, stellt Buck eine angebundene Ziege in die Wohn- und Arbeitsstätte. Zahnziehen kostete damals beinahe das Leben, Blutverschlucken ist inklusive. Die Unterdrückung und Erniedrigung der indigenen Bevölkerung durch Missionare und europäische Entdecker ohne Massenszenen mit Gemetzeln in wenigen Sekunden klar zu machen, das fordert Anerkennung.

Georg Friedrich als Sklavenhändler greift mit den Szenen einem angeketteten Indigenen in den Mund, um seine Zähne anzupreisen

Filmladen Filmverleih

Wenn ein Blick auf ein Babyäffchen auf der Schulter einer stillenden Indigenen fällt, diese ihre Brust quetscht und dem Affen zu trinken gibt, blitzt für einen Moment ein Gefühl auf: Verstörend müssen all diese Eindrücke für diesen von Humboldt gewesen sein. Und der stets zugeknöpfte Rock und die Disziplin waren wohl gute Mittel, um seine Tassen im Schrank zu bewahren. Womit man wieder bei der Dramaturgie wäre. Sie fehlt.

Die Verfilmung von "Die Vermessung der Welt" ist ein netter Teaser in Überlänge für das Buch. Bezaubernde Komplimente finden sich darin und herrlicher Humor.